Der Rauswurf von Peter Bosz bei Borussia Dortmund rückt automatisch das Führungsduo Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc in den Fokus. Die Bosse haben den BVB einst ganz nach oben geführt, in den letzten Jahren aber einige Fehler begangen. Zu viele Fehler? Die möglichen Konsequenzen blieben bis jetzt aus.

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Ganz nüchtern betrachtet war das bei der Borussia Dortmund GmbH und Co. KGaA so: Ein mittelständisches Unternehmen hat seinen CEO gefeuert.

Der hatte zwar entscheidend zu einem Anstieg des Aktienkurses um 80 Prozent beigetragen, den höchsten in der Geschichte des Unternehmens – und trotzdem musste er gehen.

Nun ist aber der Ballspielverein Borussia 09 immer noch ein eingetragener Verein und im Zusammenspiel mit der Aktiengesellschaft eins jener merkwürdigen Konstrukte, wie es sie nur im Sport geben kann.

Der Verein oszilliert irgendwo zwischen Folklore und Kommerz, er beansprucht das schönste Stadion und die besten Fans der Welt für sich und natürlich die echte Liebe. Da kann man dann nicht immer nur technokratisch entscheiden, sondern muss auch Empathie und Herz beweisen.

Die grossen Entscheider bei Borussia Dortmund sind seit mehr als einer Dekade Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc. Watzke hat den Klub in seiner finstersten Stunde übernommen und vor dem Untergang bewahrt. Allein dafür müsste dem Geschäftsmann aus dem Sauerland ewiger Dank gewiss sein.

Zorc hat ebenfalls schwere Jahre überstanden. Er stand als Sportdirektor schon vor dem Aus, ehe er mit Watzke zusammen die rettende Idee hatte und Jürgen Klopp aus Mainz nach Dortmund holte.

Der steile Aufstieg aus dem Mittelmass der nationalen Konkurrenz hinein in Europas Elite war rasant. Den Bossen glückte wie von Geisterhand nahezu jeder Kniff. Fünf Jahre lang ging das so.

Dann ging Klopp und es kamen die Probleme. In der letzten Saison hat die Borussia erstmals seit fünf Jahren wieder einen Titel gewonnen. Trotzdem war es das turbulenteste Jahr seit dem Beinahe-Exitus 2005.

Keine Rückendeckung für den Trainer

Für einige Dinge konnte der BVB nichts, der Anschlag im April zum Beispiel war eine tiefe Zäsur, deren Wunden bis heute nicht verheilt sind. Sehr viele andere Dinge waren aber hausgemachte Probleme.

Thomas Tuchel, der erfolgreiche CEO der Aktiengesellschaft beziehungsweise der erfolgreiche Trainer des e.V., hatte für drei Jahre unterschrieben, aber schon nach seiner ersten Saison gab es genug Reibungspunkte und Konfliktpotenzial.

Watzke und Zorc schritten nicht ein, danach wurden die Spannungen immer grösser und gipfelten in der Aufarbeitung des Anschlags, der von beiden Seiten auf ganz individuelle Weise moderiert wurde.

Tuchel wurde mehr und mehr isoliert, er verlor wenigstens die halbe Kabine mit einem grossen Teil jener Spieler, die schon unter Klopp erfolgreich beim BVB angestellt waren.

Die Rückendeckung der Bosse galt den Spielern, Tuchel war auf sich allein gestellt und man bekam das Gefühl, dass der Klub seinen kritischen Angestellten nur noch loswerden wollte.

Mislintat-Abgang als Kollateralschaden

Das Ende wenige Tage nach dem Pokaltriumph von Berlin war unwürdig. Dass in den Monaten davor auch bei einem anderen wichtigen Angestellten entscheidend etwas zu Bruch gegangen war im Vertrauensverhältnis zu Watzke und Zorc, wurde erst neulich so richtig klar: Dann nämlich, als Chefscout Sven Mislintat seinen Wechsel zum FC Arsenal bekannt gab.

Mislintat war Zorcs wichtigster Zuarbeiter, das Auge und Gehirn einiger sensationell erfolgreicher Transfers der letzten Jahre. Aber auch derjenige, der auf Geheiss der Chefetage das Trainingsgelände nicht mehr betreten durfte nach seinem Zwist mit Tuchel.

Diese Situation war kompliziert; Watzke und Zorc waren um ihre Entscheidung wahrlich nicht zu beneiden. Unterm Strich steht aber, dass mittlerweile beide Streithähne nicht mehr da sind und der BVB als grösster Verlierer dasteht.

Die Mannschaft musste umgebaut werden

Mit Mats Hummels, Henrikh Mhkitaryan und Ilkay Gündogan hat der Klub vor zweieinhalb Jahren sein Gerüst verloren. Tuchel konnte das in seiner ersten Saison fantastisch auffangen, in der zweiten Saison wurde der Mangel schon nur noch verwaltet, in der dritten schlagen die Versäumnisse der letzten beiden Jahre mit voller Wucht durch.

Die Planung des aktuellen Kaders ist nicht besonders befriedigend. Und wenn dann auch noch ein Trainer dazu verpflichtet wird, dessen Spielidee nicht sauber auf die Struktur des Kaders passt, wird daraus eine bisher verkorkste Saison.

Peter Bosz war die falsche Idee

Peter Bosz ist gewiss nicht unschuldig am rapiden Abstieg der Mannschaft von Platz eins auf Rang acht und am peinlichen Aus in der Champions League mit nur zwei Punkten aus sechs Spielen – so schlecht war noch nie eine deutsche Mannschaft in der Gruppenphase.

Aber der Niederländer wurde auch von einer Mannschaft im Stich gelassen, in der immer noch die Helden von einst das Sagen haben und in der einige der Stars von ganz oben auch zu viele Freiheiten bekamen.

Einen Spieler wie Pierre-Emerick Aubameyang kann ein Trainer ein-, vielleicht zweimal pro Saison sanktionieren. Alles andere wäre auf Grund der sportlichen Qualitäten des Gabuners schlicht fahrlässig.

Dass der Angreifer seine Sperenzchen aber ungeniert auf die Spitze treiben durfte, ist auch ein Versäumnis der Bosse, die schon lange hart und konsequent hätten durchgreifen müssen.

Nach aussen wollte die Borussia die am Wochenende vollzogene Trennung von Bosz partout vermeiden. Dabei war schon vor Wochen ersichtlich, dass es mit dem Trainer so nicht weitergehen kann.

163 Tage hat Bosz nur geschafft: Das ist automatisch auch ein schlechtes Zeugnis für Watzke und Zorc. Dass dann auch noch Bosz‘ Nachfolger Peter Stöger nachts angerufen und am nächsten Morgen schon auf der Pressekonferenz sitzt, die Bosz‘ Aus erklären sollte, hat einen Beigeschmack. Zumal der BVB bei seiner Version bleibt, mit Stöger erst nach Bosz‘ Entlassung Kontakt aufgenommen zu haben.

Es gab in der jüngeren Vergangenheit einige Debatten und Beschlüsse, die Watzke und Zorc auf die Füsse gefallen sind. Trotzdem scheinen die beiden in Dortmund unumstritten.

Das hat mit der grossen Dankbarkeit und dem Vertrauensvorschuss zu tun, den sich beide hart erarbeitet haben. Das darf aber auch kein Freifahrtschein sein für die Zukunft.

Die Fans wollen Erfolge, die Aktionäre Dividenden. Beides gelingt nur, wenn wieder die richtigen Entscheidungen getroffen werden.

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