Nach dem Trauma in der Champions League droht Red Bull Salzburg nun sogar die Europa League zu verpassen. Die neu formierte Mannschaft offenbart jede Menge Baustellen, der neue Trainer steht schon früh in der Saison unter Druck. Es gibt aber auch Grund zur Hoffnung.

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Eigentlich war alles wie immer. Red Bull Salzburg, Auswärtsspiel, Niederlage. Die Gegner bleiben austauschbar, ob Düdelingen, Fenerbahce, Qarabac, Malmö. Oder wie am Donnerstagabend eben Minsk. Im Europacup und in der Fremde ist Red Bull ein Schatten seiner selbst. Trotz aller ernüchternden Pleiten der letzten Jahre in wichtigen K.o.-Spielen erweist sich das 0:2 in Weissrusslands Hauptstadt aber als neue, bisher nicht gekannte Wendung in der unendlichen Geschichte Salzburger Traumata.

RB Salzburg war ein Klub mit grossen Namen

Red Bull Salzburg war einst ein Versprechen für die Zukunft. Ein unverschämt gut alimentierter Klub mit einer klaren Philosophie und grossen Namen auf den entscheidenden Positionen. Im Spätsommer 2015 wirkt der Brauseklub wie der müde Abklatsch seiner selbst, eine schlechte Kopie dessen, was das Projekt Red Bull am Standort Salzburg einst ausgezeichnet hat.

Salzburg leidet unter der Doktrin seiner Gesamtführung, die den deutschen Zweitligisten in den Fokus seiner europäischen Bemühungen stellt und das Salzburger Konstrukt zumindest derzeit eher als Nebenprodukt zu betrachten scheint. Dazu kommt der Fluch der guten Tat: Etliche Spieler haben sich durch starke Leistungen bei den Bullen interessant für grössere Klubs gemacht, die neben einer anständigen Bezahlung auch eine sportliche Weiterentwicklung anbieten.

Die Abgänge absoluter Leistungsträger wie Kevin Kampl, Sadio Mane, Alan, Stefan Ilsanker, Marcel Sabitzer oder Bruno alleine in den letzten beiden Jahren schlagen voll durch - der Qualitätsverlust im Team ist unverkennbar. Dass quasi gleichzeitig mit Peter Zeidler erneut ein neuer Trainer in Salzburg anheuern musste und den Umbruch beziehungsweise Neuaufbau jetzt als relativ unerfahrener Chefcoach leiten soll, macht die Gemengelage noch brisanter.

Vier Niederlagen in neun Pflichtspielen

Vier Niederlagen in neun Pflichtspielen hat Zeidler bereits einstecken müssen, darunter das zerstörerische 0:3 in der Champions-League-Qualifikation bei Malmö FF, die Blaupause vom Vorjahr, der achte gescheiterte Versuch, endlich die Gruppenphase der Königsklasse zu erreichen. Wie tief die Spuren sind, die das erneute Scheitern hinterlassen hat, wird allmählich offenkundig. Für eine neu formierte und sehr junge Mannschaft in der Findungsphase sind solche Tiefschläge doppelt schlimm.

"Genügend Qualität ist in der Mannschaft, aber die meisten Spieler müssen sich noch entwickeln", sagt Verteidiger Andreas Ulmer. Er ist einer von denen, die vorneweg gehen sollen, im Moment aber mehr mit sich selbst zu tun haben. Wenn dann als Eckpfeiler eingeplante Spieler wie Zugang Paulo Miranda völlig neben der Spur sind und ein halbes Dutzend eigentlich gesetzter Spieler verletzt ausfallen, ergibt dies eine explosive Mischung, mit der die Bullen im Moment nicht umgehen können.

Martin Hinteregger, Zugang Havard Nielsen und vor allem Kapitän und Topscorer Jonatan Soriano werden schmerzlich vermisst, auch Reinhold Yabo oder Omer Damari werden dem Team einen ordentlichen Schub nach vorne verleihen - so sie denn endlich fit und voll belastbar sind. Bis dahin muss sich Salzburg irgendwie durch die Saison mogeln und die schwierige Startphase überstehen. "Es passt nicht viel im Moment bei uns. Das Spiel nach vorne, auch das Spiel gegen den Ball ist kaum vorhanden", gibt Ulmer zu.

Deutlich drastischer formuliert Hinteregger seine Sicht der Dinge, die auch auf ein Hierarchie- und Mentalitätsproblem innerhalb der Mannschaft deutet. "Wir müssen überlegen, vom Kinderfussball wieder zu dem Fussball zurückzukommen, den wir unter Roger Schmidt gelernt haben! Derzeit haben wie Schülerliga-Niveau."

Bullen fehlt die Entschlossenheit

In allen Mannschaftsteilen müssen sich die Pärchen erst noch finden, die Abläufe in der Defensivbewegung müssen sich elementar verbessern und die Anzahl der krassen individuellen Fehler deutlich verringert werden. Und in der Offensive muss Red Bull endlich auch mal brutaler agieren, entschlossener und kühler im Abschluss werden. Torchancen erspielt sich die Mannschaft zumeist, dann fehlt aber der letzte Schritt, um die Anstrengungen auch in Tore umzumünzen.

Das muss auf dem Platz passieren. Hinter den Kulissen müssen die Entscheidungsträger vor allen Dingen Ruhe bewahren. Die beiden Sportdirektoren Jochen Sauer und Christoph Freud sind hier besonders als Krisenmanager gefragt. An der rein fachlichen Qualifikation von Peter Zeidler dürfte es keine Zweifel geben. Aber auch der Deutsche muss endlich Ergebnisse liefern.

Das Rückspiel gegen Dinamo Minsk wird ein Knackpunktspiel für den weiteren Saisonverlauf der Bullen werden. Und es dürfte auch für Trainer Zeidler von entscheidender Bedeutung sein. Der ist jetzt als Psychologe gefragt - denn dass Salzburg dem Gegner trotz aller Baustellen fussballerisch überlegen sein sollte, hat das Hinspiel in Ansätzen gezeigt.

"Wir sind noch nicht ausgeschieden und müssen die Mannschaft wieder aufrichten", sagte der nach der Pleite in Minsk. Im Prinzip könnte er seine Worte auch auf seine ganz persönliche Lage in Salzburg bezogen formulieren. Noch ist es nicht zu spät. Es muss aber ganz schnell etwas passieren.

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