Am 15. September ist beim Streaminganbieter Netflix eine fast zweistündige Dokumentation über Michael Schumacher erschienen. Die Doku skizziert Schumachers Aufstieg zum wohl erfolgreichsten Rennfahrer der Geschichte, zeichnet aber auch ein Bild des Menschen Schumacher. Vor allem die letzten elf Minuten der Doku über den Skiunfall sind intensiv und hallen nach.

Eine Kritik
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Meribel, Frankreich. Die schneebedeckten Alpen. Sonnenschein. Ein Skiparadies. Urlaubsidylle. Hier ist die Welt in Ordnung, hier steht die Zeit still. Die Kamera schwebt über den Bergen, fängt Skilifte ein, während Nachrichtensprecher im Hintergrund den Unfall von Michael Schumacher vermelden. So beginnen die letzten elf Minuten der Dokumentation über den siebenmaligen Formel-1-Weltmeister. Der letzte Teil des fast zweistündigen Films ist kein Happy End, dafür aber fraglos der stärkste, der intensivste, der emotionalste Teil. Tieftraurig und berührend.

Schumachers Frau Corinna erinnert sich noch an die Worte ihres Mannes: "Der Schnee ist nicht optimal, wir könnten ja nach Dubai fliegen." Zum Fallschirmspringen. Das führt zu der unweigerlichen Frage, die sich heute immer noch alle stellen: Warum lief an dem 29. Dezember 2013 alles schief? Corinna Schumachers Stimme stockt, wenn sie über das unergründliche Thema Schicksal spricht. "Ich habe nie dem lieben Gott einen Vorwurf gemacht, warum das jetzt passiert ist. Es war einfach richtig Pech. Mehr Pech kann man im Leben nicht haben", sagt die 52-Jährige.

Keine reisserische Enthüllung

Nein, die Doku ist keine reisserische Enthüllung, wie es Schumacher nun geht, wirkliche Neuigkeiten zum Gesundheitszustand gibt es nicht, und es sind im Grunde auch nur die letzten Minuten, in denen der Unfall und die Folgen thematisiert werden.

Doch die Worte von Schumachers Frau lassen Raum für die eigenen Vorstellungen, wenn sie sagt: "Es ist ganz klar, dass Michael mir jeden Tag fehlt, und nicht nur mir, die Kinder, die Familie, sein Vater, alle, die um ihn herum sind. Jeder vermisst Michael", erklärt sie, und fügt hinzu: "Aber Michael ist ja da, anders, aber er ist da, und das gibt uns allen Kraft." Man kann sie in dem Moment spüren, die Mischung aus Traurigkeit, Trotz, Tapferkeit.

Aber auch die Liebe, wenn sich Tochter Gina-Maria erinnert: "Das war immer das Highlight, wenn er zurückkam. Das war so schön, weil er immer alles mitgemacht hat, und das stundenlang." Auch Sohn Mick, der es inzwischen selbst in die Formel 1 geschafft hat und nur selten tiefe Einblicke in das Seelenleben eines 22-Jährigen gewährt, lässt in der Doku viel emotionale Nähe zu, wenn er verrät, dass er oft an Bilder und Momente von früher denkt. "Viele Momente, wo es eine Ausstrahlung von Freude gibt", sagt er, doch nach dem Unfall sind diese Momente weniger, und es sei "ein bisschen unfair", sagt Mick.

Mick Schumacher: "Ich würde alles aufgeben, nur für das"

Er glaube, dass sein Vater und er sich heute in einer anderen Weise verstehen würden, "weil wir in einer ähnlichen Sprache sprechen, diese Motorsport-Sprache", so Schumacher junior: "Wir hätten auch viel mehr zu bequatschen. Da ist mein Kopf die meiste Zeit. Wo ich mir denke: ‚Das wäre so cool. Das wäre es jetzt.‘" Der Satz, den Mick folgen lässt, er hallt lange nach. "Ich würde alles aufgeben, nur für das."

