Die strittigste Schiedsrichterentscheidung des Spieltags gibt es diesmal in der Zweiten Liga: Der FC Schalke 04 hadert mit einer Elfmeterentscheidung für Werder Bremen, die auf einen unnötigen VAR-Eingriff folgt. Im Oberhaus läuft für die Unparteiischen an diesem Spieltag ebenfalls nicht alles rund, wie auch die sportliche Leitung der Referees anmerkt.

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
Eine Kolumne
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SV Werder Bremen gegen FC Schalke 04 – das klingt nicht nach einem Zweitligaspiel, sondern nach einer Partie zweiter namhafter Klubs im Oberhaus, die es bis zur vergangenen Saison ja auch war. Durch den kurzfristigen Rücktritt von Werder-Trainer Markus Anfang, gegen den ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Fälschung seines Corona-Impfnachweises eingeleitet worden war, erfuhr die Begegnung zusätzliche Brisanz und Aufmerksamkeit. Und schliesslich kulminierte das Spiel am Samstagabend tief in der Nachspielzeit, als es zu jener Schiedsrichterentscheidung kam, die an diesem Wochenende am heftigsten diskutiert wurde.

Die Gastgeber bemühten sich verzweifelt darum, aus dem 0:1-Rückstand doch noch ein Remis zu machen. Nach einer weiten Hereingabe in den Schalker Strafraum kam der kurz zuvor eingewechselte Roger Assalé sechs Meter vor dem Tor der Gäste an den Ball. Er legte ihn an Henning Matriciani vorbei, der ebenfalls gerade erst aufs Feld gekommen war, und ging dann zu Boden. Schiedsrichter Tobias Stieler liess weiterspielen, während die Bremer vehement einen Strafstoss forderten. Tatsächlich bekamen sie ihn schliesslich zugesprochen, denn der VAR schaltete sich mit einer Review-Empfehlung ein – und der Unparteiische liess sich von den Bildern überzeugen.

Das war überraschend: Zu erkennen war auf ihnen allenfalls ein geringer Kontakt an Assalés rechtem Fuss, verursacht durch Matricianis erfolglosen Versuch, den Ball zu erreichen. Der Bremer fiel erst mit Verzögerung nach einem Zwischenschritt, und auch die theatralisch anmutende Art, wie er das tat, passte nicht zur bloss leichten Berührung durch den Schalker. Kurzum: Der Kontakt war nicht ausschlaggebend dafür, dass Assalé den Ball verlor und stürzte, wodurch die Torchance dahin war. Dass es keinen Elfmeter gab, war somit allemal in Ordnung. Dennoch schaltete sich der Video-Assistent ein und riet Stieler zum Gang an den Monitor.

2. Bundesliga im Blick: Unangemessene VAR-Intervention gegen Schalke

Weil dem Referee in dieser Situation die Wahrnehmung fehlte und der VAR der Ansicht war, dass dadurch etwas Schwerwiegendes übersehen wurde? Oder hatte Stieler den Vorgang wahrgenommen, aber nach Auffassung des Video-Assistenten klar und offensichtlich falsch bewertet? Gleichwie: Es stelle sich die Frage, "in welcher Intensität es in diesem Ablauf einen Kontakt zwischen dem Schalker Abwehrspieler und dem Bremer Angreifer gegeben hat", schrieb die sportliche Leitung der Bundesliga-Schiedsrichter auf der DFB-Website. Die TV-Bilder brächten jedenfalls keine Evidenz dafür, dass es eindeutig falsch war, in dieser Situation keinen Strafstoss zu geben. Die Intervention des VAR sei daher nicht angemessen gewesen.

Der Strafstoss, den Werder zum 1:1-Endstand verwandelte, hätte also nicht gegeben werden sollen, wie auch die sportliche Leitung der Unparteiischen findet. Die Schalker waren sogar der Meinung, dass sie einen Freistoss hätten bekommen müssen, weil Assalé den Ball bei der Annahme mit dem Arm berührt hatte. Doch dieser Arm war nicht in einer unnatürlichen Position, es lag keine Vergrösserung der Körperfläche vor, und eine Absicht, den Ball aufzuhalten, war auch nicht zu erkennen. Damit war das Handspiel nicht strafbar. Dieser Überzeugung muss auch der Referee gewesen sein, denn ansonsten hätte er den Elfmeter nicht geben dürfen, schliesslich lag der Ballkontakt mit dem Arm zeitlich kurz vor dem vermeintlichen Foul.

