Der plötzliche Tod Charlie Whitings überschattet den Saisonstart der Formel 1 im australischen Melbourne. Die deutsche Rennsport-Legende Hans-Joachim Stuck hatte den Formel-1-Rennchef vor wenigen Tagen noch in Genf getroffen. Er kannte ihn seit über 40 Jahren. Ein exklusives Interview über eine Lichtgestalt der Formel 1.
Charlie Whiting, Renndirektor der FIA, Sicherheitsbeauftragter und Leiter der technischen Abteilung der Formel 1, verstarb unmittelbar vor dem Saisonauftakt im australischen Melbourne an einer Lungenembolie. Whiting wurde nur 66 Jahre alt.
Die deutsche Motorsport-Legende Hans-Joachim Stuck, anderthalb Jahre älter als der Engländer, kannte ihn seit über 40 Jahren. Beide trafen 1978 bei Brabham als Fahrer und Renntechniker direkt aufeinander.
Herr Stuck, wie haben Sie von Charlie Whitings Tod erfahren?
Hans-Joachim Stuck: Das ist eine ganz komische Geschichte. Heute früh um vier Uhr musste mein Hund raus. Als ich am Tisch vorbeigehe, sehe ich, wie auf meinem Handy eine Nachricht von der FIA aufpoppt.
Ich denke: "Was ist denn da los?" Da hat es mich vom Sockel gehauen. Das ist unglaublich.
Sie haben sich wahrscheinlich erstmal setzen müssen.
Das stimmt. Charlie und ich waren erst vor 14 Tagen beim Steward-Meeting der FIA zusammen in Genf.
Er hat mich bei dieser Gelegenheit noch befördert von der Formel E ins Formel-1-Wochenende. Dort bin ich dann für die Formel 2 und die Formel 3 zuständig (Stuck war zwei Jahre lang "Chairman of the Stewards" in der Formel E, Anm. d. Red.).
Wir hatten drei nette Tage zusammen. Der war fit.
Das kommt aus dem Nichts. Das kann aber mit den Beinvenen zusammenhängen aufgrund des langen Flugs nach Australien. Charlie ist am Dienstag in Melbourne gelandet.
Man soll ja, so blöd wie es klingt, als älterer Mensch auf langen Flügen Stützstrümpfe anziehen, damit die Venen unter Druck bleiben. Wenn da etwas im Körper wandert, kommt es zu einer Lungenembolie.
Aber wir sind auch nicht mehr die Jüngsten (Stuck ist 68 Jahre alt, anderthalb Jahre älter als Whiting, Anm. d. Red.).
Männer wie der Charlie und ich, wir haben gelebt. Stress auf uns genommen, Anspannung, die viele Reiserei und Rennerei. Dann ist der Körper auch schneller verbraucht.
Ich hoffe, dass er nicht noch in seinem Hotelzimmer einen Todeskampf geführt hat. Darüber möchte ich gar nicht nachdenken. Das ist furchtbar.
Was macht diese Todes-Nachricht mit Ihnen?
Seitdem ich das heute früh um vier Uhr erfahren habe, bin ich zu nichts motiviert. Obwohl das Wetter hier in Südfrankreich, wo ich gerade bin, sehr schön ist.
Wie wird die Formel 1 Whiting in Melbourne ehren?
Alle Autos werden mit einem aufgeklebten schwarzen Trauerflor fahren. Sicher wird es vor dem Rennstart auch eine Schweigeminute geben.
Das ist ein Schlag für alle. Jeder kannte Charlie. Er war für die Formel 1 eine Lichtgestalt. Er hat als Regelhüter immer klasse, faire Entscheidungen getroffen. Er hinterlässt eine riesen Lücke.
Ist diese Lücke überhaupt zu schliessen?
Über einen Nachfolger ist schon gesprochen worden. Charlie hatte Ende der vergangenen Saison angedeutet, dass er noch zwei Jahre machen will, bis dann der neue Eigner Liberty die Formel 1 übernimmt.
Er war passionierter Golfspieler und wollte nach über 20 Jahren als Rennleiter der Formel 1 das Leben noch ein bisschen geniessen.
Jetzt in Melbourne werden Herbie Blash (stellvertretender Renndirektor der FIA, Anm. d. Red.) und Tim Schenken (Renndirektor des Grossen Preises von Australien, Anm. d. Red.) einspringen.
Wie erinnern Sie sich an die Zeit bei Brabham und an den damaligen Team-Manager Whiting?
Das waren die Königszeiten. Da haben wir noch Zeit für Spässe gemacht und haben nicht sechs Stunden über Telemetrie-Daten gesessen.
Das warst Du nachmittags um fünf Uhr fertig und hast dann Spass zusammen gehabt. Im Vergleich zu heute war das Verhältnis zwischen Chef und Fahrer locker. Aber wir wussten genau, wann es ernst wurde.
Der frühere Formel-1-Boss Bernie Ecclestone holte Whiting 1978 nach dem Aus des Hesketh-Rennstalls in sein Team zu Brabham.
Charlie hat damals bei uns frischen Wind hereingebracht. Whiting war eine Persönlichkeit und eine Leitfigur der Formel 1 wie Bernie Ecclestone (bis Anfang 2017 Geschäftsführer der Formel 1, Anm. d. Red.). Die Erfahrungen dieser beiden sind nicht zu ersetzen.
Welche Auswirkungen wird die Meldung vom Tod Charlie Whitings für das Rennen in Melbourne auf die Psyche der Fahrer haben?
Das wird sehr viel Trauer auslösen. Aber wenn der Motor mal läuft, dann ist das vergessen. Du musst das verdrängen.
Ich hatte ja zu meiner Zeit in der Formel 1 auch viele Kollegen, die tödlich verunglückt sind. Du nimmst das mit, aber nur so lange, bis der Motor wieder läuft. Gott sei Dank. Sonst könntest du als Pilot kein Rennen fahren.
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