Bernd Hollerbach eilt ein gewisser Ruf voraus und der Hamburger SV setzt seine Hoffnungen auf eben jene Qualitäten des neuen Trainers. Für den Klassenerhalt des Bundesliga-Dinos ist das aber ein recht dünnes Fundament.

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Natürlich war das wieder eine so genannte Impulsentscheidung, ein Begriff so sperrig wie der des Laptoptrainers.

Wenn ein Profiklub nach gerade zwei absolvierten Spielen in der Rückrunde seinen Trainerstab entlässt, den Neuen also mitten hineinwirft ins Getümmel, so ganz ohne Vorbereitung, Trainingslager oder grosser Mitsprache bei der Kaderplanung, dann ist es mit dem Perspektivdenken nicht so weit her.

Dann muss mal wieder ein neuer Impuls gesetzt werden. So drücken sich die Sportdirektoren und Kommunikationsabteilungen gerne aus.

Bernd Hollerbach ist so etwas wie das Rollenmodell einer Impulsentscheidung - und der Hamburger SV der ungekrönte König unter jenen Klubs, die mal wieder die Reissleine ziehen müssen.

Hollerbach folgt in Hamburg auf Markus Gisdol, dem die Verantwortlichen nicht mehr zugetraut hatten, den tief im Schlamassel steckenden Karren nochmal aus dem Dreck zu ziehen.

Es ist der achte Trainer in den letzten fünf Jahren beim HSV, selbst notorisch nervöse Klubs wie der VfB Stuttgart heben da die Augenbrauen.

Huub Stevens war vor elf Jahren der letzte Hamburger Trainer, der seinen Vertrag auch erfüllt hat. Alle anderen wurden vorher geschasst.

Magath ist voll des Lobes

Hamburgs Mannschaft hat die letzten vier Spiele verloren, ist seit sechs Spielen ohne Sieg und steht in der Tabelle auf einem direkten Abstiegsplatz.

In 19 Saisonspielen hat der HSV elf Mal kein eigenes Tor geschossen und stellt damit den zweitschlechtesten Angriff der Liga.

Gisdols Spielsystem hatte sich schon längst überholt. Genau genommen bereits im letzten Sommer, also wenige Wochen nach der abermals glücklichen Rettung.

Der sture und alternativlose Pressingfussball des Ex-Trainers wurde von der Konkurrenz längst als einfältig enttarnt, trotzdem hielten Sportchef Jens Todt und Vorstandsboss Heribert Bruchhagen an Gisdol fest.

Gisdol hatte keinen Plan B in der Tasche und am Ende nur noch eine lethargische Truppe um sich.

Deshalb jetzt der Entschluss, aus diesem Teufelskreis auszubrechen mit einem Trainer, der durchaus anders gestrickt ist als der Vorgänger, für den diese schwierige Konstellation aber auch Neuland ist.

"Die Mannschaft darf damit rechnen, dass sie besser trainiert wird und besser geführt wird", war schon ein paar Stunden nach den ersten Gerüchten um Hollerbach aus dem fernen Japan zu vernehmen.

Felix Magath, unter dem Hollerbach jahrelang als Co-Trainer gearbeitet hat, sah sich um eine Einschätzung bemüssigt.

Es werde mit Hollerbach sogar so sein, dass die Mannschaft "nicht nur gegen direkte Konkurrenten gewinnen kann, sondern auch gegen Mannschaften, die eigentlich stärker besetzt sind".

Also gehe Magath davon aus, "dass der HSV mit dem Abstiegskampf nichts mehr zu tun haben wird." Das ist zumindest eine kühne Prognose.

Ein harter Hund

Hollerbach hat mit den Würzburger Kickers zweimal den Aufstieg bis in die zweite Liga geschafft, ist dort dann aber in der letzten Saison nach einer Rückrunde ohne einen einzigen Sieg doch gleich wieder abgestiegen.

Am Ende wirkte der 48-Jährige ausgebrannt und leer und verständigte sich mit den Kickers auf eine einvernehmliche Vertragsauflösung.

Bei den Fans dürfte der ehemalige HSV-Spieler noch einmal für so etwas wie Aufbruchsstimmung sorgen. Weil der eisenharte Verteidiger auch eine Kultfigur war und er sich seine knorrige und rabiate Art auch als Trainer behalten hat.

Die enge Beziehung zu Magath und die Tatsache, dass Hollerbach das Thema Disziplin über vieles andere stellt, lassen das Klischee vom harten Hund im Abstiegskampf in Hamburg jetzt neu aufleben.

Hollerbach ist in einigen Punkten ein Gegenentwurf zu dieser neuen Generation Trainer, die ihre Spieler mit ins Boot nehmen, ihnen Trainingsinhalte erklären und sich auch über die Aufstellung austauschen.

Andererseits würde ihm das Prädikat des Kraftfussballs auch nicht gerecht werden. Gerade in Würzburg hat Hollerbach sehr flexiblen Fussball spielen lassen, durchaus modern geprägt und auch offensiv, wenn es der Gegner zugelassen hat.

Das wäre schon mal ein konkreter Unterschied zu Gisdol, der fast immer nach Schema F hat spielen lassen und kaum noch Überraschungsmomente für den Gegner auf Lager hatte.

Ein Effekt - der schnell verpufft sein könnte

Aber der neue Trainer steht beim HSV vor einer Mammutaufgabe. Mitten in der Saison muss er einer Mannschaft eine Spielkultur beibringen, mit der die Aussicht auf Siege deutlicher steigt.

Nur mit Pressing- und Gegenpressingfussball gewinnt man keine Spiele und dem HSV helfen auf Sicht nur Siege.

Die Mannschaft braucht einen starken Paradigmenwechsel, sie benötigt ein tragendes Offensivkonzept und eine neue Mentalität.

Ganz zu schweigen von Leichtigkeit und Selbstvertrauen. 15 Spieltage sind eine lange Zeit und es gibt noch genug Punkte zu ergattern, um den ersten Abstieg der Vereinsgeschichte einmal mehr abzuwenden.

Aber Hollerbach fängt jetzt mitten in der Saison an. Bis seine Ideen die Mannschaft durchdringen, könnte es eine Weile dauern.

Diese Zeit gibt es im Abstiegskampf aber nicht. Stattdessen sieht der Auftakt in den kommenden Wochen zwei Derbys (gegen Hannover und Bremen) sowie drei Spiele gegen die Champions-League-Anwärter Leipzig, Dortmund und Leverkusen vor.

Die Hoffnung beim HSV ist nicht unbedingt darauf ausgerichtet, was der neue Trainer in kurzer Zeit so anders macht. Sondern dass er überhaupt erstmal etwas anders macht. Einen neuen Impuls setzt. Wenn das doch nur so einfach wäre...

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