Dass ein Fussball-Bundesligist aus wirtschaftlichen Gründen von A nach B zieht, scheint hierzulande undenkbar. Solch ein Umzug, auch "Relocation" genannt, ist im US-Sport bei den Teams aus den vier grossen Ligen NFL, NBA, NHL und MLB aber nicht ungewöhnlich. Die Gründe dafür sind vielfältig. Wir erklären die Hintergründe.
Ryan Smith erschien die Gelegenheit günstig. Was sie streng genommen gar nicht war, denn der Geschäftsmann zahlt satte 1,2 Milliarden Dollar für die Arizona Coyotes. Doch da er mit den Utah Jazz bereits einen Klub aus der Basketball-Liga NBA besitzt und Co-Owner von Real Salt Lake City aus der Major League Soccer (MLS) ist, darf es jetzt auch ein Team aus der Eishockey-Liga NHL sein. Umzug inklusive: Die Coyotes machen sich samt Mannschaft nach Salt Lake City auf und werden einen neuen Namen erhalten. Zu Saisonbeginn 2024/25 nehmen sie dort den Spielbetrieb auf.
"Wir starten mit 'Utah'. Und dann wird es 'Utah irgendwas' sein", sagte der neue Besitzer Smith auf einer Pressekonferenz. Die Namenssuche werde aber "nicht 24 Monate dauern". Fertig wäre dann der neue Eishockey-Klub. Das wäre ungefähr so, als würde der FC Bayern nach Hamburg ziehen. Oder Borussia Dortmund nach Frankfurt.
Undenkbar? Ist es hierzulande auch, doch in den USA ticken die Uhren in der Hinsicht ein wenig anders. Umzüge, oder "Relocations", kommen hier immer wieder vor, sie gehören zum Sportsystem dazu. Dass der Klub möglicherweise schon Wurzeln geschlagen hat, ist dann ziemlich egal, auch die treue Fanbasis wird vor den Kopf gestossen, muss sich damit wohl oder übel abfinden.
Wandervögel Sacramento Kings
Beispiele gibt es genug. Die Sacramento Kings aus der NBA waren zum Beispiel schon in Rochester, Cincinnati und Kansas City beheimatet. Dass die Los Angeles Lakers so heissen, liegt daran, dass sie früher in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota, dem "Land der 10.000 Seen", gespielt haben. Und der Deutsche Detlef Schrempf ist eine Legende der Seattle SuperSonics, die es aber nicht mehr gibt, weil sie inzwischen Oklahoma City Thunder heissen.
Für das NHL-Team der Quebec Nordiques ging es sogar über die Landesgrenze, konkret von Kanada in die USA nach Denver, wo sie nun als Colorado Avalanche spielen. In der Baseball-Liga MLB zogen die Montreal Expos in die US-Hauptstadt um und wurden zu den Washington Nationals. Und in der Football-Liga NFL haben die Oakland Raiders vor ein paar Jahren in Las Vegas eine neue Heimat gefunden. Die Los Angeles Rams wiederum fingen in Cleveland an, zogen nach L.A., von dort nach St. Louis und dann wieder zurück nach Los Angeles. Was zeigt, dass "Relocations" nicht automatisch von Erfolg gekrönt sein müssen. Das beweisen auch die Coyotes, denn für sie ist der Umzug nach Salt Lake City ebenfalls nicht der erste. Bereits 1996 zogen sie aus dem kanadischen Winnipeg nach Phoenix.
Im Fall der Coyotes war die Gelegenheit für Smith aber tatsächlich ideal. Er hatte sowieso vor, in die NHL einzusteigen. Da Ex-Coyotes-Besitzer Alex Meruelo für die offene Stadionfrage seines Teams keine schnelle Lösung fand, übernahm Smith die Franchise. Womit wir beim Stichwort wären: Im US-Sport gibt es kein hierarchisches Ligensystem mit Auf- und Abstieg, die Klubs werden auch Franchises genannt, was zunächst eher an Filialen von Burger-Ketten erinnert als an Profisport, aber im Grunde genauso funktioniert.
Teams gehören schwerreichen Besitzern oder Unternehmen
Die Teams gehören in der Regel schwerreichen Besitzern oder Unternehmen, die Lizenznehmer der Ligen sind und das Exklusivrecht für das Team besitzen. Das ist selten nur eine Herzensangelegenheit, sondern in erster Linie ein Geschäftsmodell. Der Kommerz steht oft an erster Stelle. Heisst: Es geht darum, maximalen Profit aus dem Team und dem Standort zu schlagen, eine Identifikation und Tradition ist erst einmal zweitrangig, wenn überhaupt. Heisst daher: Nicht nur der Ort kann sich im Zweifelsfall ändern, auch der Name der Klubs, das Logo oder das Maskottchen. Man kann sich die Reaktion der Fussball-Fans in Deutschland vorstellen, würden Traditionsklubs kurzerhand umbenannt und mit einem neuen Logo versehen. Von einem Umzug ganz zu schweigen.
Der wird aber auch in den USA nicht immer nur achselzuckend hingenommen. Vielmehr gab es auch Proteste der Fans, beim Umzug des NFL-Teams San Diego Chargers 2017 ins 200 Kilometer entfernte Los Angeles wurden unter anderem Utensilien vor der Franchise-Zentrale verbrannt, dazu riefen Möbelpacker und Umzugsunternehmen zum Boykott des Umzugs auf.
