Ferrari gilt als das Chaosteam der Formel 1. Inzwischen steht Alpine den Italienern in nichts nach. Nach einer Entlassung rechnet Ex-Teamchef Otmar Szafnauer mit den Franzosen ab – und gewährt einen Einblick, was alles schiefläuft.

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Die Situation war nicht nur ungewöhnlich, sie war auch unangenehm. Sie war sogar ein bisschen unwürdig. Denn als Otmar Szafnauer beim vergangenen Rennen in Belgien für Alpine an der Boxenmauer stand, war bereits klar, dass er nach dem Wochenende das Team endgültig verlassen würde. Er war in Spa also noch für den Auftritt verantwortlich, jeder wusste aber, dass dies sein letztes Rennen als Teamchef sein würde. Er war während (!) des Rennwochenendes entlassen worden. Das sorgte am Rennsonntag für Gerüchte, er habe die Strecke vor dem Rennen verlassen. Würde zu dem Chaos rund um den Rennstall ja auch passen.

Doch Szafnauer konnte darüber nur lachen, er sagte nach dem Rennen im Fahrerlager bei Sky: "Das ist das Schöne an der Formel 1, die Leute erfinden Dinge und überall gibt es Fake News. Ich habe die Strecke nicht verlassen, ich war hier die ganze Zeit. Ich war am Kommandostand, habe bei den Strategie-Entscheidungen geholfen und gewährleistet, dass wir ein paar gute Punkte holen." Vier waren es in Spa, 57 sind es bislang in dieser Saison.

Personalbeben in Spa

Deutlich zu wenig nach dem Geschmack der Bosse, die rund um Spa für ein regelrechtes Personalbeben gesorgt hatten. Denn zeitgleich mit Szafnauer war auch Sportchef Alan Permane entlassen worden. Auch Cheftechniker Pat Fry verlässt Alpine, er wechselt freiwillig zum Konkurrenten Williams. Kurz zuvor hatte der Rennstall bereits CEO Laurent Rossi degradiert. Keine Frage: Es herrscht Chaos bei Alpine, der ambitionierten Renault-Tochter. Das Fahrerlager der Formel 1 war ob der Vorgehensweise irritiert, um es freundlich auszudrücken.

Denn die stillose Trennung mitten in der Saison, und dann auch noch während eines laufenden Rennwochenendes, zeugt von wenig Professionalität und Empathie. Man hat sich gegen Stabilität entschieden, gegen Erfahrung und einen Plan und für Unsicherheit und für ein heilloses Durcheinander. Immerhin: Die Nachfolge ist geklärt, die Leitung des Rennstalls um Pierre Gasly und Esteban Ocon hat Bruno Famin übernommen. Julian Rouse wird übergangsweise Sportchef, leitender Techniker Matt Harman. Trotzdem: Ferrari galt immer als Skandalgarant der Motorsport-Königsklasse, doch Alpine steht den Italienern inzwischen in nichts mehr nach.

Legende Alain Prost wettert

Das treibt sogar Legende Alain Prost die Tränen der Enttäuschung, aber auch der Wut in die Augen. Der Sportzeitung L’Équipe sagte der 68-Jährige: "Ich fühle mich diesem Team tief verbunden. Ich liebe diesen Rennstall, und es macht mich bekümmert und traurig, in welchem Zustand sich Alpine nun befindet. Die Leute in diesem Team verdienen Besseres, und alle Voraussetzungen dafür wären da."

Und einmal in Fahrt, legte Prost richtig los, für ihn sei der entmachtete Rossi das beste Beispiel "für einen unfähigen Anführer, der glaubte, er könne seine Inkompetenz mit Arroganz überdecken, ganz zu schweigen vom Mangel an Menschlichkeit. Er war 18 Monate lang Chef von Alpine und glaubte vom ersten Tag an, alles zu wissen. Sein Management hat den ganzen Schwung gebrochen, der sich aufgebaut hatte".

Was ist los bei Alpine?

