Neun Spiele, acht Siege, ein Remis: Bayer Leverkusen steht vor dem zehnten Spieltag an der Spitze der Bundesliga. Und das völlig zu Recht. Und es ist gar nicht so unwahrscheinlich, dass dies im kommenden Frühjahr auch so sein wird. Denn für den Höhenflug der Werkself gibt es gute Gründe.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Ein Dampfplauderer oder Lautsprecher war Xabi Alonso nie. Kampfansagen sind nicht sein Ding, grosse Töne können andere spucken. Der Spanier lässt die Taten als Trainer für sich sprechen, seine Aura ist seine Autorität. Damit ist im Grunde genug gesagt, er setzt die Statements anders als andere. Die können gerne über Bayer Leverkusen als ernsthaften Anwärter auf die Meisterschaft philosophieren.

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Er versucht, die Euphorie nach 25 Punkten aus neun Spielen und der damit verbundenen Tabellenführung zu moderieren und ein wenig einzufangen. Über den Titel "zu sprechen, ist nicht intelligent", sagte Alonso: "Wir haben einen guten Moment, ja. Aber es gibt noch viele Spiele zu spielen."

Trotz des leichten Understatements bleibt festzuhalten: Leverkusen steht zu Recht ganz oben in der Tabelle, denn für die Erfolgsserie gibt es ein paar sehr gute Gründe.

Grund 1: Xabi Alonso

Klar, der Trainer kommt an erster Stelle, denn er ist der wohl grösste Coup der Verantwortlichen in den letzten Jahren. Alonso hat es geschafft, innerhalb eines Jahres aus der Werkself eine Spitzenmannschaft zu formen, die seine Philosophie eines dominanten und blitzschnellen Ballbesitz-Fussballs versteht, auf den Platz transportiert und im Moment dort förmlich zelebriert.

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Die Spieler schauen zu ihm auf, der als Aktiver alles gewonnen hat, was man gewinnen kann. Er entwickelt sie weiter, gibt ihnen Lösungen an die Hand und impft ihnen Selbstvertrauen ein. Bayer hat aktuell dank Ideengeber und Stratege Alonso auf nahezu alles eine passende Antwort.

Was auch daran liegt, dass Alonso als Spieler unter den Besten gelernt hat, ob nun von Pep Guardiola, Carlo Ancelotti, Jose Mourinho, Manuel Pellegrini oder Rafael Benitez. "Xabi Alonso hat einen grossen Anteil an dieser Entwicklung und weiss durch seine Erfahrung, was eine Mannschaft auf Strecke braucht", lobte der frühere Nationalspieler Jürgen Kohler in seiner "kicker"-Kolumne den Bayer-Trainer.

Grund 2: Der Kader

Simon Rolfes steht als Sportdirektor zwar ein wenig im Schatten von Alonso, doch das Bayer-Urgestein hat in diesem Sommer bewiesen, was er als Macher hinter den Kulissen drauf hat. Victor Boniface, Jonas Hofmann, Alejandro Grimaldo und Granit Xhaka schlugen auf Anhieb ein, hoben das Team auf ein neues Level.

Boniface, Grimaldo und Hofmann kommen zusammen auf 15 Tore und neun Assists. Xhaka (104,6 Kilometer), Grimaldo (102,2) und Hofmann (100,3) reissen zudem bei Bayer die meisten Kilometer ab. "Es ist sehr bemerkenswert, wie alle zusammen unserer Spielidee treu bleiben. Wir verfolgen einen klaren Plan und lassen uns auch nach Gegentoren nicht aus der Ruhe bringen. Wir machen immer weiter. Und das macht uns stark", erklärte Hofmann.

Grund 3: Die Mentalität

Auch menschlich passt es, weshalb Rolfes davon überzeugt ist, dass diese Mannschaft nicht irgendwann den üblichen Bayer-Blues bekommt und einbricht. Und das wegen "der Qualität und des Charakters der Spieler und der Art und Weise, wie unser gesamter Staff hier arbeitet", sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger".

