Zwei grosse Skandale schütteln die Formel 1 zum Start der neuen Saison 2024 kräftig durch, das Sportliche gerät dabei komplett in den Hintergrund. Bei den Affären geht es um Machtkämpfe, Intrigen und Egos. Und natürlich auch um Geld. Die Skandale zeigen, wie hochpolitisch und explosiv die Motorsport-Königsklasse sein kann.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Keine Sorge: Im Moment ist es recht einfach, in der Formel 1 ein wenig den Überblick zu verlieren. Nicht in sportlicher Hinsicht - da ist es relativ simpel, denn Max Verstappen und Red Bull Racing sind wieder das Mass der Dinge. Es scheint aber fast so, als hätte Netflix für die Doku „Drive to Survive“ sämtliche Soap- und Krimi-Hebel in Bewegung gesetzt, um die mangelnde Spannung auf der Strecke durch Skandale verschiedener Couleur zu kompensieren. Winterpause und Saisonauftakt haben in Sachen Wirbel, Zoff und Eklats ganz neue Massstäbe gesetzt.

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Damit ist nicht nur die peinliche Compliance-Untersuchung des Automobil-Weltverbandes gegen Susie und Toto Wolff gemeint, die im Dezember so schnell verschwand, wie sie aufgekommen war. Vielleicht erinnert sich ja sogar jemand noch daran. Denn die anschliessende Ruhe währte nur kurz, seit Wochen gärt und brodelt es in der Formel 1, eine Negativ-Schlagzeile jagt die nächste. Das Explosions-Potenzial? Ist riesig! Weil die Lage unübersichtlich ist und die Verflechtungen hochpolitisch sind. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Machtkampf bei Red Bull und Red Bull Racing

Wie ist der Stand bei Christian Horner? Das ist Skandal Nummer eins. Der Red-Bull-Teamchef wurde zuletzt durch eine externe Untersuchung vom Vorwurf des unangemessenen Verhaltens gegenüber einer Mitarbeiterin freigesprochen. Leaks der SMS liessen das Thema aber auf hoher Temperatur weiterkochen. Und die „Affäre“ ist längst nicht aus der Welt, denn die Gemengelage bei Red Bull ist nach dem Tod von Dietrich Mateschitz nicht einfach.

Die thailändische Familie Yoovidhya hält 51 Prozent der Anteile an dem Konzern, Mateschitz-Sohn Mark 49 Prozent. Neuer starker Mann im Unternehmen ist nun Chalerm Yoovidhya, Sohn des 2012 verstorbenen Chaleo Yoovidhya, der Dietrich Mateschitz die Entscheidungsgewalt überlassen hatte. Diese Regelung gilt für Sohn Mark allerdings nicht, wodurch sich das Machtgefüge verschoben hat, und Chalerm Yoovidhya ist ein erklärter Horner-Fan. Der Skandal um den Teamchef hat einen internen Red-Bull-Machtkampf entzündet, bei dem es auch darum geht, wer künftig tatsächlich das Sagen hat.

Red-Bull-CEO Oliver Mintzlaff hätte Horner angeblich gerne schon längst vor die Tür gesetzt, doch der hatte die Untersuchung dank eines Anwalts durchgesetzt. Was das Verstappen-Lager will, hatte Jos Verstappen zuletzt klar kundgetan: "Es wird explodieren", sagte der frühere Rennfahrer der Daily Mail zur Lage im Team. Er ist und war nie ein Horner-Freund: "Solange er (Horner; Anm. d. Red.) da ist, wird es Spannungen geben. Er spielt das Opfer, dabei ist er derjenige, der die Probleme verursacht." Und was will Weltmeister Max? Seine Ruhe. Rennen fahren. Und die im Idealfall weiter gewinnen. Einen durch den Wirbel kolportierten Wechsel zu Mercedes schloss er zuletzt nicht komplett aus.

Wie geht es weiter?

Wie geht es bei Red Bull weiter? Das ist offen. Für Horner ist das Thema mit der Untersuchung erst einmal erledigt, weitere Leaks gab es bislang auch nicht. Die Mitarbeiterin kann in Berufung gehen, klagen könnte sie auch. Und klar ist, dass sich Horner in den vergangenen Jahren innerhalb des Rennstalls trotz der Rückendeckung aus Thailand nicht nur Freunde gemacht hat.