Es ist ein starker Abschluss einer 112 Minuten langen Hommage an den Rennfahrer, aber auch an den Privatmenschen Schumacher, den Familienvater, der "uns immer beschützt" hat, so Corinna, die betont: "Jetzt beschützen wir Michael." Fans des heute 52-Jährigen kennen viele Bilder, bekommen aber auch neue Szenen und Anekdoten geboten, für den Rest ist es eine sehenswerte Doku, ein schönes Stück Formel-1-Historie, das den Aufstieg Schumachers zu einem der erfolgreichsten Rennfahrer der Welt skizziert. Das gelingt den Machern mit der nötigen Balance und Abstand, ohne pathetisch und glorifizierend zu werden. Die kritischen Töne fehlen nicht.

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Sportliche Schwerpunkte

Vom Einstieg mit Jordan 1991, zu den ersten beiden Titeln mit Benetton 1994 und 1995 inklusive Kollision mit Damon Hill, über den Skandal 1997 in Jerez mit Jacques Villeneuve bis hin zum ersten, erlösenden Titelgewinn mit Ferrari 2000 – die Macher setzen die sportlichen Akzente in Szene, setzen Schwerpunkte, beleuchten dabei aber auch immer den Menschen Schumacher.

Wie er zum Beispiel nach dem tragischen Tod von Ayrton Senna 1994 sinniert, ob er weiterfahren will: "Ich war mir nicht sicher, ob ich wieder fahren kann, ohne daran zu denken, dass ich jederzeit sterben könnte." Corinna nennt ihn den "Meister im Ausblenden. Das mentale Starke, das hatte er einfach. Er zeigt mir auch heute jeden Tag, wie stark er ist."

Wegbegleiter skizzieren den Rennfahrer und Menschen

Immer wieder kommen Wegbegleiter zu Wort wie Mika Häkkinen, Damon Hill, David Coulthard, Ex-Formel-1-Chefpromoter Bernie Ecclestone, der frühere Ferrari-Teamchef Jean Todt oder der damalige Ferrari-Technikchef Ross Brawn. Sie vertiefen das Bild über einen Fahrer mit ganz viel Talent, Fleiss und Charisma, aber auch einem kaum zu greifenden Ehrgeiz, der dafür sorgt, dass Schumacher es hin und wieder auch übertreibt. Doch so war Schumacher nur, solange es den Wettbewerb auf der Strecke gab.

So zeigt die Doku auch den "Karaoke-Star" Schumacher, der auf Partys die Leute reihenweise in den Pool wirft. Sie zeigt Bilder eines Familienurlaubs in Norwegen, den Familienvater, der seine Kinder liebt und Szenen einer Ehe, in der gegenseitige Rücksichtnahme während der Karriere wichtig war. Corinna Schumacher verrät, wie sie in Suzuka einmal die halbe Nacht auf der Toilette sass und ein Buch las, weil sie nicht schlafen konnte, sie Michael aber nicht wecken wollte. Denn Schumacher taktete seine Tage kompromisslos durch.

Schumacher ein misstrauischer Mensch

Die Erfolge Schumachers sind bekannt, punkten kann die Doku mit hintergründigen Informationen, mit Anekdoten, mit Ausführungen über den Menschen unter dem Helm. "Er war ein misstrauischer Mensch, der lange brauchte, um einem anderen Menschen zu vertrauen", sagt Corinna. Wenn, dann habe er sich aber zu 100 Prozent geöffnet. Seine Managerin Sabine Kehm spricht gar von Selbstzweifeln, "in dem Sinne: ‚Kann ich das noch?‘ Es war ihm ganz wichtig, dass im Team niemand merkte, wenn er Zweifel hatte oder verzweifelt war", so Kehm: "Darin war er extrem gut."

Extrem gut, das war Schumacher als Rennfahrer ohne Zweifel. Ähnlich gut ist auch die Dokumentation. Auch ohne Happy End.

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