Die Formel 1 befindet sich in Deutschland weiter in einer Abwärtsspirale, die Quoten sinken erneut. Die Königsklasse gibt hierzulande Rätsel auf. Wir haben mit einem Experten darüber gesprochen.
Zahlen lügen in der Regel nicht. So gesehen sind die TV-Quoten der Formel 1 ein Alarmsignal. Ein schrillendes. Denn dass 2024 im Schnitt nur 1,59 Millionen Zuschauer die sieben von RTL übertragenen Rennen der Königsklasse gesehen haben, ist das mit Abstand schlechteste Ergebnis des Privatsenders. Zum Vergleich: 2022, als RTL vier Rennen übertrug, waren es noch 2,54 Millionen. Und 2020, als man noch alle Rennen zeigte, sogar noch rund vier Millionen.
Auch Pay-TV-Sender Sky hat mit einem Rückgang der Einschaltquoten zu kämpfen. Dort waren bei allen 24 Rennen im Schnitt 684.000 Menschen dabei, was einem Minus von zwölf Prozent entspricht. Der logische Rückschluss: "Die Formel 1 befindet sich in Deutschland auf dem absteigenden Ast", wie Dr. Daniel Nölleke vom Institut für Kommunikations- und Medienforschung an der Sporthochschule Köln im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt. Das Problem dabei: Die Suche nach den Gründen ist deutlich komplizierter, "denn vor allem Nichtnutzung kann man nur schwer erklären", so Nölleke. Die Formel 1 gibt in Deutschland also Rätsel auf.
Das Perfide dabei: In anderen Ländern beziehungsweise Märkten funktioniert die Formel 1 deutlich besser. In Deutschland jedoch hilft es nicht einmal mehr, dass die Motorsport-Königsklasse zu einem gewissen Teil wieder im Free-TV zu sehen war: RTL übertrug nach einer Pause 2023 immerhin sieben der 24 Rennen. "Dadurch ist eine Relevanzzuweisung erfolgt, bei der das Publikum oft mitgeht und sagt: 'Okay, das schaue ich mir an'", erklärt Nölleke den normalerweise üblichen Effekt.
Interessensschwelle ist zu hoch
Der trat jedoch nicht ein. "Der Versuch, die Formel 1 wieder aus der Taufe zu heben, war nicht erfolgreich, weil die Interessensschwelle offenbar so hoch ist, dass sie nicht übersprungen werden konnte", sagte Nölleke. Und stellte klar: "Tatsächlich ist die Formel 1 offenbar aktuell für viele in der deutschen Sportöffentlichkeit kein so relevantes Produkt mehr."
Doch was ist mit dem sogenannten Netflix-Effekt? Die Doku "Drive to Survive" hat den Boom rund um die Rennserie nach den sportlich langweiligen Jahren mit der erdrückenden Mercedes-Dominanz vor ein paar Jahren neu entfacht, weil mit der Serie eine neue Nähe geschaffen wurde. Die Protagonisten wurden vor allem in den USA quasi zu Popstars. Doch Auswirkungen der Doku auf die TV-Quoten sind in Deutschland nicht zu beobachten.
"Die Doku stösst nicht auf so einen Nährboden wie in anderen Ländern, wo man für diesen Sport oft überhaupt erstmal grundsätzlich begeistert werden muss. Dort ist das Potenzial viel grösser", sagt Nölleke. Und die in anderen Ländern tatsächlich vollzogene Querverbindung, dass ein Doku-Zuschauer die Formel 1 dann auch im "normalen Leben" sehen möchte, ist hierzulande nicht so ausgeprägt. Was möglicherweise auch daran liegt, dass neue Zuschauer durch das Soap-ähnliche Storytelling fasziniert, durch die Rennsport-Realität dann aber ernüchtert werden.
