Mit Sebastian Vettel hat Deutschland in der Formel-1-Saison 2020 nur noch einen Fahrer am Start. Vettels Vertrag bei Ferrari aber wurde über die Saison hinaus nicht verlängert. Es droht eine Formel 1 ohne deutschen Piloten. Das gab es bis jetzt nur ein Mal.

Mehr Formel-1-Themen finden Sie hier

Noch fährt Sebastian Vettel in der Formel 1. Die Zukunft des erfolgreichsten deutschen Fahrers nach Rekord-Weltmeister Michael Schumacher ist aber offen.

Wenn Vettels Vertrag bei Ferrari am Jahresende ausläuft, steht das ehemals führende Formel-1-Land - Stand jetzt - ohne eigenen Piloten da. Das gab es in der Geschichte der modernen Formel 1, die 1950 mit einem Rennen in Silverstone begann, nur einmal: in der WM-Saison 1981.

Der Schumacher-Vettel-Boom ist vorbei

Der Boom, den Shootingstar Michael Schumacher 1994 als erster deutscher Formel-1-Weltmeister auslöste, ist vorbei. Vettel gelang es in bisher fünf Jahren im Ferrari nicht, an seine WM-Serie bei Red Bull anzuknüpfen. Nach den hintereinander errungenen Titeln von 2010 bis 2013 erwiesen sich Schumachers Fussstapfen bei der Scuderia für Vettel als zu gross.

Was aus Sicht seiner Fans bleibt, ist die Hoffnung auf einen starken Abgang Vettels: "Beim Sebastian werden wir dieses Jahr richtig Feuer sehen", sagte Landsmann Nico Rosberg vor dem Saisonstart im österreichischen Spielberg gegenüber "Motorsport-Total.com". Vettel, so vermutet Rosberg, wolle "seinen Teamkollegen Leclerc schlagen, und er will auch nochmal ein Abschlussjahr feiern mit Ferrari. Es war eine grosse Zeit bei Ferrari, leider blieb der Titel aus, aber nichtsdestotrotz waren viele Erfolge dabei, und er will das jetzt krönen mit einem tollen letzten Jahr."

Wechselt Sebastian Vettel 2021 zu Mercedes?

Die Gerüchte, Vettel wechsele zu Mercedes, wo der sechsmalige Weltmeister Lewis Hamilton die klare Nummer eins ist, reissen nicht ab. Damit ginge Vettel den gleichen Weg wie sein Vorbild Schumacher.

Deutschlands herausragender Formel-1-Fahrer gab nach einem Jahrzehnt (bis 2006) bei Ferrari 2010 sein Comeback bei Mercedes. Dort legte er bis zu seinem Abschied 2012 auch mit die Grundlage für die Dominanz der Silbernen, die seit 2014 in jedem Jahr den WM-Titel bei den Fahrern und Teams gewonnen haben: 2016 durch Rosberg und 2014, 2015 und seit 2017 durch Schumachers Nachfolger Hamilton.

Bei den Konstrukteuren gibt Deutschland durch die Traditionsmarke Mercedes in der Formel 1 also noch den Ton an. Ein Formel-1-Rennen aber fand seit 2019 in Deutschland nicht mehr statt. Die hohen Antrittsgagen für die Rennserie lassen sich in Hockenheim oder am Nürburgring nicht mehr durch Ticket-Einnahmen einspielen.

2010 fuhren noch sieben Deutsche in der Formel 1

"Es wäre nicht die erste Sportart, die es eine Zeit lang ein bisschen schwerer hat, das ist nun mal der Lauf der Zeit", sagte Michaels Bruder Ralf der dpa. Der 44-Jährige war zwischen 1998 und 2007 selbst Teil der goldenen Formel-1-Ära. Sie gipfelte 2006 in sieben deutschen Piloten in der Formel 1. Und auch vor zehn Jahren, mit der Rückkehr Michael Schumachers auf die Strecke, tummelten sich sieben deutsche Fahrer in der Formel 1.

Eng verbunden war diese Blütezeit mit dem PS-Spektakel bei RTL, das auf dem Höhepunkt der Schumacher-Ära im Schnitt mehr als zehn Millionen Deutsche sonntags vor die Fernseher zog.

"Diese Hingabe, die Michael geschenkt wurde und sich auch im Interesse an unserer Berichterstattung gezeigt hat: Das waren Dimensionen, in die man nicht wieder vorgestossen ist und die es ganz sicher auch nie wieder geben wird", sagte der langjährige RTL-Moderator Florian König der "Süddeutschen Zeitung".

