Die Formel 1 erlebt aktuell einen Boom. Im Interview verrät Ex-Haas-Teamchef Günther Steiner die Erfolgsgeheimnisse, wie politisch es hinter den Kulissen zugeht, wie viel Show die Serie verträgt und was er aus sportlicher Sicht anders machen würde.

Ein Interview

Günther Steiner, wie gefährlich ist das Haifischbecken Formel 1 wirklich?

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Günther Steiner: Als gefährlich würde ich es nicht bezeichnen. Es ist ein grosses Geschäft, was die Summen angeht, die dort zirkulieren. Und jeder will so viel wie möglich für sich selbst haben. Deswegen nennt man es schon zurecht Haifischbecken. Seit der Übernahme von Liberty Media ist aber alles konzernmässiger geworden. Es ist nicht mehr diese Privatindustrie wie früher mit Bernie Ecclestone. Das soll nicht heissen, dass es schlecht war, es waren andere Zeiten. Es ist ein bisschen ruhiger geworden im Haifischbecken.

Welcher Teamchef ist der grösste Hai?

Der grösste Hai? Ich würde eher sagen, der schlaueste Hai. Und das ist Toto Wolff.

Was zeichnet ihn aus?

Er ist sehr intelligent. Hoffentlich hört er das nicht, denn sonst steigt ihm das noch zu Kopf. Aber er ist ein Freund. Er kommt aus der Welt des Investmentbankings. Deswegen versteht er von Geldgeschäften sehr viel. Und er arbeitet viel, ist sehr motiviert. Und das hilft ihm, der Schlaueste zu sein.

Was wiederum hilft bei der Politik hinter den Kulissen. Wie viel Politik ist im Spiel?

Es gibt zweierlei Politik. Erstens sportliche Politik, bei der jeder probiert, wenn er etwas Technisches hat, was die anderen nicht haben, das zu schützen. Etwas durchzubringen, wenn es im Reglement eine Grauzone gibt, damit du schneller bist auf der Strecke. Das ist die grösste Politik, die betrieben wird. Und dann gibt es die Politik, um finanziell gut dazustehen. Aber es ist im Geschäftsleben normal, dass du Politik machen musst.

"Das Wichtigste sind Einsatz und Intelligenz"

Was braucht man, um im F1-Geschäft erfolgreich sein zu können?

Man muss, wie in jedem anderen Geschäft, mit Leuten zurechtkommen, auch wenn man mit ihnen eigentlich nicht zurechtkommt. Man muss Beziehungen haben. Man muss sehr aktiv sein, dass man immer auf dem Laufenden ist. Dann kann man erfolgreich sein. Aber das Wichtigste sind Einsatz und Intelligenz.

Um erfolgreich zu sein, muss man auch mit Druck umgehen. Wie haben Sie das gemacht?

Ich kann gut mit Druck umgehen. Wenn Druck da ist, baue ich ihn schnell ab. Ich bin mir immer bewusst, um was es geht. Man muss probieren, eine Lösung zu finden und ein Problem nie wegschieben. Man muss sich im Klaren darüber sein, was man will und eine gewisse Selbstsicherheit haben. Und die Zeit, in der ich nicht arbeite, verbringe ich mit meiner Familie, damit ich ruhig werde, Zeit für mich selbst finde und über alles nachdenken kann. Mit dem Druck umzugehen, lernt man über die Jahre, sonst überlebt man im Motorsport nicht. Sonst macht der Druck dich kaputt.

Wenn Sie zurückschauen: Was würden Sie heute anders machen als Haas-Teamchef?

Es sind kleine Dinge, denn die grossen Dinge haben wir nicht so schlecht gemacht. Was ich für mich persönlich anders machen würde: 2022, zur Mitte der Saison, hätte ich Haas verlassen sollen. Die Probleme haben begonnen, als kein Wachstum mehr da war für das Team. Dass wir stehengeblieben und nicht mehr weitergekommen sind. Erfolg war nicht mehr möglich, weil die Investitionen gefehlt haben.

Warum haben Sie trotzdem weitergemacht?

Das ist dieser Trieb. Man hat ein Team, man hat soziale Verantwortung für die Menschen. Ich glaube immer an das Gute, ich habe probiert, Lösungen für das Problem zu finden. Ich habe Investoren gefunden, Gene Haas wollte sie aber nicht. Deswegen kann ich jetzt sagen, dass ich hätte gehen sollen.

Warum wollte das Gene Haas die Investoren nicht? Geld bringt ja den Erfolg in der Formel 1...

