Der frühere Formel-1-Fahrer und heutige Experte Ralf Schumacher spricht vor dem Rennen in Zandvoort (Sonntag, 15 Uhr, live auf Sky) über die Verfolger von Max Verstappen, die Perspektive von Nico Hülkenberg sowie Mick Schumacher und über die Probleme des deutschen Motorsports.
Herr Schumacher, wir befinden uns hier im niederländischen Zandvoort, wo ein echter Hype um
Red Bull scheint nicht mehr die Übermacht zu sein. Max Verstappen hat keines der letzten vier Rennen gewonnen, Teamkollege Sergio Perez in dieser Saison noch gar keins. Auf was für ein Rennwochenende können wir uns nun einstellen?
Der Alleskönner McLaren wird auf jeden Fall wieder funktionieren. Auch bei Red Bull wird man nicht geschlafen haben. Deren Wagen könnte es auf dieser Strecke auch gutgehen. Mercedes ist eigentlich immer ein Überraschungskandidat und war in den letzten Rennen ganz gut dabei.
Schumacher: Hamilton bei Ferrari wird ein Abenteuer
In der Fahrerwertung ist Lando Norris im McLaren der engste Verfolger von Max Verstappen, hat allerdings einen Rückstand von 78 Punkten. Können wir trotzdem noch auf eine spannende Meisterschaft hoffen?
Ja, da bin ich mir eigentlich ziemlich sicher. Das liegt allerdings auch an Lando. Der muss einfach konstanter werden und den einen oder anderen Fehler, speziell beim Start, weglassen. Wenn er das hinbekommt, kann daraus etwas werden.
Lassen Sie uns ein wenig über die Zukunft sprechen.
Er hat jetzt gerade bewiesen, dass er es nach wie vor noch kann (Hamilton gewann zwei der letzten drei Rennen, Anm.d.Red.). Ich glaube, zwischenzeitlich hat er selber ein bisschen daran gezweifelt. Er hatte eine harte Zeit. Ich freue mich für ihn. Gerade bei seinem Sieg in Silverstone war er sehr emotional. Das kennt man von ihm ansonsten nicht, fand ich aber sehr schön. Ferrari wird für ihn ein neues Abenteuer. Allerdings liegt ihm vielleicht das Auto nicht so sehr, weil das eher auf Leclerc abgestimmt ist. Allerdings hat Ferrari offenbar den Kampf um Adrian Newey verloren…
Sie meinen den Ausnahme-Ingenieur, der den Red Bull schnell gemacht hat und nun offenbar zu Aston Martin wechselt…
Genau. Es wird spannend zu sehen sein, wie sich der Ferrari entwickelt. Zeitweise schien er gut zu funktionieren, aber nun scheint irgendwie der Wurm drin zu sein. Sie müssen schnell ihren Weg finden.
Hülkenberg ohne Punktgewinn trotz guter Technik
Der momentan einzige deutsche Fahrer
Ja, das auf jeden Fall. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass es zwischenzeitlich offenbar auch bei Audi Probleme gegeben hat. Das hat man selber zugegeben und daher eine Veränderung auf der Führungsetage vorgenommen. Das wird allerdings alles Zeit brauchen. Ich wüsste nicht, warum es im kommenden Jahr plötzlich besser werden sollte.
Ist Nico Hülkenberg vielleicht einer der meistunterschätzen Fahrer?
Nein, das würde ich so nicht sagen. Er hatte in seiner Karriere schon einige Möglichkeiten, die er nicht immer genutzt hat. Jetzt hat er allerdings noch einmal einen Schritt nach vorne gemacht. Im Qualifying (Samstag um 15 Uhr, live auf Sky) war er schon immer stark. Aber jetzt ist er auch in den Rennen sehr schnell. Das freut mich für ihn. Er braucht bei Audi allerdings einen guten Teamkollegen neben sich. Ansonsten wird es schwer, ein Team alleine aufzubauen.