RTL überträgt ab 2021 die Formel 1 nicht mehr

Aus und vorbei. Mit ein paar Geisterrennen in der am 5. Juli in Österreich beginnenden Notsaison nimmt RTL Abschied vom einstigen Quotenhit. "Natürlich fehlt was. RTL und Formel 1 hat ja lange zusammengehört", sagte selbst Ralf Schumacher, der inzwischen als Experte bei Sky die Rennserie analysiert.

Der Sender überträgt die Formel 1 vom nächsten Jahr an exklusiv im Bezahlfernsehen, nur noch vier Rennen muss Sky frei empfangbar ausstrahlen.

Christian Danner, in den Jahren 1986 und 1987 alleiniger deutscher Pilot in der Formel 1 und seit vielen Jahren TV-Experte bei RTL, sieht die Zukunft der Rennserie in Deutschland in einem Gespräch mit unserer Redaktion düster: "Wenn wir auf RTL bei einem Rennen fünf Millionen Zuschauer haben, hat Sky vielleicht ein Zehntel davon. Mit Pay-TV erreicht man viel weniger Menschen. Die Formel 1 wird für die breite Bevölkerung überhaupt nicht mehr stattfinden." Danner geht soweit, zu prophezeien: "Die Formel 1 befindet sich auf einem sehr schlechten Weg und wird in der Versenkung verschwinden."

"Die Formel 1 ist blass geworden vom Image her", sagte Danners Vorgänger bei RTL, Jochen Mass, der dpa. Der 73-Jährige bestritt bis 1982 selbst 105 Grand Prix, war im Sportwagen Michael Schumachers "Fahrlehrer" und erlebte als Co-Kommentator die RTL-Anfangsjahre mit. Ihm sei klar gewesen, "dass das Ganze irgendwann mal einen Einbruch erleben muss", versicherte Mass.

Die Bereitschaft bei Geldgebern, in den teuren Sport und den Nachwuchs zu investieren, sei gesunken. Die Grossthemen Klimaschutz und Elektromobilität haben längst auch die Formel 1 eingeholt.

"In Deutschland hat die Schumacher-Euphorie nachgelassen", pflichtete Marc Surer, seinem ehemaligen Kollegen Mass im Gespräch mit unserer Redaktion bei. "Damals glaubte jeder Vater, sein Sohn sei der nächste Schumacher. Die Väter haben in ihre Jungs investiert, und es kam dabei auch etwas heraus. Diese Euphorie ist abgeflacht."

Haug blickt mit Wehmut zurück auf die goldene deutsche Ära

Das hat auch der frühere Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug erkannt. "Vielleicht hängt das auch mit einer hierzulande extrem betriebenen Kampagne gegen das Auto zusammen", sagte der 67-Jährige und fügte mit Wehmut hinzu: "Ich erinnere mich mit Freude an die Zeiten, als deutsche Fahrer wie Schumacher, Vettel und Nico Rosberg in zwei Jahrzehnten zwölf Weltmeistertitel holten und die Welt Deutschland dafür bewunderte, genauso wie dafür, mit dem Mercedes-Silberpfeil die Messlatte für alle anderen zu sein."

Vor zehn Jahren war Haug noch mittendrin in dieser Erfolgsgeschichte. Mercedes kehrte mit einem Werksteam in die Formel 1 zurück, Michael Schumacher gab im Silberpfeil ein sensationelles Comeback. Sieben Deutsche fuhren mit - und am Ende der Saison holte Vettel den ersten seiner vier WM-Titel.

Derzeit gilt die Suche noch dem nächsten deutschen Weltmeister. Schlimmstenfalls aber, so Vettel sich im Laufe des Jahres 2020 für kein neues Team entscheiden und seine Formel-1-Karriere beenden sollte, stellt sich die Frage nach dem nächsten deutschen Formel-1-Piloten.

Die Hoffnungen ruhen auf Schumachers Sohn Mick

Für den hat allem Anschein nach Michael Schumacher selbst gesorgt. Mit dessen Sohn Mick verbinden sich die grössten Hoffnungen deutscher Fans und Motorsport-Vermarkter.

Dafür muss sich der 21-Jährige aber erst einmal in der Formel 2 durchsetzen. "Die Chancen sind da, das Talent ist da, jetzt muss man nur abwarten, dass auch die Resultate kommen", sagt sein Onkel Ralf Schumacher.

"Wenn Mick Schumacher dieses Jahr in der Formel 2 zuschlägt, dann hat er einen sicheren Platz in der Formel 1 2021", schätzt Surer die Lage ein. "Er muss natürlich Leistung bringen. Was er letztes Jahr gezeigt hat, war nicht gut genug."