Es haben sich im Vergleich zur vergangenen Saison entscheidende Dinge verändert und verbessert; Rolfes bediente Alonsos Wünsche, mit denen die Baustellen der Vorsaison punktuell adressiert wurden, und das nicht nur aus spielerischer Sicht. "Die Spieler sind bereit, hart zu arbeiten. Im vergangenen Jahr konnte ich das nicht von allen sagen", sagte Rolfes: "Deshalb sind nicht nur Zu-, sondern auch Abgänge wichtig. Da haben wir einen Sprung gemacht."

Es gebe zudem keinen Neid im Klub, auch nicht auf Alonso. "Dass Xabi Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist doch okay. Besser als andersrum", sagte Rolfes. "Wenn wir Erfolg haben, ist für alle genug Anerkennung übrig."

Und: Leverkusen galt immer als Komfortzone, als fatale Wohlfühloase, wo Talente zwar in Ruhe reifen können, aber dafür kein Hunger nach maximalem Erfolg entstehen kann, keine wirkliche Siegermentalität. Die Rolle des Geheimfavoriten verkam in den vergangenen Jahren zum Running Gag, Anspruch und Realität klafften auseinander. Alonso, der als Spieler spanischer, deutscher, Welt- und Europameister wurde und auch die Champions League gewann, hat dem manchmal etwas provinziell-schläfrig wirkenden Klub buchstäblich in den Hintern getreten. Die DNA des Klubs könnte sich nachhaltig verändern.

Grund 4: Florian Wirtz

Er ist 20 Jahre alt, das aktuelle Megatalent im deutschen Fussball und Denker und Lenker bei Bayer. Er ist einer der Schlüsselspieler, ein Freigeist und auch Vollstrecker. Wie zuletzt gegen Freiburg, als er es bei seinem Tor mit fünf Gegenspielern aufnahm und nach ein paar Täuschungsmanövern überlegt ins lange Eck abschloss.

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"Nicht viele Spieler in der Bundesliga können so eine spezielle Aktion vollbringen. Das war brutal! Ich werde mich sicher noch in vielen Jahren an dieses Tor erinnern", erklärte Alonso. "Florian Wirtz kannst du nicht verteidigen", brachte es Freiburgs Trainer Christian Streich auf den Punkt. Wirtz sei ein "sehr guter Spieler, sehr jung, sehr reif", sagte auch Freiburgs Kapitän Vincenzo Grifo: "Er spielt frei, das zeichnet ihn aus. Bei so einer guten Mannschaft noch herauszuragen, das spricht für ihn."

Grund 5: Die Mischung

Sie passt, defensiv wie offensiv. Die Chemie stimmt, die individuelle Entwicklung geht einher mit mannschaftlichem Fortschritt. In der Abwehr zeichnet das Team neben einer guten Abstimmung eine starke körperliche Präsenz aus, mit konsequenten und konzentrierten Auftritten, die deutlich stabiler sind als noch im Vorjahr. Mit acht Gegentoren hat man die drittbeste Abwehr der Liga. Xhaka ist als Bindeglied zwischen Abwehr und Angriff das Herz der Mannschaft. Und offensiv ist Leverkusen im Moment sowieso über jeden Zweifel erhaben.

"Die Meisterschaft wird nur über Leverkusen gehen", sagt deshalb Sky-Experte Dietmar Hamann bei "sky": "Sie haben das komplette Paket, das ist eine richtig gute Mannschaft, die einfach Spass macht. Ich wüsste nicht, wo da irgendwann mal ein Hänger kommen soll. Wenn man sich die Bank anschaut, was sie für tolle Spieler haben: Ich glaube nicht, dass die zwei oder drei Spiele hintereinander verlieren, weil sie diese Konstanz einfach haben, diese Widerstandsfähigkeit." Auf diese Konstanz wird es im Titelkampf ankommen.

Auch Sky-Experte Lothar Matthäus sieht Bayer Leverkusen als grössten Rivalen der Bayern, schrieb er in einer Kolumne für den "kicker", er traue Leverkusen zu, die Vormachtstellung des BVB und des FCB in Deutschland anzugreifen: "Das ist kein Jahresprojekt. Der Kader ist superstimmig zusammengestellt worden". Für ihn "stimmt alles in dieser Mannschaft und in diesem Verein". Was auch an Alonso liegt. Die Kampfansagen überlässt er aber trotzdem anderen.

Verwendete Quellen:

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