Designguru Adrian Newey soll mit ihm gebrochen haben, und spätestens seitdem Horner angeblich den Mateschitz-Vertrauen Helmut Marko absägen wollte, gilt auch das Verhältnis als belastet. Die Verstappens wiederum sind Marko gegenüber loyal. Das letzte Wort dürfte daher nicht gesprochen sein, denn die Affäre wirft kein gutes Licht auf die Formel 1, die sich schon länger öffentlich zu Diversität und Inklusion verpflichtet.

FIA-Boss im Kreuzfeuer

Wie lauten die Vorwürfe gegen Mohammed Ben Sulayem? Hier schwelt Skandal Nummer zwei. Der Präsident des Automobil-Weltverbandes FIA soll laut BBC beim Rennen in Las Vegas seine Leute angewiesen haben, "Schwachstellen an der Strecke zu finden, um die Lizenz zu verweigern". Beim Rennen in Saudi-Arabien 2023 soll er eingegriffen haben, damit die Strafe gegen Fernando Alonso aufgehoben wird. Der Weltverband bestätigte der Nachrichtenagentur AFP, "dass der Compliance-Beauftragte einen Bericht erhalten hat, in dem mögliche Anschuldigungen detailliert aufgeführt sind, die einige Mitglieder ihrer Führungsgremien betreffen". Ben Sulayem selbst hat sich nicht geäussert.

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Was steckt dahinter? Intrigen und ebenfalls ein Machtkampf, hier zwischen FIA und Formel 1, konkret also zwischen Regelhütern (FIA) und Management der Königsklasse sowie Besitzer Liberty Media. Bezeichnenderweise gerieten die Untersuchungen durch eine anonyme Quelle an die Öffentlichkeit, sie sollen in vier bis sechs Wochen abgeschlossen sein.

Immer wieder Probleme

Sollten die Vorwürfe zutreffen, bleibt es zunächst Spekulation, warum der FIA-Boss so gehandelt hat. Doch klar ist: Wäre das F1-Prestigeobjekt in Las Vegas abgesagt worden, wäre das für die Macher ein herber Schlag gewesen. Fakt ist: In der knapp zweijährigen Amtszeit Ben Sulayems krachte es immer wieder zwischen der Formel 1 und dem Weltverband, zuletzt auffallend gehäuft. Und oft angestachelt durch den FIA-Chef.

So gab die FIA grünes Licht für den Einstieg des Rennstalls von Michael Andretti, die Formel 1 schlug diese Tür jedoch Anfang des Jahres auf eine etwas fragwürdige Art und Weise vorerst zu. Zuletzt hatte er sich auch öffentlich zum Marktwert der Formel 1 geäussert, wofür er von den Juristen der Königsklasse ebenso öffentlich einen Rüffel erhielt. Und nach dem Auftakt in Bahrain wurde berichtet, dass Ben Sulayem Champion Verstappen darum bat, Horner öffentlich zu stützen. Laut BBC soll Verstappen den FIA-Boss im Gegenzug aufgefordert haben, seine eigene Untersuchung einzuleiten – was Ben Sulayem könnte. Er macht es allerdings nicht.

Die Formel 1 war schon immer hochpolitisch, dabei kompliziert verflochten und ein Minenfeld. Ben Sulayem agiert schon länger ungeschickt, indem er die Formel 1 gegen sich aufbringt, immer wieder Öl ins Feuer giesst, ungefragt seltsame Aussagen tätigt. Dabei ist er mit seinem Weltverband streng genommen als Regelhüter nur ein Dienstleister, der vom Geld der Serie lebt. 40 Millionen Dollar soll die FIA pro Jahr kassieren. Wie lange noch ist nun die Frage.

Kommt es zur Abspaltung?

Denn die fast vergessene Untersuchung gegen die Wolffs könnte tatsächlich der Anfang vom Ende gewesen sein. Damals, im Dezember, stellten sich die Teams in einer ungewohnten Einigkeit hinter den Mercedes-Teamchef und seine Frau, und eine Abspaltung der Formel 1 vom Weltverband wurde kräftig befeuert. Seitdem hört es nicht mehr auf zu brennen. Weshalb laut BBC die F1-Besitzer die Trennung von der FIA angeblich tatsächlich in Erwägung ziehen, sollten sich Ben Sulayem und Co. weiterhin „nachteilig“ verhalten. Damit dürfte fast schon zu rechnen sein. Es bleibt also explosiv. Und kompliziert. Wie gesagt: Im Moment ist es recht einfach, in der Formel 1 ein wenig den Überblick zu verlieren.

Verwendete Quellen:

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