Allerdings baut Surer auf Schumachers Intelligenz und Lernfähigkeit. Beide Eigenschaften habe er bereits in der Formel 3 nachgewiesen. "In der Formel 2 wird es ähnlich sein. Ich denke, dass er dort dieses Jahr vorne mitmischt." Und dann, vermutet Surer, führe Schumi junior dessen Weg aus dem Ferrari-Förderungsprogramm, in dem er bereits steckt, "zu Sauber, also zu Alfa Romeo."

Ralf Schumacher: "Nachwuchsarbeit wird vernachlässigt"

Insgesamt aber sei die Nachwuchsarbeit im deutschen Motorsport "schon etwas länger vernachlässigt worden", bemängelte Micks Onkel Ralf Schumacher. Dieser Zustand könnte sich durch die Coronakrise noch verschärfen, da die Automobilindustrie mit Absatzeinbussen kämpft. "Wenn ein Vorstand entscheiden muss, ich muss Leute entlassen oder mir ein Formel-1-Projekt leisten, dann wird das keine einfache Entscheidung", sagte Schumacher.

Zumindest die Schumacher-Familie setzt indes weiter voll auf die Karte Motorsport. Sollte Mick der ganz grosse Durchbruch doch versagt bleiben, ist da ja noch Ralf Schumachers Sohn David.

Der 19-Jährige hat es bereits in die Formel 3 geschafft, fuhr jüngst sogar schon in der virtuellen Formel-1-Serie mit und gilt bei manchen Experten sogar als etwas talentierter als sein Cousin. Und so könnte ein neuerlicher Formel-1-Aufschwung in Deutschland wieder an einem Schumacher hängen.

Alle deutschen Formel-Piloten der letzten 30 Jahre:

  • 2020: Sebastian Vettel
  • 2019: Sebastian Vettel, Nico Hülkenberg
  • 2018: Sebastian Vettel, Nico Hülkenberg
  • 2017: Sebastian Vettel, Nico Hülkenberg, Pascal Wehrlein
  • 2016: Sebastian Vettel, Nico Rosberg, Nico Hülkenberg, Pascal Wehrlein
  • 2015: Sebastian Vettel, Nico Rosberg, Nico Hülkenberg
  • 2014: Sebastian Vettel, Nico Rosberg, Nico Hülkenberg, Adrian Sutil
  • 2013: Sebastian Vettel, Nico Rosberg, Nico Hülkenberg, Adrian Sutil
  • 2012: Michael Schumacher, Sebastian Vettel, Nico Rosberg, Nico Hülkenberg, Timo Glock
  • 2011: Michael Schumacher, Sebastian Vettel, Nico Rosberg, Nico Hülkenberg, Adrian Sutil, Timo Glock
  • 2010: Michael Schumacher, Sebastian Vettel, Nico Rosberg, Nico Hülkenberg, Adrian Sutil, Timo Glock, Nick Heidfeld
  • 2009: Sebastian Vettel, Nico Rosberg, Nick Heidfeld, Adrian Sutil
  • 2008: Sebastian Vettel, Nico Rosberg, Nick Heidfeld, Adrian Sutil, Timo Glock
  • 2007: Ralf Schumacher, Nico Rosberg, Sebastian Vettel, Nick Heidfeld, Adrian Sutil
  • 2006: Michael Schumacher, Ralf Schumacher, Sebastian Vettel, Nico Rosberg, Nick Heidfeld, Adrian Sutil, Michael Ammermüller
  • 2005: Michael Schumacher, Ralf Schumacher, Nick Heidfeld
  • 2004: Michael Schumacher, Ralf Schumacher, Nick Heidfeld, Timo Glock
  • 2003: Michael Schumacher, Ralf Schumacher, Nick Heidfeld, Heinz-Harald Frentzen
  • 2002: Michael Schumacher, Ralf Schumacher, Nick Heidfeld, Heinz-Harald Frentzen
  • 2001: Michael Schumacher, Ralf Schumacher, Nick Heidfeld, Heinz-Harald Frentzen
  • 2000: Michael Schumacher, Ralf Schumacher, Nick Heidfeld, Heinz-Harald Frentzen
  • 1999: Michael Schumacher, Ralf Schumacher, Heinz-Harald Frentzen
  • 1998: Michael Schumacher, Ralf Schumacher, Heinz-Harald Frentzen
  • 1997: Michael Schumacher, Ralf Schumacher, Heinz-Harald Frentzen
  • 1996: Michael Schumacher, Heinz-Harald Frentzen
  • 1995: Michael Schumacher, Heinz-Harald Frentzen
  • 1994: Michael Schumacher, Heinz-Harald Frentzen
  • 1993: Michael Schumacher
  • 1992: Michael Schumacher
  • 1991: Michael Schumacher, Michael Bartels
  • 1990: Bernd Schneider

(hau/dpa)

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.