Es war einmal ein schöner Klub: Wie der TSV 1860 München vom Kultverein zu einer Lachnummer des deutschen Fussballs wurde - dem jetzt der GAU droht.
Es gab mal eine Zeit, da brauchte der FC Bayern den kleinen Rivalen vom TSV 1860 tatsächlich.
Zum Stadionbau etwa, oder um sich an den Blauen abzuarbeiten, den Lokalkolorit herauszukehren und so etwas wie Reibung und Rivalität zu erzeugen in der Stadt.
Diese Zeiten sind vorbei. Die Bayern haben sich längst umorientiert, sie denken global, von der Säbener Strasse hinaus bis in die hintersten Winkel im Fernen Osten oder Wilden Westen.
Was zwei Blocks weiter passiert, bei den Löwen, ist kaum noch relevant.
So wie der TSV München von 1860 womöglich kaum noch relevant sein könnte in ein paar Tagen. Mal wieder stehen die Löwen am Abgrund.
Wieder muss die Mannschaft in die Relegation, wie 2015 gegen Holstein Kiel.
Damals rettete ein Abstaubertor in der Nachspielzeit den Klub vor dem Fall in die Bedeutungslosigkeit. Jetzt, zwei Jahre später, ist die Lage noch prekärer.
Gibt’s vier Abstiege in einer Saison?
Die Junglöwen sind schon abgestiegen. Nach der U 17 vor einigen Tagen hat es neulich auch die U 19 erwischt, beide Teams dürfen in der kommenden Saison nicht mehr in der Bundesliga Süd-Südwest spielen.
Gerade für einen Klub wie 1860, der sich in den letzten Jahren auf seine exzellente Jugendarbeit verlassen konnte und eine ganze Mannschaft an späteren Bundesligaspielern entwickelt hat, ist das der GAU.
Die Nachwuchsabteilung war ein letztes Refugium im tobenden Chaos drumherum.
Und wenn jetzt die Profis aus der zweiten Liga absteigen sollten, dann müsste automatisch auch die U 21 in der kommenden Saison eine Klasse tiefer spielen.
So schreiben es die Statuten vor. Bayernliga Süd statt Regionalliga Bayern hiesse das dann - ausgerechnet für die Mannschaft, die als U-21-Vizemeister die mit Abstand beste Platzierung in der abgelaufenen Saison erreicht hat.
Es gibt allerdings nicht wenige im Umfeld der Löwen, die genau darauf hoffen: Dass der Klub endlich absteigt. Und dass diese ganze Flickschusterei endlich vorbei und die Chance auf einen echten Neubeginn gegeben wäre.
Unglaubliche Fluktuation im Klub
Einen Neuanfang hatten sich die Verantwortlichen auch schon vor rund sechs Jahren erhofft. Damals retteten 18 Millionen Euro aus der Privatschatulle von Hasan Ismaik das Überleben des Klubs im Profi-Fussball.
Mit dem Jordanier holten sich die Löwen den reichen Onkel ins Haus, der sich aber schon bald nicht nur als besonders reich, sondern auch als besonders renitent und uneinsichtig zeigen sollte.
Spätestens seit Ismaiks Einstieg als Eigner haben sich die Löwen zur Skandalnudel des deutschen Fussballs entwickelt. Manche würden sogar behaupten, 1860 sei nur noch eine einzige Lachnummer.
Am Anfang mochte man darüber noch schmunzeln, als Ismaik etwa allen Ernstes behauptete, die Löwen bald in die Champions League zu führen und dann auch ein neues Stadion zu bauen.
Die Fluktuation auf der Geschäftsstelle des TSV sucht in Deutschland ihresgleichen. Seit Ismaiks Einstieg beschäftigte der Klub unfassbare 13 Cheftrainer, von Reiner Maurer bis Vitor Pereira.
Dazu kamen vier Sportliche Leiter oder Sportdirektoren, vier Geschäftsführer und vier Präsidenten. Macht insgesamt 25 Rotationen auf den wichtigsten Posten eines Klubs in sechs Jahren.
