Seit dem Grossen Preis von Kanada sind Sebastian Vettel und Ferrari das grosse Thema in der Motorsportwelt. Die Fünf-Sekunden-Strafe, die Vettel den Sieg kostete, war gerechtfertigt, meint der ehemalige Rennfahrer Hans-Joachim Stuck und betont gleichzeitig: Aufgeben sollte man Vettel keinesfalls. Eine Analyse - zusammen mit dem ehemaligen Formel-1-Piloten.
Die Aufregung in der Formel 1 war lange nicht so gross wie nach dem Grossen Preis von Kanada.
Vettels erster Saisonsieg - fast
Erstmals in dieser Saison fuhr der Heppenheimer als Erster über die Ziellinie. Einem euphorischen Neuanfang bei Ferrari in der Winterpause folgte die Ernüchterung nach den ersten Saisonrennen. Mercedes dominierte die ersten fünf Rennen jeweils mit Doppelsiegen, die Scuderia war chancenlos. Bis Kanada.
Nach einem Ausflug ins Grüne beim Rennen in Montreal konnte Vettel nur mit Mühe seine Führung behalten. Die Stewards entschieden auf eine fünfsekündige Strafe, da er risikoreich zurück auf die Strecke gefahren sei.
Wieder hat sich Ferrari selbst um den Sieg gebracht. Für Hans-Joachim Stuck, der von 1974 bis 1979 in der Formel 1 fuhr, ist die Strafe gerechtfertigt. "Ein Glück, dass der FIA-Steward (Emanuele Pirro, Anm. d. Red.) selbst Rennfahrer war, sonst hätte die Strafe noch viel härter ausfallen können", sagt Stuck im Gespräch mit unserer Redaktion.
Was Mercedes besser macht als Ferrari
Ihm zufolge sei das Hinterherhinken Ferraris vor allem in der Dominanz von Mercedes begründet. "Mercedes macht unter Toto Wolff einen hervorragenden Job. Wir dürfen nicht vergessen, dass Ferrari sehr gute Arbeit macht, aber Mercedes macht einfach den besseren Job."
Im Gegensatz zu Ferrari stimmt bei Mercedes die Symbiose zwischen Konstrukteuren, Teamleitung und Fahrern. Bei Ferrari muss diese mit dem neuen Scuderia-Teamchef Mattia Binotto noch gefunden werden. Vettel selbst da treffe da kaum eine Schuld, meint Hans-Joachim, genannt "Strietzel", Stuck. "Es sind Kleinigkeiten, die dazu führen, dass Sebastian Vettel nicht siegt. Er selbst leistet sehr gute Arbeit."
Bei Ferrari ist der 31-Jährige zwar die klare Nummer eins im Team, doch sein Einfluss ist überschaubar. "Bei Ferrari ist er einer von vielen in der Liste", sagt Stuck und vergleicht: "Bei Red Bull hat er sich wohler gefühlt, da wurde gemacht, was er sagte."
Interner und externer Druck: Warum Vettel gehemmt ist
Mit Red Bull gewann Vettel zwischen 2010 und 2013 vier Weltmeistertitel, mit der Scuderia wartet er seit 2015 auf die Weltmeisterschaft. Der Druck ist gross, die Italiener sind seit 2007 ohne WM-Triumph. Die Nervosität im Team ist durch technische und organisatorische Fehler spürbar. Bereits in der vergangenen Saison fiel Ferrari mehrfach durch schlechte Entscheidung auf, etwa durch die falsche Reifenwahl.
Beim Qualifying zum Grossen Preis von Monaco im Mai hatte sich der Rennstall bei der Cut-off-Zeit verkalkuliert. Vettels Teamkollege Charles Leclerc hatte die Rundenzeit nicht gereicht, um weiterzukommen. Dadurch landete er in der Startaufstellung auf Rang 15.
Die Unruhe beeinflusst die Fahrer auch im Rennen. "Wenn man unter Druck steht, führt das dazu, dass man plötzlich in Situationen überlegt, in denen man sonst intuitiv handelt", sagt Ex-Formel-1-Pilot Stuck.
Ferrari in der Krise - geht Vettels Zeit zu Ende?
Doch das Rennen in Kanada könnte für den viermaligen Weltmeister ein erster Ausweg aus der psychischen Falle sein. "Die Punkte helfen ihm natürlich. Er wird nicht aufgeben in dieser Saison. Die Strafe muss er schlucken", analysiert Stuck. Abgesehen von der Strafe beweist das Rennen, dass er noch imstande ist, die Ziellinie als Erster zu überqueren.
Einige schnelle Strecken im zweiten Saisonabschnitt, sagte Stuck weiter, könnten dem Heppenheimer zudem gelegen kommen. Für Vettel sei es wichtig zu wissen, für welchen Rennstall er arbeitet. Stuck: "Ferrari ist ein Mythos, aber ein Mythos mit Abstrichen. Man steigt hoch auf, man kann aber auch tief fallen. Für Sebastian ist es jetzt wichtig, dass er weiter mutig bleibt."
Neue FIA-Regeln: Langfristig ein Hoffnungsschimmer für Vettel
Auch auf lange Sicht ist Vettels Zeit lange nicht vorbei, glaubt der frühere Sieger der DTM und beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Grund könnten die von den Teams, vom Weltverband FIA und von Eigentümer Liberty Media geplanten Regeländerungen sein. "Die neuen Regeln kommen Sebastian möglicherweise entgegen, da der Fahrer wieder mehr im Mittelpunkt steht." Durch sie soll der Fahrer wieder bedeutender sein, das Fahren sollte weniger technikgetrieben sein.
Doch die neuen Regeln, über die noch grosse Uneinigkeit herrscht, sollen erst 2021 in Kraft treten. Zuerst hat Vettel beim Grossen Preis von Frankreich unmittelbar die Chance zu beweisen, dass mit ihm noch zu rechnen ist.
Verwendete Quellen:
- Sport1.de: Krisen-PK: "Ferrari gesteht "Fehler" ein"
- Auto-Motor-Sport: "Mattia Binotto erklärt Ferrari-Panne 'Wir haben die Cut-Off-Zeit falsch berechnet' "
- Sport1.de: "Der skurrile Zoff um die F1-Zukunft"
- Interview mit Hans-Joachim Stuck, 20.06.2019
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