Seit Schumacher auf dem absteigenden Ast
Hinzu kommt, dass das Niveau in Deutschland mal ein anderes war. Zu Zeiten von Michael Schumacher in den 1990er und frühen 2000er Jahren zog es über zehn Millionen Menschen vor die Fernseher, da war ein Rennen ein gesellschaftliches Ereignis. Als Sebastian Vettel von 2010 bis 2013 die Formel 1 als viermaliger Weltmeister dominierte, hatte das Interesse bereits merklich nachgelassen. Und auch Mercedes und
Ein weiterer Faktor für die schwindende Relevanz: Waren 2010 noch sieben deutsche Fahrer in der Formel 1, ist es seit 2023 nur noch einer. Das Problem: In
Zeitgeist als Argument?
Könnte man auch über den Zeitgeist argumentieren und sagen, dass Motorsport diesem nicht mehr entspricht und die Formel 1 Nachhaltigkeitswerte mit Füssen tritt? Eine Studie der Sporthochschule Köln zur Nachhaltigkeitskommunikation im Motorsport hat ergeben, dass dies ein immer wichtigeres Thema der Teams ist. "Es gibt viele Versuche, auch diesen Sport möglichst klimaneutral zu halten. Diese Erklärung überzeugt mich nicht, weil ich nicht glaube, dass der Zeitgeist in Deutschland grundsätzlich ein anderer ist als in Ländern, wo die Formel 1 erfolgreicher ist", so Nölleke.
Eine Erklärung sei daher, dass man "in Deutschland von einem extrem hohen Niveau kommt, ein gewisses Verständnis von der Formel 1 entwickelt hat, und merkt, dass die Rennserie in Deutschland nicht mehr den früheren Erfolg hat", sagt Nölleke. Die allgemeine Wahrnehmung laut dem Experten ist daher eine ernüchternde: "Dass es in Deutschland mit der Formel 1 ein bisschen zu Ende geht, dass sie in gewisser Weise brach liegt. Und das lockt dann niemanden mehr so richtig an." Beziehungsweise nicht mehr so viele wie früher, sondern nur noch den harten Kern.
Bei Sky ist man trotzdem zufrieden
Interessant ist, dass man bei Sky trotzdem zufrieden ist, da es einen "relativ hohen Anteil von Hardcore-Fans" gebe, sagte Sky-Chefredakteur Alexander Rösner dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Deshalb gebe es sehr gute Zuschauerzahlen beim Vor- und beim Nachlauf der Rennen: "Das gibt es so in anderen Sportarten nicht." Für Sky sei die Formel 1 sowieso "aus vielen Gründen wichtig", sagte Rösner. "Es ist ein sehr gutes Recht, das sich lohnt", da man "neue Zielgruppen" erschliesse.
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Nölleke findet dieses Argument "grundsätzlich plausibel. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass es aktuell grossartig zieht und dass es die jungen Menschen sind, die sich vor allem für die Formel 1 interessieren". Allerdings gehörte die Formel 1 schon immer zum Markenkern von Sky. Und wichtig ist es, diesen Status zu pflegen. "Denn es gibt durchaus noch die Motorsport-Begeisterten, für die die Formel 1 immer noch das Heiligtum des Motorsports ist."
Was bewirkt der Audi-Einstieg?
Kann dieser Kreis der Motorsport-Begeisterten eventuell durch den Audi-Einstieg vergrössert werden? "Die Frage ist ja: Was zieht die Leute an beim Motorsport, sind es wirklich die Teams?", fragt Nölleke und liefert die Antwort gleich mit: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass bei einer neuen Fan-Community entscheidend ist, ob auf dem Auto Audi steht. Die Identifikation der Fans funktioniert viel stärker über die Sportler als über die Teams." Ein Audi-Fahrer für 2025 ist Hülkenberg. Heisst: Viel ändern dürfte sich nicht, es bleibt kompliziert. Denn die aktuellen Zahlen lügen nicht.
Über den Gesprächspartner
- Dr. Daniel Nölleke ist als Juniorprofessor für "Sportjournalismus und Öffentlichkeitsarbeit" an der Deutschen Sporthochschule in Köln am Institut für Kommunikations- und Medienforschung tätig.
Verwendete Quelle
- Redaktionsnetzwerk Deutschland: Die Formel 1 boomt – nur in Deutschland nicht
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