Fast 30 Jahre ist es her, dass Turbine Potsdam in die damals noch zweigleisige Bundesliga der Frauen aufstieg, jetzt muss der Traditionsklub zum ersten Mal runter in die 2. Bundesliga. Besiegelt wurde das durch eine 1:5-Niederlage gegen Bayer Leverkusen im heimischen Karl-Liebknecht-Stadion. Der Absturz erscheint plötzlich und rasant, allerdings liegen langfristigere Entwicklungen zugrunde.

Annika Becker
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Annika Becker dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Seit der Saison 1994/95 war der Verein erstklassig. Nach der Wende lief man als Frauenabteilung des SSV Turbine Potsdam auf, die Gründung des 1. FFC Turbine Potsdam in der heutigen Form als eigenständiger Verein erfolgte im Jahr 1999. Die Wurzeln des Vereins liegen allerdings noch weiter zurück, in der Gründung der Frauenabteilung von BSG Turbine Potsdam im Jahr 1971.

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Wie spätestens durch diese Zahlen deutlich wird, liegt im Klub also sehr viel Geschichte, sehr viel Tradition. Über lange Jahre war der Verein zudem sehr erfolgreich, ein Aushängeschild des deutschen Fussballs und wichtig für die Weiterentwicklung des Fussballs der Frauen. Zu Buche stehen sechs DDR-Meisterschaften, sechs gesamtdeutsche Meisterschaften, drei DFB-Pokalsiege und zwei Europapokal-Siege.

Es gibt bis heute im Erwachsenenbereich keinen anderen Verein aus den ostdeutschen Bundesländern mit einer gesamtdeutschen Meisterschaft im Fussball. Dazu kommen zahlreiche ausgebildete oder herangeführte Nationalspielerinnen, zum Beispiel Felicitas Rauch (27, VfL Wolfsburg).

Erfolgreiche Zeiten

Die erfolgreichste Phase hatte Turbine in den 2000er Jahren mit dem Triple im Jahr 2005 bis zur letzten Meisterschaft im Jahr 2012. Genau zehn Jahre später sah in der Saison 2021/22 lange alles danach aus, als könne Potsdam allen Zwischenrufen über das Aussterben reiner Frauenvereine zum Trotz noch einmal an diese Erfolge anknüpfen: Zum einen spielte das Team unter dem damaligen Trainer Sofian Chahed lange um den dritten Tabellenplatz und somit die Champions-League-Quali mit.

Zum anderen erreichte Potsdam das DFB-Pokalfinale gegen den VfL Wolfsburg. Im Endspurt jedoch verlor Turbine alle entscheidenden Spiele: Eintracht Frankfurt zog in der Ligatabelle vorbei und Wolfsburg gewann mal wieder den Pokal.

Dieses Übertrumpftwerden von der alten-neuen Konkurrenz wirkt wie eine Zuspitzung der Entwicklung der letzten Jahre, in denen Lizenzklubs die alten Traditionsvereine grösstenteils endgültig übernommen oder verdrängt haben. Der Verein schien in Folge zu implodieren. Dreizehn Spielerinnen verliessen den Verein im Sommer 2022, und Chahed, dessen Vertrag noch im Winter zuvor verlängert worden war, musste gehen.

An der Trainerpersonalie entzündete sich ein Konflikt, der dazu führte, dass Präsident Rolf Kutzmutz zurücktrat. Weitere Personalrochaden zogen sich durch die gesamte aktuelle Saison mit vier Trainerwechseln und dreizehn Abgängen von Spielerinnen, darunter viele Leistungsträgerinnen. Achtzehn Neuzugänge hatten keine Zeit, zusammenzufinden und konnten das nicht kompensieren.

Generationenkonflikt bei der Präsidentschaftswahl

Ein Generationenkonflikt über die Ausrichtung des Klubs zeigte sich bereits im Sommer 2021, als Ex-National- und Turbine-Spielerin Tabea Kemme bei der Präsidentschaftswahl gegen Kutzmutz antrat und knapp verlor. Von aussen konnte man durchaus den Eindruck bekommen, dass die alten Herren im Verein eine jüngere Frau an der Spitze unbedingt verhindern wollten.

Spätestens mit dem Abstieg sollte klar sein, dass Kemme völlig zurecht seit Jahren immer wieder den Finger in die Wunde legt, wenn sie über ihren ehemaligen Verein und die Bedingungen dort spricht. Inzwischen ist sie damit auch nicht mehr allein.

Die Aussagen von Gründer und jahrzehntelangem Ex-Trainer Bernd Schröder, aber auch von aktiven Spielerinnen, die sich anonym äusserten, gehen in dieselbe Richtung, und die Liste der vorgeworfenen Mängel ist lang: von überlasteten ehrenamtlichen Strukturen, schlechten Trainingsplatzbedingungen, veralteten Trainingsmethoden, Kommunikationsproblemen und einem autoritären Führungsstil, Physios, die über Verletzungen nicht ausreichend informiert sind und fehlenden Ansprechpartner*innen für die Spielerinnen, die sich durch die Gegebenheiten nicht rein auf den Sport konzentrieren können.

