Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft ist im WM-Viertelfinale gegen die Schweiz K.o. gegangen. Das Mindestziel wurde erreicht, es war aber mehr drin. Dass die Unzufriedenheit gross ist, ist ein gutes Zeichen für die Zukunft. Ex-Nationalspieler Kai Hospelt analysiert im Gespräch mit unserer Redaktion die Situation nach dem Aus.
Es gibt so Momente im Sportlerleben, die würde man gerne noch einmal angehen können. Einfach alles auf null setzen, auf Anfang, um es im zweiten Anlauf besser zu machen. In erster Linie, weil man weiss, dass man es eigentlich besser kann.
Deshalb war der Kapitän der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft besonders enttäuscht. Denn Moritz Müller weiss, dass im WM-Viertelfinale gegen die Schweiz mehr drin war. "Spiele, die man gerne zurückhätte, sind besonders ärgerlich", sagte er nach dem 1:3 gegen die Eidgenossen bei Magenta Sport: "Wenn man von Anfang an hier ein super Spiel macht und dann verliert, ist es leichter zu verdauen, als mit Bedauern zurückzublicken."
Nach dem bitteren Aus machte sich grosse Enttäuschung breit. Denn die Auswahl des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) ging auf Augenhöhe K.o. – und steht nun mit leeren Händen da. "Es gibt kein Abo für Viertelfinale, Halbfinale, Finale", erklärte Bundestrainer Harold Kreis. Im vergangenen Jahr hatte er seine Mannschaft zur Vize-Weltmeisterschaft und damit zur ersten WM-Medaille seit 70 Jahren geführt – unter anderem durch einen Viertelfinal-Sieg gegen die Schweiz.
Früher hätte man gejubelt über das Erreichen des Viertelfinals bei einer WM, heute sind Frust und Enttäuschung gross – weil die Ansprüche und Erwartungen innerhalb des Teams in den vergangenen Jahren rasant gestiegen sind, ebenso wie das Selbstverständnis. Und das zu Recht.
DEB-Team will mehr als nur mitspielen
"Dass die Mannschaft auf einem guten Weg ist, wird dadurch schon unterstrichen, dass man als Mannschaft unzufrieden ist. Das ist eine gute Unzufriedenheit", sagt Ex-Nationalspieler Kai Hospelt im Gespräch mit unserer Redaktion. Denn sie zeigt, dass diese Mannschaft mehr will als nur mitspielen. Sie will Akzente setzen, die ganz Grossen ärgern, für Furore sorgen.
Der Hunger ist da, die Möglichkeiten sind es auch, denn das Team hat seine Qualitäten, selbst ohne die Superstars Leon Draisaitl, Tim Stützle oder Moritz Seider. Dass man dies in diesem Jahr auch unter Beweis gestellt hat, während die Gegner besser aufgestellt waren als zum Beispiel bei den beiden Finalteilnahmen 2018 (Olympia) und 2023 (WM), macht dieses Viertelfinal-Aus wertvoller, als es auf den ersten Blick aussieht.
Kreis war mit seinem Team deshalb "sehr zufrieden. Die Mannschaft hat alles rausgeholt. Wir haben das minimale Ziel erreicht, aber wir wollten mehr", betonte er. Für Nico Sturm war der Auftritt ein gutes Signal an die Konkurrenz: "Wir haben uns wieder von einer sehr, sehr guten Seite hier präsentiert." Nicht nur gegen die Schweiz, "sondern das ganze Turnier lang. Wir haben uns viel Respekt erarbeitet", so Sturm. In der Gruppenphase hatte Deutschland fünf Siege gefeiert und nur gegen die USA und Schweden (jeweils 1:6) verloren. Mit 34 Toren stellte man einen eigenen Tore-Rekord auf.