Wen können Sie sich an seiner Seite vorstellen?
Das ist schwer zu sagen. Die Formel 1 ist anders als früher zu meiner Zeit. Wenn ich sehe, was für Fahrer heute alles in der Formel 1 fahren dürfen... Das hätten frühere Teamchefs wie Frank Williams oder Eddie Jordan nie zugelassen.
Bringt Audi die Formel-1-Rennen wieder nach Deutschland?
Wie gross schätzen Sie die Chance ein, dass
Ich glaube, er hätte es verdient. Er hat einen grossen Erfahrungsschatz und hat sich weiterentwickelt, vor allem als Persönlichkeit. Ich drücke ihm die Daumen.
Wie gross ist Ihre Hoffnung, dass wir in den nächsten Jahren wieder einmal ein Formel-1-Renne in Deutschland haben werden?
Ich glaube daran. Es gibt jetzt den einen oder anderen Enthusiasten, der in Hockenheim investieren will. Nun kommt Audi in der Formel 1 dazu. Ich glaube, auch Mercedes hat signalisiert, dass sie das unterstützen würden, wenn Audi ein Rennen nach Deutschland bringen will. Ich kann mir vorstellen, dass wir 2026 oder 2027 in Deutschland wieder etwas sehen werden.
Das Formel-1-Interesse in Deutschland hängt natürlich auch damit zusammen, ob deutsche Fahrer in der Königsklasse unterwegs sind. Wie schätzen Sie die Perspektive von Tim Tramnitz, der am Sonntag als Co-Kommentator bei Sky Next Generation fungiert, und Oliver Goethe ein, die beide in der Formel 3 aktiv sind?
Ich denke, dass Tramnitz auch kommende Saison noch einmal in der Formel 3 fahren wird. Er hat bislang eine ordentliche erste Saison hingelegt, vor allem sehr stark angefangen. Zwischenzeitlich gab es einige Ups and Downs. Aber das ist ganz normal. Goethe macht es auch ordentlich, wobei man bei ihm vielleicht nach der Saison zuvor etwas mehr erwartet hätte. Ich könnte mir vorstellen, dass er nächstes Jahr in der Formel 2 fahren wird. Er hat Potenzial.
Wer weit kommen will, muss tief in die Tasche greifen
Es ist bekannt, dass Motorsport sehr teuer ist. Wie viel Geld ist ungefähr notwendig, um vom Kartsport über die verschiedenen Rennklassen eines Tages in die Formel 1 zu gelangen?
12 bis 15 Millionen Euro braucht man dafür, eher 15 als 12.
Ihr Sohn ist ebenfalls im Motorsport aktiv und fuhr unter anderem in der DTM. Nun hatten Sie natürlich aufgrund Ihrer Vergangenheit in der Formel 1 die finanziellen Möglichkeiten, um Ihren Sohn zu unterstützen. Wie früh würde man als Normalverdiener an Grenzen stossen, wenn der Sohn oder die Tochter Motorsport betreiben möchte?
Als Normalverdiener stösst man bereits im Kartsport an diese Grenzen. Schon in Deutschland müsste man 60.000 oder 70.000 Euro im Jahr hinlegen. Möchte man international Kartfahren, wie zum Beispiel Lando Norris das früher gemacht hat, reden wir über andere Summen. Der hat in seiner Kart-Zeit bestimmt 300.000 Pfund im Jahr ausgegeben. Und da sind die Reisekosten nicht einmal eingerechnet. Schlussendlich ist es im Motorsport ähnlich wie im Fussball oder im Tennis: Je mehr man trainieren kann, desto besser wird man.
Nur kostet das im Motorsport eben viel Geld. Sehen Sie in Deutschland eine Entwicklung, um junge Talente besser zu fördern? Oder wird das auch zukünftig so sein, dass eine reiche Familie oder ein reicher Sponsor die Voraussetzung ist, um vielleicht eines Tages in die Formel 1 zu gelangen?
