Sebastian Vettel nähert sich dem Ende einer Formel-1-Saison zum Vergessen. Als Titelkandidat ist der viermalige Weltmeister gestartet. Nun ist sein Teamkollege Charles Leclerc der neue Held bei Ferrari. Mit welchen Problemen der Heppenheimer zu kämpfen hat und wie er aus der Krise finden kann: Darüber haben wir mit Motorsport-Legende Hans-Joachim "Strietzel" Stuck gesprochen.
Beim Grossen Preis von Italien leistete sich
Hans-Joachim Stuck: Das ist der Lauf der Zeit. Nun stellt sich Frage, wie er damit umgeht. Nach Leclercs Monza-Erfolg hat er ganz schön was abbekommen. Aber: Was er gemacht hat - in einen anderen Fahrer hineinfahren, als er wieder auf die Strecke kommen will - das geht natürlich nicht. Er hat das Fahren ja nicht verlernt. Nun gibt es aber jemanden, der besser ist.
Mit welchen Problemen kämpft Sebastian Vettel gerade?
Er wird älter. Aber er wird Leclerc in diesem Jahr sicher noch einmal schlagen. Darauf wette ich. Er ist ja nicht aus der Welt, es geht um Kleinigkeiten. In den nächsten Wochen kommen Strecken, die nicht unbedingt für Ferrari geeignet sind, da sind die Karten wieder neu gemischt.
Aber beim letzten Rennen in Monza hat mich Charles Leclerc total begeistert. Wie er Hamilton am Start niedermachte, wie er dem Druck von Hamilton und Bottas standhielt, das ist sensationell. Chapeau. Da wächst ein sehr Guter heran.
Welches ist Leclercs Erfolgsgeheimnis im Moment?
Wenn man solch einen Lauf hat, gelingt alles. Dieser junge Mann gewinnt in Spa, auf einer der schwierigsten Strecken überhaupt. Dann kommt er nach Monza, neun Jahre hat dort kein Ferrari mehr gewonnen. Er ist jetzt ein Held. Er schläft jeden Abend mit Gänsehaut ein und wacht mit Gänsehaut auf. In dieser Phase ist er unschlagbar. Ich weiss, wovon ich spreche. Das war bei mir im Audi bei der DTM genauso.
Er hat das Selbstvertrauen gerade.
Exakt. Was Leclerc gerade hat, fehlt Sebastian Vettel. Er hat gerade kein Selbstvertrauen. Wie es bei Leclerc bergauf geht, geht es bei Sebastian bergab.
Ist die Hierarchie im Team denn nun geklärt? Denn obwohl es aussieht, als sei Vettel abgelöst, schützte Teamchef Mattia Binotto ihn ja zuletzt erneut.
Bei Hamilton und Bottas ist es ähnlich. Klar ist Hamilton der Bessere, aber Bottas gewinnt auch Rennen. Er findet sich aber damit ab. Das heisst für Sebastian: Er muss sich damit abfinden, dass er im Moment die Nummer zwei ist. Bei Red Bull oder Renault wäre das nicht so schlimm. Ferrari aber lässt einen Fahrer so schnell wieder fallen, wie sie ihn hoch bringen. Alles dreht sich nun um Leclerc. Das gibt Vettel ein schlechtes Gefühl.
Also ist Leclerc die Nummer eins?
Das ist ganz klar. Ferrari hat nach neun Jahren zu Hause wieder gewonnen. Leclerc ist jetzt die Nummer eins.
Sebastian Vettels Vertrag läuft noch bis 2020.
Schauen wir mal, was nächstes Jahr bringt. Neues Spiel, neues Glück. Er wird eine ordentliche Winterpause machen und schauen, dass er den Kopf freikriegt. Aus diesem Grund hat er ja einen Teamkollegen. An ihm kann er sich hochziehen.
An ihm kann er aber auch zerbrechen - Sebastian muss schauen, dass er nicht zerbricht. Er soll zeigen, dass er Sebastian Vettel ist. Leicht gesagt, schwer getan.
Also abhaken und weiter geht's?
Ja. Diese Saison ging ihm alles sehr nah. Man hat das bei Interviews gemerkt, er wirkte sehr in sich gekehrt. Das hat ihn schon schwer belastet. Er muss den besten Mentaltrainer kriegen, den er haben kann – oder seinen Leuten sagen, dass sie ihn aufbauen sollen.
Diese Schweigsamkeit passt kaum zu Vettel, der sonst immer sehr positiv wirkt. Woran könnte das noch liegen? An der Gesamtsituation bei Ferrari?
Bei Red Bull wurde ihm jeder Wunsch von den Augen abgelesen. Bei Ferrari gab es einige Weltmeister vor ihm, hier ist er nicht der King, der er bei Red Bull war. Bei Ferrari hatte er von Anfang an viel mehr Druck. Natürlich war nicht alles sein Fehler, das Auto war nicht immer optimal. Vielleicht wäre manches unter Binotto [Ferrari-Teamchef seit Januar 2019; Anm.d.Red.] von Anfang an anders gelaufen, denn Arrivabene war kein besonders guter Manager.
Lassen Sie uns noch einmal über das Auto sprechen. Während Leclerc nun an seinem Boliden gefeilt hat, wird man bei Vettel das Gefühl nicht los, er wird mit dem SF 90 nicht warm.
Ich kenne das Auto nicht. Die Fahrer haben unterschiedliche Vorlieben, doch das Team muss sich am Ende festlegen. Es kann sein, dass das 2019er Auto Leclerc besser passt. Daran kann man arbeiten, aber das muss das Personal auch hinkriegen. Solch ein Wagen wird ja aus vielen, vielen Einzelteilen zusammengebaut. Jedes Teil wird zwar geprüft, aber niemals sind zwei Teile genau gleich. Sicher ist, dass Leclerc ab sofort immer das bessere Teil bekommen wird.
In diesem Jahr bleibt Sebastian Vettel nicht mehr viel Zeit, mit seinem Wagen warm zu werden.
Nein, diese Saison kann er abschreiben. Es soll das Beste daraus machen, vielleicht holt er noch einen Sieg. Singapur ist eigentlich keine Ferrari-Strecke. Er soll das ordentlich zu Ende fahren, so viele Punkte wie möglich holen. Seinen Teamkollegen noch einmal schlagen. Dann geht es los mit der Vorbereitung für das nächste Jahr.
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