Der Titelkampf zwischen Max Verstappen und Lando Norris sorgt für jede Menge Spannung. 52 Punkte Vorsprung hat Verstappen auf Norris, bei noch sechs ausstehenden Rennen und drei Sprints. Wir haben uns vor dem anstehenden Rennen in Austin mit Sky-Experte Timo Glock über den Titelkampf unterhalten.
Timo Glock, wie oft haben Sie in Ihrer Formel-1-Karriere das böse F-Wort benutzt?
Timo Glock: Oft. Vor allem am Funk, als ich mit meinem Renningenieur gesprochen habe und es zu hitzigen Diskussionen kam. Damals war das fast schon Umgangssprache, niemand hat sich Gedanken darüber gemacht und es gab auch keine Diskussionen. Heutzutage ist das anders.
Es ist immer die Frage, ob man vom Team in die Richtung gedrängt wird. Ich als junger Kerl hätte es wahrscheinlich gemacht, um den möglichen Problemen aus dem Weg zu gehen. Als mehrmaliger Weltmeister wie Max Verstappen lässt du dir nicht so schnell auf der Nase herumtanzen.
Ist der Vorstoss der FIA mit der Strafe denn richtig oder sind die Diskussionen unnötig?
Ich finde sie unnötig. Er hat niemanden beschimpft, sondern über sein Auto gesprochen. Hinzu kommt die Situation, die ihn nervt, weil Red Bull in einer Drucksituation sportlich mit dem Rücken zur Wand steht. Die grosse Frage ist: Wieso muss man das öffentlich ausdiskutieren? Wieso nimmt man ihn nicht zur Seite und sagt ihm, dass er auch eine Vorbildfunktion hat, auf die er achten muss? So schafft man nur unnötige Nebenschauplätze. Dabei hat die Formel 1 sportlich gerade so viel zu bieten wie lange nicht.
Keine klare Linie beim FIA-Präsidenten
Gibt in dem Zusammenhang nicht vor allem auch der FIA-Präsident Mohammed Ben Sulayem eine schlechte Figur ab?
Ja, eine richtig klare Linie kann ich bei ihm nicht erkennen. Er stolpert unglücklich von einem zum anderen Thema, die man alle cleverer lösen könnte. Ich hätte mich ins Driver's Briefing gesetzt und mit den Jungs fünf Minuten gesprochen, dass man auf die Sprache achten muss. Fertig.
Bräuchte es an der Spitze einen Wechsel? Er hat sich ja schon ein paar Böcke geleistet…
Ja, absolut. Man hört immer öfter, dass viele nicht glücklich mit ihm sind. Ich kann mir vorstellen, dass das auch ein Thema unter den Teams ist, unter den Teamverantwortlichen, dass man nach einem Nachfolger schaut. Aber für die Position muss man die richtige Person finden. Klar ist jedoch: Viele Fehltritte sollte er sich nicht mehr leisten.
Trauen Sie Max Verstappen einen spontanen Rücktritt zu, wie er es andeutete, weil ihm das alles nicht passt?
Wenn ihm das zu sehr stinkt und er keine Lust mehr darauf hat, kann ich mir das sehr gut vorstellen. Er ist jemand, der für den Sport lebt. Er sitzt ausserhalb der Formel 1 in Rennautos, macht Simracing – ihm geht es um den Sport und nicht um den ganzen Firlefanz drumherum.
Sechs GP und drei Sprints sind nach der kurzen Pause jetzt noch zu fahren: Warum schafft Red Bull den Turnaround?
Es gab so viel Unruhe in den letzten Wochen und Monaten. Das kann selbst ein Top-Team ins Taumeln bringen. Das ist momentan der Fall. Sie müssen den Grund finden für die sportliche Fehlentwicklung. Ob es der Windkanal ist, der in die Jahre gekommen ist, ob es der Unterboden ist oder etwas anderes. Wenn sie es schaffen, das schnell zu lösen, kann Verstappen seinen Vorsprung vor Lando Norris verwalten. Da bin ich mir sicher.
Wie problematisch kann die andauernde Unruhe noch werden?
Das kann noch ein grosser Störfaktor sein. Wie der feststehende Weggang von Jonathan Wheatley, der zwar noch da, aber mit seinem Kopf vielleicht schon ein wenig bei Audi ist. Hinzu kommen die Dauergerüchte um Verstappens Zukunft, dass er sich möglicherweise nach einem neuen Team umschaut. Toto Wolff wird bei dem Thema nicht lockerlassen.
Und dann der Wirbel um das F-Wort, die Strafe und einen möglichen Rücktritt: Verstappen muss schauen, dass er sich diese Dinge vom Leib hält. Aber er weiss, wie er damit umgehen muss und was ihm hilft, Performance auf der Strecke zu zeigen. Allerdings sollte er im WM-Kampf nicht zu viele Nebenschauplätze aufmachen.
Apropos Nebenschauplatz: Ein Dauerthema ist auch sein Teamkollege Sergio Perez. Was glauben Sie, wie lange er noch bei Red Bull bleibt?
Er hat seinen angeblichen Rücktritt dementiert. Die Frage ist, wie die Verträge aussehen und wie lange sich Red Bull das noch anschaut. Es wird schon einen Grund haben, warum man Liam Lawson jetzt noch in den Racing Bull setzt. Da kann er sich kurzfristig für höhere Aufgaben empfehlen.