Naja, in Deutschland hat man es ja leider hingekriegt, die Automobilwirtschaft in den letzten zwei, drei Jahren so in Bedrängnis zu bringen, dass es zunächst einmal darum geht, die Verkaufszahlen wieder in Ordnung zu bringen und die Jobs zu erhalten. Das scheint Deutschland momentan zu prägen. Mit Audi gibt es zwar einen Hersteller, der an die Formel 1 glaubt und investiert. Aber insgesamt ist es für junge Talente sehr schwierig, Sponsoren und Partner zu finden, die in den Motorsport investieren wollen.
War der Motorsport, als Sie und Ihr Bruder Michael mit dem Kartfahren und Formelsport angefangen haben, denn so viel günstiger?
Ja, es war günstiger. Vor allem konnten wir damals unseren ganz eigenen Weg gehen. Heute ist der Weg im Motorsport vorgezeichnet. Man muss international Kartfahren, dann international Formel 4 fahren und sich anschliessend über die Formel 3 und Formel 2 in die Formel 1 hocharbeiten. Das ist letztendlich ein Monopol. Und es gibt eben nur elf Formel-2-Teams und zehn Formel-3-Teams. Das ist alles teuer. Offiziell darf man nicht testen.
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Aus Kostengründen…
Aber die reichen Leute besorgen sich Teams, die ähnliche Autos haben und lassen die Fahrer dort testen. Das ist ein schwieriges System. Als die Formel 3 noch im Rahmen der DTM in Deutschland gefahren ist, war die Situation noch etwas besser. Aber leider wurde diese verkauft. Das war der grösste Fehler in der Geschichte des deutschen Motorsports. Damit hat man sich praktisch selbst beerdigt.
Es ist also schwierig, als junger Fahrer eines Tages vielleicht den Sprung in die Formel 1 zu schaffen. Hängt das auch damit zusammen, dass einige Routiniers ihre Karriere einfach nicht beenden wollen?
Ich mag Fernando Alonso. Aber in seinem Alter von 43 Jahren gehört man nicht mehr in die Formel 1. Da sollte man Platz machen für junge Leute. Das ist ja eigentlich auch der Sinn der Sache. Eltern und Sponsoren investieren so viel Geld, damit ein talentierter Fahrer vielleicht Weltmeister in der Formel 3 oder Formel 2 wird. Aber danach kommen die nicht in die Formel 1, sondern werden anderswo untergebracht, weil andere Leute um die 40 noch immer Formel 1 fahren . So etwas hat es früher nicht gegeben. Und es gibt noch etwas, was ich an der Formel 1 momentan schade finde…
Und zwar?
Dass sich die Formel 1 im Winter praktisch abschafft. Zu unserer Zeit gab es im Winter Testfahren. Darüber wurde berichtet, es ist etwas passiert, es gab Emotionen, neue Autos wurden vorgestellt. Das ist jetzt leider anders.
Noch einmal zum Thema Alter: Können Sie nachvollziehen, dass ein Fernando Alonso seine Karriere einfach nicht beenden möchte?
Ich verstehe ihn schon. Und er macht das ja auch wirklich gut, keine Frage. Aber eigentlich sollte im Altersbereich von 22 oder 24 etwas Besseres auf dem Markt sein. Aber die Formel 1 ist eben sehr komplex. Daher ist Erfahrung manchmal wichtiger als Talent.
Über den Gesprächspartner
- Ralf Schumacher (Jahrgang 1975) fuhr von 1997 bis 2007 in der Formel 1 für die Teams Jordan, Williams und Toyota. Er absolvierte 180 Grand Prix und gewann sechs Rennen. Danach ist er noch in der DTM aktiv gewesen. Der jüngere Bruder von dem siebenmaligen Formel-1-Weltmeister ist heute als TV-Experte von Sky tätig.
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