In den top acht etabliert
Auch das machte das Aus so bitter. Doch auf dem Niveau seien es dann eben Kleinigkeiten, die ein WM-Turnier ausmachen, sagt Hospelt. "Wir haben es super geschafft, uns in den top acht der Welt zu etablieren. Teams, mit denen wir früher auf Augenhöhe waren, haben wir diesmal teilweise sehr souverän geschlagen. Und das ist auch eine Auszeichnung für die Mannschaft."
Denn die Erfolge sind angesichts der eingeschränkten Möglichkeiten in Deutschland im Vergleich zu anderen Nationen, was Personal, Finanzen und Nachwuchsarbeit angeht, kein Selbstläufer.
Deshalb betont Hospelt, dass dieses Aus nicht nur schlecht sein muss. "Vielleicht hätte eine weitere Medaille eine gefährliche Erwartungshaltung in der breiten Öffentlichkeit geweckt. Denn so weit, dass wir jedes Jahr eine Medaille holen, sind wir noch nicht", sagt der 38-Jährige. Gegen die Schweiz war es das schwache erste Drittel, das dem DEB-Team das Genick brach. Defensiv standen die Schweizer extrem gut, weshalb die in dem Turnier sonst so spektakuläre deutsche Offensive nicht so zur Entfaltung kam. Es war ein Abnutzungskampf, den die Eidgenossen knapp, aber verdient für sich entschieden.
Das Gute: Das DEB-Team wird nicht mit Druck und Erwartungen überfrachtet, sondern mit einem grossen, aber gesunden Interesse begleitet. "Man hat nicht das Gefühl, dass die Menschen das vergangene Jahr überbewerten, dass sie denken, dass wir jedes Jahr eine Medaille gewinnen müssen", so Hospelt. Dass anerkannt werde, dass dieses WM-Resultat wieder eine super Leistung sei, sei sehr positiv, sagt Hospelt, "auch für die weitere Entwicklung". Aber klar: "Man hat auch gesehen, dass zu den absoluten Top-Teams immer noch Luft nach oben ist."
Konstanz, Kontinuität und Erfolg
Fünf Viertelfinal-Teilnahmen bei der WM in Folge, dabei auch zwei Halbfinals 2021 und 2023 und Silber im Vorjahr, sprechen inzwischen eine deutliche Sprache, unterstreichen die hervorragende Entwicklung, eine beeindruckende Konstanz und Kontinuität. Daher sei man in einer guten Position, um mittelfristig oben angreifen zu können, glaubt Hospelt. Also Top-Nationen wie die USA, Kanada oder Schweden. "Und an einem guten Tag kann man die dann auch schlagen." Wenn zum Beispiel auch die Abwehr auf ganz hohem Niveau agiert. Bei der WM war sie eine Problemzone.
Auch für Kreis ist klar, dass Deutschland weiterhin eine Top-acht-Nation ist – "absolut", sagte er dazu. Mit dem Ergebnis sei keiner zufrieden, "aber wir sprechen immer von Prozess. Also da ist keine Kritik an dem Prozess", so Kreis. Weshalb auch Hospelt sagt: "Man muss an dem eingeschlagenen Weg dranbleiben."
Denn was die deutsche Mannschaft spiele, sei modernes Eishockey, sagt Hospelt und schwärmt: "Die Mannschaft kann taktisch reagieren. Früher hat eine schlechte Leistung ein ganzes Turnier beeinflusst. Heute lässt man sich nicht verunsichern. Es ist viel Selbstvertrauen dazu gekommen." Man spiele füreinander und miteinander, und es mache Spass zuzuschauen: "Sie spielen nicht, um nicht zu verlieren, sondern um zu gewinnen". Was erfreulicherweise immer öfter gelingt, auch wenn die Enttäuschung über Niederlagen dann besonders gross ist.
Über den Gesprächspartner
- Kai Hospelt hat zwischen 2002 und 2021 insgesamt 915 Spiele in der DEL absolviert, dazu 115 Länderspiele. Der Flügelstürmer nahm an sechs Weltmeisterschaften und an Olympia 2010 teil.
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