- Charles Leclerc muss in Baku den zweiten Ausfall im dritten Rennen hinnehmen.
- Titelverteidiger Max Verstappen zieht nach seinem fünften Saisonsieg langsam davon und Ferrari-Teamchef Mattia Binotto macht sich Sorgen.
- Was zusätzliche Kopfzerbrechen bereitet: Es droht eine Motorenstrafe, und auch die Kundenteams haben Probleme.
Das Mitleid hält sich bei
Was wesentlich schlimmer ist: Das Momentum hat sich im WM-Kampf längst gedreht. Und die Sorgen werden bei Ferrari analog zum Abstand auf Verstappen grösser und grösser. "Ich finde nicht die richtigen Worte, um meine Gefühle zu beschreiben. Das ist sehr, sehr enttäuschend. Es tut mal wieder sehr, sehr weh. Wir müssen uns das anschauen", sagte Leclerc, der in Baku mit einem Motorenschaden vorzeitig aufgeben musste.
Motorenschaden in Barcelona, Taktik verhauen und Punkte verschenkt in Monaco, und in Baku erneut ein Problem mit der Power Unit – lösen sich die WM-Hoffnungen Ferraris buchstäblich in Rauch auf? Denn nachdem die Roten zu Beginn der Saison schnell und zuverlässig waren, häufen sich die Pannen und Probleme. Der F1-75 ist inzwischen nur noch schnell. Was in Baku für die sechste Pole Position von Leclerc reichte, aber nicht genug ist für den Titel.
Ratlosigkeit bei Ferrari
"Wir waren schnell, und im ersten Saisonabschnitt hatten wir keine besonders grossen Probleme", sagte Leclerc: "Es scheint, dass die ein bisschen mehr werden als am Saisonbeginn." Bei dem Traditionsrennstall herrscht Ratlosigkeit. "Wir haben nichts Dramatisches geändert. Wenn überhaupt, dann haben wir Dinge verbessert. Schwer zu sagen, woran es liegt. Wir müssen es analysieren", erklärte der Monegasse.
Es kommen nach dem ersten Drittel der Saison mehrere Dinge zusammen. Neben den verlorenen Punkten von Leclerc im WM-Kampf der Ausfall des Teamkollegen Carlos Sainz (Hydraulik) sowie der Ferrari-Kunden Haas (Kevin Magnussen) und Alfa Romeo (Guanyu Zhou). Auch die Kundenteams haben immer wieder mit technischen Problemen zu kämpfen. "Der Ferrari ist nach wie vor ein superschnelles Auto, hat aber seine Schwachpunkte. Dass es Schwachpunkte gibt, hätte man eigentlich vorher schon merken müssen. Die Kundenteams wie Haas oder Alpha Romeo hatten schon viele technische Defekte", sagte Ex-Formel-1-Fahrer Marc Surer bei Sport1: "Ferrari weiss also um diese Schwachpunkte."
Sainz hat nun im WM-Kampf 67 Punkte Rückstand auf Verstappen und kommt weiterhin nicht in Fahrt, Ferrari wiederum liegt in der Konstrukteurswertung 80 Zähler hinter Red Bull Racing. Die Felle schwimmen langsam, aber stetig davon.
Binotto macht sich Sorgen
Bedingt durch die Häufung gibt Ferrari-Teamchef Mattia Binotto zu: "Ja, ich mache mir Sorgen. Die Standfestigkeit der Autos ist im WM-Kampf mindestens so wichtig wie der Speed." Man habe im Winter Gas gegeben, um in Sachen Leistungsfähigkeit einen markanten Schritt nach vorne zu machen, sagte Binotto, "aber es zeigt sich nun, dass wir in punkto Zuverlässigkeit nicht auf der Höhe sind".
Was die Gründe für die aktuellen Ausfälle sind – da konnte Binotto nach dem Rennen noch keine Analyse vornehmen. "Vielleicht lässt es sich ja schnell beheben", hoffte er. "Aber vielleicht brauchen einige von ihnen auch eine grössere Lösung. Ich habe noch keine Antwort."
Nachdem der Italiener in der ersten Phase der Saison alle Hände voll zu tun hatte, die Euphorie rund um Ferrari einzufangen, haben die emotional veranlagten Medien in der Ferrari-Heimat wenig überraschend die Krise ausgerufen. Binotto ist nun damit beschäftigt, die Weltuntergangsstimmung zu moderieren. Für "La Stampa" ist klar: "Die Niederlage in Baku wird für Ferrari negative Auswirkungen auf die gesamte WM haben. Für Leclerc steht der WM-Titel auf dem Spiel." "La Repubblica" fragt: "Geht Ferrari zu viele Risiken ein, um die Leistungen zu stärken? Teamchef Mattia Binotto bestreitet dies, doch Ferraris Blamage in Baku muss eine Erklärung haben."
Binotto beschwichtigt, weiss aber natürlich, dass der Druck schnell steigen wird. "Als wir im ersten Saisonteil einige gute Ergebnisse eingefahren haben, da sind wir nicht in Euphorie verfallen. Genauso wenig verfallen wir nun in Verzweiflung", sagte er. Mehr als Floskeln hat er im Moment aber auch nicht parat: "Wir müssen einfach hart daran arbeiten, diese Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen."
Das stimmt allerdings, denn durch die Probleme rückt eine Motorenstrafe für Leclerc immer näher, er müsste bei einem weiteren Wechsel des Turboladers in der Startaufstellung um zehn Plätze nach hinten. Erschwerend kommt hinzu, dass die Zeit drängt, denn das neunte Saisonrennen in Kanada findet bereits am kommenden Wochenende statt.
Leclerc hat das Vertrauen nicht verloren
Trotzdem betont Leclerc, dass er das Vertrauen in sein Team noch nicht verloren habe. Auch den WM-Titel hat er bei noch 14 zu absolvierenden Rennen natürlich noch nicht abgeschrieben. "Aber dafür müssen wir diese Dinge in den Griff bekommen", sagte er. "Tatsache ist, dass ich in drei Rennen zwei Ausfälle hatte. Und das fühlt sich nicht gut an."
Das Frustrierende ist das, was theoretisch möglich wäre. Der erste Titelgewinn seit 2007 ist absolut realistisch, so nah wie seit Jahren nicht – in der aktuellen Lage jedoch weit weg, unerreichbar. "Jetzt hat Ferrari nach so langer Zeit endlich wieder ein Auto, das funktioniert, zwei gute Fahrer - auch wenn sie mal ein paar Fehler gemacht haben - und jetzt passiert sowas. Das ist bitter", sagte Sky-Experte Ralf Schumacher. Und denkt auch an den Faktor Spannung: "Ich hoffe, dass es nicht so bleibt, das wäre auch eine Katastrophe für die WM." Keine Frage: Auch da wird sich das Mitleid bei Verstappen in sehr engen Grenzen halten.
Verwendete Quellen:
- Pressekonferenz
- Sky-Übertragung
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