Fehlende Mittel und Verbündete

Es ist klar, dass ein Verein wie Turbine Potsdam geringere finanzielle Möglichkeiten hat, bestimmte Entwicklungen mitzugehen, und an manchen Stellen auch Zusammenarbeit mit zum Beispiel der Stadt Potsdam nötig ist, um Lösungen zu finden. Gerade von Seiten der Stadt gibt es in Potsdam nicht so viel Unterstützung wie etwa in Essen für die SGS.

Nur schien Turbine Potsdam lange gedanklich festzustecken und hat es verpasst, sich auf der Entscheidungsebene zu verjüngen, nach anderen, kreativen Lösungen zu suchen. Aus dieser Position heraus konnte man sich lange Zeit über die eigenen Verhältnisse strecken, bis dann die Konkurrenz so weit enteilt war, dass ein Zusammenbruch überfällig wurde.

Wie es weitergeht, muss sich zeigen. Der Verein prüft gerade, ob das Ziel direkter Wiederaufstieg realistisch ist. Denn Fakt ist: Durch den Abstieg und den zeitgleichen Wegfall der Kooperation mit Hertha BSC geht dem Verein viel Geld verloren. In der zweiten Liga tummeln sich viele Zweitvertretungen von Erstligistinnen, die zwar nicht aufsteigen können, aber durch die Zugehörigkeit zu Lizenzvereinen finanziell und strukturell in der Regel besser aufgestellt sind.

Zudem wird die regionale Konkurrenz grösser durch neue Frauenabteilungen bei Union und Hertha BSC, Investorinnen bei Viktoria Berlin und durch den Aufstieg RB Leipzigs. Dazu wird ab der kommenden Saison die sowieso grosse Schere zwischen 1. und 2. Bundesliga der Frauen durch den neuen TV-Vertrag nochmals grösser, die Vereine der 1. Liga bekommen dann pro Saison knapp 390.000 Euro.

Auch der DFB ist in der Verantwortung

Wie sich daran erkennen lässt, würde es trotz ausbleibender Entwicklung beim Verein zu kurz greifen, den Klub allein für diesen Absturz verantwortlich zu machen, denn die strukturellen Schieflagen liegen in der Verantwortung des DFB. Es kann nicht oft genug wiederholt werden, dass der Verband eine historische Verantwortung hat, die sich aus dem Ausschluss des Fussballs der Frauen aus dem DFB zwischen den Jahren 1955 und 1970 ergibt. Zumal der Fussball der Frauen nach der Aufhebung dessen durch Sonderregeln ausgebremst wurde, während der Fussball der Männer sich weiterentwickeln und neue finanzielle Möglichkeiten erschöpfen konnte.

Seit sich der Abstieg von Turbine Potsdam andeutete, gab es von Funktionär*innen auf Nachfrage immer wieder Beteuerungen des Bedauerns über den möglichen Abstieg dieses ehemals so erfolgreichen Traditionsklubs. Im gleichen Atemzug wird dann die nötige Professionalisierung genannt, dass Investitionen nötig sind, dass die Lizenzvereine eben andere Möglichkeiten bieten.

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Die eigene Rolle dabei, warum genau das eigentlich so ist, wird nicht reflektiert. Es soll plötzlich alles schön schnell gehen und bitte möglichst unkompliziert – für den DFB. Ein weiterer reiner Frauenverein, der grosse Spielerinnen hervorgebracht hat, mit einem gut gefüllten Trophäenschrank, der wie andere vor ihm droht, aus dem sowieso schon schmalen Aufmerksamkeits-Horizont zu rutschen, scheint beim Verband ernsthaft dann doch nicht zu interessieren.

Deshalb ist Turbine Potsdam zu wünschen, dass vielleicht extrem spät die Zeichen doch noch erkannt werden und es eine strukturelle Modernisierung des Vereins gibt. Damit nicht das Schicksal so vieler anderer Traditionsvereine geteilt wird, damit es weiter Klubs gibt, die markant und auf die richtige Art kompliziert sind.

Verwendete Quellen:

  • tagespiegel.de: Turbine Potsdams Abstieg ins Ungewisse
  • tagesspiegel.de: Tabea Kemme verliert bei der Präsidentschaftswahl gegen Rolf Kutzmutz
  • rbb24.de: "Pure Enttäuschung" bei Turbine Potsdam
  • rbb24.de: "Der Verein hat den Absprung verpasst und das Innovative verloren"
  • rbb24.de: Rolf Kutzmutz verkündet Rücktritt als Präsident von Turbine Potsdam
  • sportschau.de: Turbine Potsdam und Hertha BSC beenden Kooperation
  • turbine-potsdam.de: Sofian Chahed verlängert seinen Vertrag bis 2025
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