Auch der VAR-Eingriff in Gladbach war unnötig

In der Erstligapartie zwischen Borussia Mönchengladbach und der SpVgg Greuther Fürth (4:0) gab es ebenfalls einen Eingriff des VAR, der aus der Sicht der Schiedsrichter-Chefs nicht erforderlich war. Nach einem Zweikampf im Strafraum der Hausherren zwischen Denis Zakaria und dem Fürther Jamie Leweling in der 49. Minute hatte Schiedsrichter Benjamin Brand weiterspielen lassen, woraufhin sich der Video-Assistent mit einer Review-Empfehlung einschaltete. Anders als in Bremen sah der Unparteiische hier nach dem Betrachten der Bilder aber keine Veranlassung, einen Strafstoss zu verhängen. Tatsächlich war die Sachlage auch eher diffus.

Zakaria habe gegrätscht, um den Ball abzublocken, sei aber etwas zu spät gekommen und habe nur Lewlings Fuss touchiert, beschreibt die sportliche Leitung der Referees diese Szene. Die Bilder zeigten "kein klares Trefferbild", sondern nur einen Kontakt, der aber "nicht über ein Touchieren hinausgeht". Wie der Schiedsrichter diesen Kontakt bewertet, sei seinem Ermessen überlassen, der VAR solle sich deshalb in jedem Fall heraushalten – bei einem Elfmeterpfiff genauso wie bei der Entscheidung, weiterspielen zu lassen. Ein nachvollziehbares Urteil, denn so oder so ist weder ein klarer und offensichtlicher Fehler noch ein schwerwiegender übersehener Vorfall gegeben.

Jonathan Tahs Einsteigen war eindeutig elfmeterreif

In der Begegnung zwischen Bayer 04 Leverkusen und dem VfL Bochum (1:0) dagegen geschah das Gegenteil der Ereignisse in Schalke und Gladbach: Der Video-Assistent griff nicht ein, obwohl er es hätte tun sollen. Nach 41 Minuten versprang dem Leverkusener Verteidiger Jonathan Tah im eigenen Strafraum der Ball, woraufhin Christopher Antwi-Adjei die Kugel mit einem langen Schritt erreichte.

Tah versuchte zwar noch, den Ball wegzuschlagen, traf dabei aber nur von hinten die linke Ferse des Bochumers, der daraufhin zu Fall kam. Schiedsrichter Daniel Schlager liess gleichwohl weiterspielen und erhielt aus der Videozentrale in Köln auch nicht den Rat, in die Review Area zu gehen.

Diese Review-Empfehlung hätte es jedoch geben sollen, wie auch die sportliche Leitung urteilt. Denn es habe ein Foulspiel vorgelegen, bei dem "die TV-Bilder den Ablauf und das Trefferbild evident belegen".

Aus diesem Grund wäre "eine Intervention durch den Video-Assistenten angebracht gewesen, um dem Schiedsrichter die Möglichkeit zu eröffnen, sich die Situation noch mal anzuschauen und zu einer einwandfreien Entscheidung, in diesem Falle Strafstoss, zu kommen". Offenbar war Schlager aber zu der Einschätzung gelangt, dass der von Tah verursachte Kontakt nicht ursächlich für Antwi-Adjeis Sturz war, und der VAR hatte darin keine eindeutige Fehlentscheidung erkannt.

Auch Leverkusens Frimpong ist mit Gelb zu glimpflich davongekommen

Bereits elf Minuten zuvor wäre ein Eingriff des Video-Assistenten angemessen gewesen, als der Leverkusener Jeremie Frimpong über den Ball trat und dadurch mit der offenen Sohle den linken Oberschenkel von Elvis Rexhbecaj traf. Der Referee zeigte nur die Gelbe Karte – womöglich stellte sich das Foul für ihn nicht als Volltreffer dar, weil Frimpong mit dem Fuss danach abrutschte und das rechte Knie des Bochumers streifte.

Doch die Bilder machen recht deutlich, dass das Einsteigen gesundheitsgefährdend war und eine Rote Karte die eindeutig bessere Entscheidung gewesen wäre – so eindeutig, dass man von einem klaren Fehler sprechen kann, der den VAR auf den Plan hätte rufen sollen. In der Erklärung der sportlichen Leitung findet diese Szene allerdings keine Erwähnung.

Vorgesetzten der Bundesliga-Schiedsrichter: Fehler vom Wochenende aufarbeiten

Zu Recht halten die Vorgesetzten der Bundesliga-Referees fest, dass es zuletzt "lange Zeit sehr gut lief und die hohe Eingriffsschwelle bei den Interventionen von Video-Assistenten insgesamt gut akzeptiert wird, weil sie bisher auch weitestgehend einheitlich umgesetzt wurde". Die Fehler des Wochenendes seien jedoch aufzuarbeiten, dabei sei die Evidenz des Bildmaterials entscheidend.

Bei "absoluter Klarheit über einen Fehler" wie in Leverkusen müsse es einen Eingriff geben, andernfalls – wie in Bremen – müsse es bei der Entscheidung auf dem Feld bleiben. "Detektivische Detailarbeit" spreche jedenfalls "nicht für Evidenz". Das klingt nach einem Merksatz.

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