Sie haben es erfasst. Ich habe probiert, ihm das zu erklären, er hat es aber nicht verstanden. Er war der Meinung, dass man es ohne das grosse Geld machen kann, nur mit mehr Einsatz. Doch du musst das Geld haben, Investitionen tätigen, um konkurrenzfähig zu sein, um zu gewinnen. Ich will ja nicht nur mitfahren. Doch Herr Haas wollte kein Geld mehr ausgeben, er ist happy, mitzufahren und hin und wieder Punkte zu holen.

So rasant ist die Formel 1 gewachsen

Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Formel 1 unter Liberty Media?

Was in der Formel 1 in den letzten sieben Jahren passiert ist, ist einzigartig. Liberty Media wusste, was möglich war mit dem Geschäft Formel 1 und sie haben alles umgesetzt, was sie sich vorgenommen haben. Die haben ein Geschäft gekauft, das heute viermal mehr wert ist. Als wir mit Haas 2016 das erste Mal gefahren sind, konntest du ein Team für einen Dollar kaufen, das waren Negativgeschäfte. Jetzt hat jedes kleine Team Übernahmeangebote von Investmentfirmen, die starten bei einer Milliarde Dollar. Da sind viele Nullen hinzugekommen.

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Was sind denn die Gründe für das rasante und erfolgreiche Wachstum?

Die Pandemiezeit hat sehr geholfen, weil Formel 1 der erste Sport war, der live zurückgekommen ist. Die Leute sassen zu Hause, wussten nicht, was sie in der Quarantäne tun sollten, haben sich das angeschaut und viele sind als Fans dabeigeblieben. Auch die Nutzung der sozialen Medien hat viel geholfen, das gab es vorher überhaupt nicht. Liberty Media hat das gepusht. Auch die Doku "Drive to Survive" hat viele neue Zuschauer gebracht. Das war sehr viel kluge Strategie, aber auch ein bisschen Glück: richtige Zeit, richtiger Ort.

Was auch neu ist: Glitzer-Rennen wie der Las-Vegas-Grand-Prix zum Beispiel, aber auch nächstes Jahr eine Art Eröffnungsfeier. Wie viel Show verträgt der Sport noch?

Die Formel 1 verträgt noch sehr viel mehr Show, solange der Sport nicht in den Hintergrund tritt. Und das macht Liberty Media gut: Das Rennen am Sonntag ist immer noch das Wichtigste. Die Show übernimmt nicht den Sport. Wenn man das Show-Element nicht mag, braucht man es nicht anzuschauen. Man kann den Sport trotzdem verfolgen, weil es getrennt ist. Aber ich lebe in den USA, ich habe gelernt, dass die Leute viel Unterhaltung neben dem Sport brauchen. Und das hat Liberty Media ausgenutzt.

"Man muss aufpassen, dass man es nicht übertreibt"

Trotzdem gibt es gerade bei der Formel 1 immer noch sehr viele Traditionalisten. Wie schwierig ist denn der Spagat zwischen Tradition und Moderne?

Man muss aufpassen, dass man es nicht übertreibt. Aber die Traditionalisten sollten auch nicht zu kritisch sein und die Show davor und danach im Zweifel einfach nicht anschauen, denn der Sport ist immer noch derselbe. Dem Sport wurde nichts weggenommen, es wurde nur zusätzlich Unterhaltung hinzugefügt.

Zur Vermarktung gehört auch die von Ihnen erwähnte Netflix-Doku. Sie waren einer der Stars. War die Doku für Sie Fluch oder Segen oder beides?

Sie war mehr Segen als Fluch. Es gibt immer negative Stimmen, aber die sind so klein, dass es mir nicht viel ausmacht. Aber die Dokuserie war vor allem sehr gut für die Formel 1, um neue Fans zu bekommen. Auch für uns als kleines Haas-Team war sie sehr gut. Dadurch wurden wir erst richtig bekannt, denn vorher gab es fast niemanden, den das Team interessiert hat. Durch diese Serie gab es auch finanzielle Vorteile, weil Sponsoren interessiert waren. Ich persönlich habe die Serie nie geschaut, muss ich Ihnen sagen. Ich werde sie auch in naher Zukunft nicht schauen.

Warum das?

Als die Serie herauskam, gab es eine Besprechung der F1-Kommission. Da waren der FIA-Präsident, der Geschäftsführer der FOM und die zehn Teamchefs dabei. Als ich da reingekommen bin, hatten alle eine Meinung. Nicht negativ, sondern nach dem Motto: "Hast du gesehen, was du gemacht hast?" Deswegen habe ich entschieden, es nicht zu schauen, weil ich in keine Diskussion reingehen wollte, ob es gut oder schlecht ist. Und ich wollte mich auch nicht, wenn ich nicht glücklich bin mit dem, was ich sehe, anders benehmen. Ich wollte ich bleiben.