Viele Beobachter fragen sich schon länger: Was ist los bei den Franzosen, die 2016 wieder in die Formel 1 eingestiegen waren? Zum einen fehlt der Erfolg, dem die Franzosen seit der Rückkehr verzweifelt hinterherfahren, was bereits in der Vergangenheit zu teilweise wilden Personal-Rochaden führte. Seit 2016 gelang lediglich ein einziger Sieg, dazu fünf Podiumsplätze.

Hinzu kommen aber auch immer wieder interne persönliche Differenzen. So zofften sich Rossi und Prost, von 2017 bis 2022 Alpine-Berater, öffentlich, mit dem vorzeitigen Aus des Ex-Weltmeisters als Folge. Sehr präsent ist auch noch die Farce um Fernando Alonso, der zu Aston Martin flüchtete, als sich 2022 durch den Rücktritt von Sebastian Vettel die Chance bot. Als man dann auf Supertalent und Ersatzfahrer Oscar Piastri zurückgreifen wollte, hatte der auch keine Lust mehr. Und kam damit durch. Er fährt 2023 für McLaren. Nun also mal wieder ein Umbruch, der allerdings planlos und panisch wirkt.

Szafnauer, der ganze 18 Monate im Amt war, gewährt nun aus seiner Sicht einen Einblick hinter die Kulissen und welche Probleme der Rennstall hat, neben den sportlichen. "Ich denke, die Führungsspitze von Renault, CEO Luca de Meo, will, wie jeder in der Formel 1, sofortigen Erfolg, und leider funktioniert das in der Formel 1 nicht so", sagte Szafnauer bei SiriusXM. Er habe ihn darauf hingewiesen, dass es Zeit brauche und dass es einen Prozess brauche, so Szafnauer, der zudem auf seine Erfahrung aus 34 Jahren Motorsport – 26 Jahre davon in der Formel 1 – verwies.

Unrealistischer Zeitplan

"Doch sie wollten es schneller machen, als es möglich ist", sagte Szafnauer. "Ich konnte einem unrealistischen Zeitplan nicht zustimmen, denn wenn man das tut, ist es nur eine Frage der Zeit und jeder wird frustriert. Also habe ich einen sehr realistischen Plan aufgestellt und ich denke, sie wollten diesen Plan mit jemand anderem abkürzen."

Das ist aber nicht alles, daneben habe sich der Mutterkonzern eingemischt, "er wollte in vielen Bereichen des Rennteams viel Kontrolle haben. Mehr als ich jemals zuvor gesehen habe." So wurde der komplette kommerzielle Bereich "jemandem in der grösseren Organisation unterstellt, und sie alle agieren wie eine Marine und wir müssen Piraten sein, um zu gewinnen", sagte Szafnauer. Soll heissen: Alpine agiert nicht so, wie ein Formel-1-Rennstall agieren sollte, also schnell, effizient, strukturiert, sondern träge und schlecht organisiert.

Red Bull Racing ein positives Beispiel

Szafnauer nannte die Weltmeister von Red Bull Racing als positives Beispiel. Red Bull habe die Personalabteilung, die Finanzen, alle kommerziellen Aspekte und die Kommunikation Christian (Horner, Teamchef, Anm. d. Redaktion) unterstellt, "und wir nicht", so Szafnauer weiter. "Und raten Sie mal, wer gewinnen wird? Red Bull. Wenn man es so betrachtet, ist es sehr, sehr einfach zu verstehen." Denn: "Wenn man jemanden anheuert und innerhalb eines Tages einen Vertrag abschliessen muss, weil wir das in der Formel 1 so machen, kann man sich nicht zwei Wochen Zeit lassen." Denn sonst fährt man wie Alpine der Musik andauernd hinterher.

Verwendete Quellen:

  • lequipe.fr: L'oeil d'Alain Prost : «Alpine m'attriste»
  • SiriusXM: Otmar Szafnauer: On how Alpine’s F1 team was dysfunctional
  • Pressekonferenzen
  • TV-Interviews
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