Muss Red Bull nicht eigentlich reagieren, Perez hat die Probleme ja schon länger?
Wenn es bis zum Ende des Jahres so weitergeht und Lawson einschlägt mit einer guten Performance, dann wird das ein Thema sein. Allerdings spielt auch der Markt in Mexiko eine wichtige Rolle für Red Bull. Grundsätzlich kommt es jedoch auf die Performance an. Wenn er eine gute Leistung abliefert, gibt es keinen Grund. Wenn er aber so weiterfährt wie bisher, tut er sich keinen Gefallen.
Welche Rolle spielen die Teamkollegen Oscar Piastri und Perez im Titelkampf?
Eine grosse. Und da liegt der Vorteil klar bei McLaren, weil Piastri immer auf Augenhöhe ist und er Norris jetzt auch vom Team her unterstützen muss. Bei Perez ist es mal so, mal so. Verstappen kann nicht auf ihn bauen.
Haben McLaren und Lando Norris die Nerven, sich im Titelkampf keine Ausrutscher mehr zu erlauben?
Das wird man sehen. Lando hatte immer wieder kleine Fehler drin. Jetzt hat er ein gutes Momentum, hat in einer Drucksituation abgeliefert. Er bleibt mit Sicherheit nicht komplett fehlerfrei und ist zudem das erste Mal in der Situation, den Titel zu holen. Genauso wie McLaren, die strategisch auf einem sehr, sehr guten Level unterwegs sind, sich aber auch keine Fehler mehr leisten dürfen.
Wer hat denn mehr Druck: Norris oder Verstappen?
Verstappen hat den grösseren Druck, weil er den Vorsprung verwalten muss. Für Verfolger Norris gilt: Er muss von Rennen zu Rennen denken, jedes Rennen gewinnen, und mehr kann er nicht machen. Allerdings erwarten alle, dass Verstappen den WM-Titel einfahren kann. Die Augen sind vor allem auf ihn und auf Red Bull gerichtet.
Wenn Sie die beiden Fahrer vergleichen - wer hat mehr Titel-Pluspunkte?
Verstappen. Max hat mit dem Titel-Showdown 2021 in Abu Dhabi gegen Lewis Hamilton sehr viel Erfahrung mitgenommen. Er weiss mit solchen engen und kniffligen Situationen umzugehen. Auch da liegt der Vorteil klar bei ihm.
Und wie klar ist es beim Auto?
Da liegt der Vorteil deutlich bei McLaren, weil es bei jeder Streckencharakteristik funktioniert. Sie sind sofort da, das Grundsetup passt. Norris hat so die Möglichkeit, sich frühzeitig auf das Auto, auf die Strecke einzuschiessen. Bei Verstappen und Red Bull ist es so, dass sie bis zum Qualifying-Setup noch arbeiten müssen und von links nach rechts schrauben, um das Auto in das richtige Fenster zu bekommen. Die Konstanz macht es für McLaren deutlich einfacher.
Ein essenzieller Faktor ist auch das Team. Wer hat da Vorteile? Wer schafft es besser, da noch Prozentpunkte herauszuholen?
Bei McLaren sind die Verantwortlichen und die beiden Fahrer sehr gut darin, das Team mitzunehmen. Durch den Aufschwung ist McLaren in einem gewissen Flow drin, durch den du zusätzlich motiviert bist, weil du weisst, dass du die Chance hast, Verstappen abzufangen. Bei Red Bull ist der Druck gross, womit sie aber schon immer gut umgehen konnten. Dazu kommt aber die erwähnte Unruhe, die eine grosse Rolle spielen kann. Für beide Teams geht es zudem darum, die Belastung der Mitarbeiter durch die sehr lange Saison richtig zu steuern.
Wie trügerisch sind die 52 Punkte Vorsprung von Verstappen?
Die hören sich viel an, aber Verstappen weiss, dass er mit dem Auto im Qualifying auch mal irgendwo im Nirgendwo stehen kann. Und dann ist das auf einmal nicht mehr so ein Riesenvorsprung. Und wenn du immer wieder ins Wochenende gehst und nicht zu 100 Prozent sicher bist, wo du stehst, wie nah du dran bist, ist das noch einmal mehr Druck und mehr Anspannung. Ich gehe davon aus, dass es bis zum Ende spannend und eng bleibt.
Verwendete Quellen:
Team, Auto, Fahrer – das sind alles einzelne Faktoren. Worauf kommt es jetzt auf der Zielgeraden vor allem an?
Du darfst dir als Fahrer keine Fehler mehr erlauben. Du musst im Training, Qualifying oder Rennen fehlerfrei bleiben, denn jeder Patzer kann dich zurückwerfen und eine grosse Auswirkung auf das gesamte Wochenende haben. Beide müssen einen kühlen Kopf bewahren, um den Titel zu holen.
Zum Gesprächspartner:
- Timo Glock (42) hat von 2004 bis 2012 91 Rennen in der Formel 1 für Jordan, Toyota, Virgin und Marussia absolviert. Danach fuhr er jahrelang in der DTM und ist seit ein paar Jahren bei Sky Experte bei den Übertragungen zur Königsklasse.
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