- Charles Leclerc hat den möglichen Sieg in Frankreich durch einen Fehler weggeworfen.
- Der Monegasse hat zehn Rennen vor Ende bereits 63 Punkte Rückstand auf Max Verstappen.
- Fehler ziehen sich durch seine Ferrari-Zeit. Hat der 24-Jährige das Zeug zum Weltmeister?
Charles Leclerc weiss, dass auf dem ganz hohen Formel-1-Niveau die Luft dünn wird. Dass dann die kleinen Dinge den Ausschlag geben. Denn wenn es darum geht, Weltmeister zu werden, sind die Nuancen fein, die Unterschiede marginal und der Übergang vom "Hero to Zero" fast fliessend. Als er am Funk erst mehrere Sekunden lang schwer atmete und dann seinen ganzen Frust herausschrie, war dem Ferrari-Superstar ziemlich klar, dass er in Runde 18 des Frankreich-Rennens wohl nicht nur seinen Boliden weggeworfen hatte, sondern womöglich auch den WM-Titel. Denn nach zwölf Rennen hat
Leclerc nahm den Fehler anschliessend auf seine Kappe, was ihn ehrt, aber nicht davor bewahrt, dass nun wieder die Frage gestellt wird: Kann Leclerc Weltmeister? Fast schon reflexartig werden die Fehler hervorgekramt, die sich in seiner Ferrari-Zeit zwar insgesamt in Grenzen halten, die sich aber trotzdem in unschöner Regelmässigkeit durch die nun dreieinhalb Saisons ziehen. Leclerc ist ein Mega-Talent, ein Top-Fahrer, ein Superstar der Szene – doch ist der 24-Jährige auch ein WM-Pilot mit dem unvergleichlichen Killerinstinkt wie sein Titelrivale Verstappen oder der siebenmalige Weltmeister
Charles Leclerc: Zu fehlerhaft für einen Champion?
Oder agiert der Monegasse unter dem Strich doch zu fehlerhaft für den ganz grossen Wurf? Darauf angesprochen, sprang Ferrari-Teamchef Mattia Binotto seinem Schützling zur Seite. "Das ist ein unfaires Urteil", sagte Binotto: "Er ist am Limit gefahren. Diese Dinge können passieren, wenn man am Limit fährt. Das ist ein Fehler, der passiert - so wie wir Probleme mit der Zuverlässigkeit hatten", sagte der Italiener und stellte klar: "Das schmälert nicht, was für ein fantastischer Fahrer er ist."
Man werde sich die Zeit nehmen, um mit Leclerc zu erörtern, warum das passiert sei, so Binotto: "Es gibt keinen Grund, ihn zu beschuldigen. Wir haben immer gesehen, dass Charles sehr stark reagiert, wenn er Fehler macht, und ich bin ziemlich sicher, dass er gestärkt nach Ungarn gehen wird." Dort kann es Leclerc schon am kommenden Wochenende besser machen. Aber ob das in dieser für Ferrari so bittersüssen Saison reicht?
Leclerc wirft 32 Punkte weg – Ferrari noch mehr
"Ich habe das Gefühl, dass ich seit Saisonbeginn auf meinem höchsten Niveau fahre, aber das hat alles keinen Sinn, wenn ich solche Fehler mache", übte Leclerc auf gewohnt deutliche Art und Weise Selbstkritik.
Er rechnete auch gleich die Punkte aus, die er in dieser Saison selbst weggeworfen hat: 32 Zähler sind es. 25 für den möglichen Sieg in Frankreich und sieben weitere für Imola, als er sich kurz vor Schluss drehte und aus einem dritten einen sechsten Platz machte. "Am Ende des Jahres werden wir zusammenrechnen, und wenn mir dann 32 Punkte fehlen, dann weiss ich, dass die von mir selbst kommen und ich den Titel nicht verdiene", sagte er. Und formulierte eine klare Ansage, vor allem an sich selbst: "Ich muss das in der zweiten Saisonhälfte in den Griff bekommen, wenn ich Weltmeister werden will!"