Ein Fettnapf nach dem anderen
Der Klub lässt schon längst so gut wie keinen Fettnapf mehr aus. Permanent meldet sich Ismaik an der Öffentlichkeitsarbeit des Klubs vorbei über seinen Facebook-Account und äussert krude Theorien.
Im Herbst entzog der Klub drei Redaktionen ihre Dauerakkreditierungen für Heimspiele der Löwen, sperrte Journalisten auch vom Vereinsgelände aus.
Neulich gab es die Gerichtsverhandlung mit dem gekündigten Scout Peer Jaeckel.
Dem wurde vorgeworfen, den Spieler Sebastian Boenisch empfohlen zu haben, obwohl er wusste, dass Boenisch zum damaligen Zeitpunkt verletzt und "untauglich" gewesen sei.
Die Löwen bezeichneten Boenisch als "Fehleinkauf" - dabei war der zu dem Zeitpunkt sogar Stammspieler.
Zur Verhandlung erschien nur der Anwalt der Sechziger, vom Klub selbst war kein Vertreter anwesend.
Mit Jaekel konnte man sich einigen, die Verhandlungen mit Ex-Coach Kosta Runjaic und Ex-Manager Thomas Eichin wegen Gehaltsfortzahlungen stehen im Sommer an.
"Das ist beschämend"
Als der FC St. Pauli in der Allianz Arena zu Gast war und 2:1 siegte, wollte Ismaik ein paar Funktionäre der Hamburger aus dem Stadion werfen lassen.
Sie hatten ein paar Reihen vor ihm zu lautstark über die Treffer ihrer Mannschaft gejubelt.
"Das Verhalten der Löwen-Verantwortlichen der letzten Wochen sollte auch dem letzten Fussballfan in Deutschland die Augen geöffnet haben und sollte all denen, die nach Investoren schreien, Mahnung und Warnung zugleich sein", sagte St. Paulis Geschäftsführer Andreas Rettich unlängst.
Und als die Löwen ihre Namenskollegen aus Braunschweig zu Gast hatten, soll Trainer Pereira seinen Trainerkollegen Torsten Lieberknecht als "Hurensohn" bezeichnet haben.
Der Portugiese bestritt die Vorwürfe vehement, Lieberknecht aber formulierte seine Sicht der Dinge völlig anders.
"Es geht nicht, dass von der Bank Mittelfinger in meine Richtung gezeigt werden. Und wenn ich meine Spanisch-Kenntnisse richtig werte, wurde ich auch vom gegnerischen Trainer als ...sohn bezeichnet. Das ist beschämend für 1860 München", sagte Lieberknecht und endete: "Arme Sechziger. Das war mal so ein schöner Verein."
Ist die Mannschaft noch eine Mannschaft?
Richtig schön ist in München-Giesing aber schon lange nichts mehr. Und das Image als Arbeiterklub, der wenigstens zusammenhält, ist allenfalls noch Staffage.
Die Mannschaft taumelte in den letzten Wochen nur noch so durch die zweite Liga.
Von den letzten zehn Partien wurden nur zwei gewonnen. Gerade jetzt rächt sich der mal wieder völlig wild zusammengewürfelte Kader mit Legionären und Möchtegern-Stars: Von mannschaftlicher Geschlossenheit ist nichts zu spüren.
Pereira, von Ismaik als ehemaliger Champions-League-Teilnehmer in höchsten Tönen gepriesen, hat es sich mit mehr als einem Dutzend Spielern verscherzt, die er in den letzten Wochen und Monaten links liegen gelassen hat.
Dazu laufen eine Menge Verträge mit Spielern aus, die in den beiden Relegationsspielen gegen Jahn Regensburg gebraucht werden. Wie gross ist deren Motivation noch?
Die Identifikation mit einem einstmals schillernden Klub ist auf vielen Ebenen dahin. Und nicht wenige warten jetzt in der Relegation auf den Höhepunkt des Niedergangs.
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