Die Vision: Berlin United wird die dritte Kraft in der Hauptstadt, im Jahr 2033 sollte Champions League gespielt werden. Die Realität: Die Mannschaft ist vom Spielbetrieb abgemeldet, ein Insolvenzantrag ist angekündigt. Das Projekt "Berlin United" ist auf allen Ebenen gescheitert.

Mehr Fussballthemen finden Sie hier

Die Homepage des einstmals ambitionierten Fussballklubs Berlin United zeichnet ein klares Bild, wie es um den Klub steht: Die Ligatabelle ist noch auf dem Stand des Sommers, im Impressum steht noch ein mittlerweile zurückgetretener Vorsitzender als Verantwortlicher, Kontaktmöglichkeiten sind noch im Aufbau.

Aber nicht nur im Internet herrscht Stillstand, auch auf und neben dem Platz befindet sich Berlin United im Stillstand – und das nicht nur wegen Corona.

In der sechstklassigen Berlin-Liga lag die Mannschaft nach sechs Spieltagen mit einem Torverhältnis von 5:37 und null Punkten am Tabellenende. Inzwischen hat der Klub die Mannschaft vom Spielbetrieb abgemeldet. Der endgültige Abschied von einem grossen Traum.

Stefan Teichmann startet Berlin United mit grosser Vision

Anfang 2018 startete der Architekt und Projektentwickler Stefan Teichmann beim Siebtligisten Club Italia sein ambitioniertes Vorhaben, nachdem er zuvor die Strukturen im Berliner Nachwuchsfussball hatte verbessern wollen. Den Namen der Klubwebsite kaufte er einer gleichnamigen New Yorker Agentur für 1.500 Euro ab.

Eine Vision hatte Teichmann auch. Zunächst wollte er den Klub als dritte Kraft in Berlin, hinter Hertha BSC und Union Berlin, etablieren, für 2025 war der Aufstieg in die 3. Liga geplant, drei Jahre später der Aufstieg in die Zweite Liga, 2031 sollte dann die Bundesliga erreicht werden.

Spätestens im Jahr 2033 wäre dann in der Champions League, im eigens errichteten 80.000 Zuschauer fassenden Stadion, gespielt worden.

Im selben Jahr wollte der Klub auch die Marke von 100.000 Mitgliedern knacken. (Die Traditionsklubs Hertha und Union kommen übrigens jeweils auf etwa 38.000 Mitglieder.) Potenzielle Sponsoren für Berlin United wurden mit dieser kühnen Vision geködert.

Thomas Hässler kommt als Trainer zu Berlin United

Im Gespräch mit der "Berliner Zeitung" skizzierte Teichmann im Jahr 2018, seinen Plan: "Den Berliner Primus Hertha BSC kennt jeder in der Stadt und in Deutschland, aber fragt man in Paris oder London nach Hertha, schütteln viele mit dem Kopf. In Berlin aber kennen alle Fussballfans etwa Paris St. Germain oder Arsenal London. Ich denke, in Berlin ist genügend Platz für einen neuen Klub, der überregional spielt."

Um die Träume vom Profifussball weiter reifen zu lassen, verpflichtete Teichmann einen Weltmeister. Thomas "Icke" Hässler übernahm den Trainerposten und sorgte damit für einen willkommenen Aufmerksamkeitsschub für Berlin United. Auf "Facebook" folgten Berlin United auf einmal tausende Fans, eine beachtliche Zahl für einen, mehr oder weniger, aus dem Boden gestampften Klub.

Hässler führte Berlin United zwar in die sechste Liga. Doch anschliessend wurde er entlassen. Teichmann traute dem Ex-Profi nicht die Entwicklung eines langfristig erfolgreichen Teams bis in den Profifussball zu.

Stattdessen kam mit Fabian Gerdts ein unbekannter Trainer, den Teichmann allerdings als "Mini-Nagelsmann“ anpries. Zudem wurden illustre Namen verpflichtet, unter anderem Thiago Rockenbach da Silva, der schon für Fortuna Düsseldorf und RB Leipzig spielte.

"Ausgebrannt": Teichmann wirft hin

Den anvisierten Aufstieg in die Oberliga verpasste United jedoch. Der Vertrag von "Mini-Nagelsmann" Gerdts wurde daraufhin nicht verlängert und gleich 18 Spieler kehrten dem Klub im vergangenen Sommer den Rücken.

Dann warf auch noch Präsident und Initiator Teichmann hin. Er sei durch die intensive Arbeit in den vergangenen Jahren "ausgebrannt", teilte er mit. Nach Teichmanns Rücktritt übernahm der bisherige Vize, Giovanni Bruno, den Vorsitz bei Berlin United. Mit Jörg Goslar übernahm ein erfahrener Regionalliga-Trainer den Klub.

Im Hintergrund engagierte sich ein ehemaliger VW-Manager gemeinsam mit dem früheren Bundesliga-Profi Alexander Klitzpera. Letzterer leitete im Sommer ein Sichtungstraining, um überhaupt einen Kader für die neue Saison zusammenstellen zu können. Doch im September zog sich auch dieses Duo zurück.

"Wir haben gewusst, dass es schwierig wird. Wir waren von Anfang an sehr spät dran: Es gab keinen Trainer, keine Spieler, und wir haben vor dem Saisonstart kein einziges Vorbereitungsspiel bestritten", sagte Klitzpera dem "Tagesspiegel". Der Saisonstart habe gezeigt, "dass es sportlich keinen Sinn macht". Kurze Zeit später trat auch Coach Goslar zurück.

Auf Nachfrage unserer Redaktion, ob er sich zu den Geschehnissen äussern möchte, lässt Goslar über seinen Berater ausrichten: "Herr Goslar war nur für eine kurze Zeit als Trainer bei Berlin United tätig. Er kann zu den gesamten Geschehnissen rund um Berlin United nichts sagen."

Abmeldung vom Spielbetrieb und Insolvenzantrag

Nachdem Berlin United Mitte September nicht mehr zum Duell gegen Aufsteiger Novi Pazar, ebenfalls ein Klub mit grossen Ambitionen, antrat, sagte Klubchef Bruno: "In zwei Wochen wissen wir mehr, es ist im Moment alles offen, wie es bei uns weitergeht."

Im Oktober folgte schliesslich die Ankündigung eines Insolvenzantrags sowie der Rückzug vom Spielbetrieb.

Springt nicht in letzter Sekunde doch noch ein finanzkräftiger Investor auf den Berlin-United-Zug auf, scheint das Ende des hochambitionierten Projekts besiegelt – und das, bevor es überhaupt so richtig in Fahrt kam.

Die "dritte Kraft" im Berliner Fussball ist übrigens derzeit Viktoria Berlin, Tabellenführer der Regionalliga Nord/Ost. Der Name Berlin United wird dagegen wohl aus den Fussballtabellen zukünftig komplett verschwinden.

Verwendete Quellen:

  • Statement von Jörg Goslar
  • Berliner-Zeitung.de: "Berlin United meldet Mannschaft vom Spielbetrieb ab"
  • Berliner-Zeitung.de: "Fussballklub Berlin United: Das Businessmodell"
  • Tagesspiegel.de: "Berlin United beantragt Insolvenz"
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.