Umzüge laufen nicht immer problemlos ab
Die "Relocation" der Rams ein Jahr zuvor von St. Louis nach L.A. hatte ebenfalls ein Nachspiel: Die NFL und die Rams zahlten der Stadt St. Louis 790 Millionen US-Dollar Entschädigung. Vorausgegangen war ein Streit darum, dass die Rams Regeln zum Umzug eines Teams gebrochen und die Region unter anderem um Millionen Steuereinnahmen gebracht hätten.
Der Hintergrund: Ein Umzug ist kein Selbstläufer beziehungsweise kein Wunschkonzert, aber auch keine Unmöglichkeit, sondern ein Prozess, den die Abwanderungswilligen durchlaufen und dabei bestimmte Regeln beachten müssen. Die anderen Teams der Ligen (in der NFL zum Beispiel mindestens 24 der 32) müssen einer "Relocation" final zustimmen, betrachten dabei natürlich auch die eigenen Interessen, ebenso wie die Ligen-Verantwortlichen, die den Prozess eingehend prüfen.
In der NFL muss unter anderem einem bisherigen Standort das Recht eingeräumt werden, eigene Stadion- und Businesspläne einzubringen, um die Franchise eventuell umzustimmen. Die Pläne in St. Louis für ein neues, eine Milliarde teures Stadion am Mississippi, das gemeinsam von den Steuerzahlern, dem Team und der NFL finanziert werden sollte, lehnten die Liga und die Rams aber ab. Unter dem Strich konnte der Verlust der Franchise nicht verhindert werden. Es gab in den grossen US-Ligen aber auch schon Abstimmungen, die negativ ausfielen und Umzüge dadurch nicht erlaubt wurden.
Rams-Besitzer Stan Kroenke verstand die Emotionen der Fans. "Wir haben lange an Alternativen gearbeitet, die aber letztlich nicht realisierbar waren. Die wirtschaftliche Lage in St. Louis macht es schwierig, dort erfolgreich zu sein", sagte Kroenke damals. In Inglewood am alten Hollywood Park im Grossraum L.A. wurde das fast zwei Milliarden teure SoFi-Stadium gebaut, in dem inzwischen auch die Chargers spielen.
Faktoren für einen Umzug
Eine "Relocation" ist meistens von wirtschaftlichen Faktoren angetrieben, wie die Suche nach einem idealen Standort mit den besten Wachstumsaussichten, einem idealeren Geschäftsumfeld oder einer grösseren Fangemeinde und damit verbundenen höheren Einnahmen. Auch die Liga kann ein zusätzlicher Treiber bei der Suche nach neuen Märkten sein, wie es bei der Besetzung des Marktes in Los Angeles der Fall war. Ein Besitzerwechsel wie bei den Coyotes ist ein weiterer Grund. Oft führt auch der Streit um das Stadion zur Flucht eines Teams. Oder die Kombination aus mehreren Faktoren.
Auch bei den Coyotes war das der grundsätzliche Auslöser, denn nachdem die Stadt Glendale (ein Vorort von Phoenix) den Vertrag zur Nutzung der Gila River Arena zur Saison 2021/22 kündigte, spielte das Team in der nur knapp 5000 Besucher fassenden Mullett Arena auf dem Campus der Arizona State University. Der Bau einer neuen Arena hätte Jahre gedauert. Wichtiger Nebenaspekt: Da Ex-Besitzer Merulo die Rechte am Namen und Logo der Coyotes behält, könnte er innerhalb von fünf Jahren wieder in die Liga einsteigen, wenn er ein neues, modernes Stadion, das für ein NHL-Team geeignet ist, vorweisen kann. Dann könnte über eine Expansion der Liga ein Team nach Arizona zurückkehren.
Verlassen die Chiefs Kansas City?
Aktuell steht ein möglicher Umzug des Super-Bowl-Champions Kansas City Chiefs im Raum. Die Chiefs spielen seit 61 Jahren dort, doch das Beispiel zeigt, wie wenig das wert sein kann, wenn es um Geld geht. Denn die Bürger des Bezirks, in dem das Arrowhead Stadium der Chiefs steht, stimmten jüngst gegen Steuervergünstigungen für die Franchise, die damit das Stadion renovieren wollte. Von der Besitzerfamilie sollen 300 Millionen der veranschlagten 800 Millionen Dollar gezahlt werden, der Rest aus den öffentlichen Geldern.
Chiefs-Präsident Mark Donovan wollte bereits vor einigen Wochen einen Umzug nicht ausschliessen. "Wir als Chiefs werden alle Optionen in Betracht ziehen müssen", sagte er in einem Interview mit dem Lokalsender "KSHB41". "Ich denke, das beinhaltet auch, dass wir Kansas City verlassen könnten", sagte er. Der Mietvertrag läuft erst 2031 aus, doch dass die Teams im Vorfeld auf diese Art und Weise Druck ausüben, gehört zum Geschäft. Der tatsächliche Umzug dann aber auch, wenn es zu keiner Einigung kommt.
Und was ist dann mit den Fans? Die verarbeiten den Verlust ihres Teams unterschiedlich. Neben Wut und dem Verbrennen von Trikots und Schals gibt es auch eine simple Trauer, das Ende des Supports oder auch ein Fortführen der Unterstützung. Den Besitzern ist das am Ende egal, für sie sind Fans meist austauschbar. Hauptsache, die Gelegenheit ist günstig.
Verwendete Quellen
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