So sehen das auch die Experten. Ex-Weltmeister Nico Rosberg stellte klar: "Das kannst du einfach nicht machen, wenn du Max Verstappen in der WM schlagen möchtest. Dann kannst du dir sowas nicht erlauben." Und für Ex-Champion Jacques Villeneuve sei das eben "der grosse Unterschied zu Verstappen. Ihm passiert das nicht", schreibt der Kanadier in seiner Kolumne für Formule1.nl: "Das ist das beste Beispiel, wie man keine Meisterschaft gewinnt."
Binotto übt sich derweil in Optimismus. Durchhalteparolen würden Kritiker das nennen. Es gebe keinen Grund, warum man nicht von jetzt an bis zum Ende zehn Rennen gewinnen könne, sagte Binotto: "Das Potenzial ist vorhanden. Die Fahrer sind fantastisch. Wir müssen uns auf uns selbst konzentrieren und unser Bestes geben." In der Tat hätte Ferrari das Potenzial für so eine Siegesserie. Es gibt aber auch zahlreiche Gründe, die dagegensprechen. Der ausschlaggebende heisst Ferrari.
Ferraris Pleiten-Palette
Denn das Dilemma besteht aus mehr als einem Fahrer, dem zwei, drei Fehler zu viel im Weg stehen, um sich bei den ganz, ganz Grossen der Zunft einreihen zu können. Soll heissen: Leclercs weggeworfene 32 Punkte wären gar nicht mal das grosse Problem, wenn bei Ferrari in diesem Jahr nicht die ganze Pleiten-Palette zusammenkommen würde. Ausgerechnet in einem Jahr, in dem die Voraussetzungen so gut sind wie lange nicht. Bittersüss.
Nach drei Rennen führte Leclerc mit 46 Punkten vor Verstappen, der zwei Mal ausgefallen war – seitdem ist bei den Roten der Wurm drin. Zu den beiden Leclerc-Patzern gesellen sich zwei technisch bedingte Ausfälle - in Führung liegend - in Spanien und Aserbaidschan, dazu ein Start vom letzten Platz in Kanada, weil zu viele Motoren genutzt wurden. Dort wurde er nach einer Aufholjagd Fünfter.
"Abgerundet" werden die Pannen durch Strategie-Patzer, die Leclerc in Monaco und Silverstone (jeweils Rang vier) um eine bessere Platzierung brachten. Konservativ gerechnet dürfte Ferrari locker doppelt so viele Punkte liegengelassen haben wie Leclerc - unter dem Strich sind das viel zu viele, um Titel-Ansprüche anmelden zu können. Und auch zu viele in zwölf Rennen, um für die nächsten zehn so optimistisch zu sein wie Binotto.
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Verstappen spielt Führung herunter
Dass Verstappen die deutliche Führung herunterspielt, gehört zum Geschäft. Ausserdem weiss er, dass sie um einige Punkte zu hoch ausfällt. "Diese Fehler passieren schnell", sagte der Niederländer zu Leclercs Abflug. "Natürlich tut es mir leid für ihn. Es ist nicht schön, und das weiss er. Aber wir haben noch viele Rennen vor uns, und es wird auch für uns ein paar harte Rennen geben", so der Titelverteidiger. Leclerc versprach, er werde bis zum Ende daran glauben und erst dann zählen, er räumte allerdings auch ein: "Aktuell sieht es nicht gut aus". Denn er weiss, dass auf diesem Niveau die kleinen Dinge den Ausschlag geben.
Verwendete Quellen:
- Pressekonferenzen
- TV-Übertragung Sky
- formule1.nl: Kolumne Villeneuve: ‘Leclerc en Ferrari laten zien hoe je een kampioenschap niet wint’
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