Steiner findet den Kalender nicht bedenklich

Unter Liberty Media gibt es inzwischen 24 Rennen mit Glamour-GPs wie in Las Vegas oder in umstrittenen Staaten wie Saudi-Arabien: Sind Umfang und Inhalt des Kalenders bedenklich?

Ich finde es nicht bedenklich, was Umfang und Inhalt angeht. Ich habe zum Beispiel in Saudi-Arabien die Erfahrung gemacht, dass sich die Leute freuen, dass wir kommen. Es gibt den Vorwurf des Sportswashing. Ich glaube, wir helfen dem Land, sich weiterzuentwickeln. Ich habe zum Beispiel mit einem Mann am Flughafen gesprochen. Er hat gesagt, dass es das Beste ist, was ihnen passieren kann. Sie müssen ihre Kultur ändern und die Formel 1 hilft dabei. Die jungen Leute sind ganz anders als die alte Kultur dort. Und deshalb sehe ich es nicht kritisch. Es ist kein Sportswashing.

Sport und Politik lassen sich oft nicht trennen. Darf sich die Formel 1 den Geschehnissen dort gegenüber überhaupt komplett verschliessen?

Das jeweilige Land muss seine Politik machen und sich darum kümmern. Der Sport sollte sich aus der Politik heraushalten, solange er das Richtige tut. Und die Formel 1 mischt sich nicht ein und macht es damit meiner Meinung nach richtig.

Fahrer wie Lewis Hamilton oder früher Sebastian Vettel sehen das anders und sagen offen ihre Meinung…

Ich persönlich finde, man sollte sich zurückhalten und sich auf den Sport konzentrieren. Ich kann den Leuten nicht sagen, was sie tun sollten, dürfen, müssen. Manchmal werden Personen benutzt, um Politik zu machen. Und deswegen halte ich mich da immer raus.

Wenn wir zum Sportlichen kommen: Die Unterhaltung auf der Strecke stimmt in diesem Jahr. Glauben Sie, dass es 2025 ähnlich eng und unterhaltsam bleibt?

Ich denke schon, denn das Reglement ändert sich nicht. Und die Teams werden dazu übergehen, das neue Auto für 2026 zu entwickeln, weil es ein komplett neues Reglement gibt. Die Autos sind nahe beieinander im Moment. Deswegen glaube ich, dass es nächstes Jahr wieder so spannend wird wie in der zweiten Jahreshälfte. Vielleicht geht es sogar noch enger zu.

Steiner: Noch mehr Sprintrennen

Welches sportliche Element würden Sie noch einführen?

Ich würde zu noch mehr Sprintrennen gehen. Die Zuschauer wollen immer einen Wettkampf sehen. Es ist in unserer Zeit schwierig, Leute für ein freies Training zu begeistern. Wer schaut gerne einem Fussballklub beim Training zu? Nicht viele. Deswegen sage ich: Wenn die Autos auf der Strecke sind und es übertragen wird, sollte es um etwas gehen.

Sie sind TV-Experte. Hat sich Ihr Blick auf das Formel-1-Geschäft verändert?

Ja, ich habe eine andere Perspektive. Ich habe viel gelernt. Denn wenn man drin ist, ist man in seinem Tunnel. Man sieht nur sein eigenes Team. Von aussen sieht man viel mehr. Und man lernt, wie gross dieser Sport eigentlich ist und wie viele Leute dazu beitragen, den Sport gross zu machen.

Wann kehren Sie ins Haifischbecken zurück? Juckt es inzwischen wieder?

Ich vermisse die Formel 1 nicht, weil ich als TV-Experte immer noch dabei bin. Ich habe noch meine ganzen Beziehungen, kenne die ganzen Leute. Ich würde zurückkehren, wenn es ein Projekt gibt, was mich interessiert, die Energie habe ich und die Erfahrung auch. Aber nur zurückkehren, um einen Job zu haben – das tue ich mir nicht an.

Über den Gesprächspartner

  • Günther Steiner war von 2014 bis Anfang 2024 zehn Jahre lang Teamchef bei Haas. Bereits zuvor war er in leitenden Funktionen bei den F1-Teams von Red Bull und Jaguar aktiv. Der 59-Jährige wurde vor allem durch die F1-Doku "Drive to Survive" einem grossen Publikum bekannt. Inzwischen arbeitet er als Experte unter anderem für RTL.
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