Zum wiederholten Mal beweist der BVB gegen Gladbach Moral und Comeback-Qualitäten und wird zu Recht dafür gelobt. Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Mannschaft bleibt wankelmütig und erratisch - und das ist auf Dauer ein massives Problem.

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Natürlich konnte sich Hans-Joachim Watzke diese eine Spitze nicht verkneifen. "Die Vereine, die irgendwann die realistische Erwartungshaltung verlieren, denen geht es danach nicht besser. Guckt doch mal nach Gelsenkirchen – und das meine ich ohne Häme: Vor fünf Jahren waren sie noch Vize-Meister. Da habe ich dann im "Kicker" gelesen: "Jetzt greifen wir den BVB an". Das hat nicht funktioniert."

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Das sagte Watzke am Sonntagnachmittag auf der Mitgliederversammlung von Borussia Dortmund. Watzke nutzte die Veranstaltung in den vergangenen Jahren immer wieder, um gegen den Nachbarn zu sticheln. Insofern kam der FC Schalke wenig überraschend in seiner Rede vor – wenngleich Dortmunds Geschäftsführer sie dieses eine Mal nicht besonders scharf oder schnippisch vortrug.

Energisch wurde Watzke erst, als es um die Aufarbeitung der letzten sechs Monate ging und den medialen Umgang mit seiner Mannschaft. "Es war der schrecklichste Tag in meinem Leben. Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Ich wusste: So etwas kann einen Verein zerstören, ihn auf Jahre beschädigen oder lähmen", sagte Watzke im Rückblick auf die verpasste Meisterschaft Ende Mai und schickte dann noch eine kleine Botschaft hinterher.

"Wir sind seit Monaten einem Trommelfeuer ausgesetzt, wie ich es ewig nicht erlebt habe. Ich bitte um eine faire Berichterstattung mit einem analytischen Ansatz. Wir lassen es nicht zu, dass man uns zerstören will!"

Die Inkonstanz als Markenzeichen

Der BVB-Boss hat dafür ein paar gute Argumente auf seiner Seite. "Wir haben 24 Punkte aus zwölf Spielen gesammelt. Wir hatten uns vielleicht zwei, drei mehr erhofft. Aber es ist jetzt auch nicht so, dass wir in Sack und Asche gehen müssen", so Watzke. Tatsächlich kann sich die Ausbeute in der Liga bisher sehen lassen, dazu stehen die Chancen in der Königsklasse zwei Spieltage vor Schluss gut und auch im DFB-Pokal ist die Mannschaft noch dabei.

Allerdings – und das ist die andere Seite der Wahrheit – ist die Spitze in der Liga schon weit enteilt und hat die Mannschaft auch nach einem Drittel der Saison noch teilweise massive Probleme, in die Spur zu finden. Das beste Beispiel dafür musste der BVB keine 24 Stunden vor Watzkes Rede erleben, beim ebenso spektakulären wie wackeligen 4:2-Erfolg über Borussia Mönchengladbach.

Wie sich die Mannschaft da in den ersten 30 Minuten präsentierte, liess Schlimmstes befürchten und erinnerte fatal an die Nichtleistung in Stuttgart zwei Wochen zuvor. Ein Gegentor wie das 0:1, als der Gegner mit zwei vergleichsweise simplen Vertikalpässen die komplette Dortmunder Defensive durchschnitt und Nico Schlotterbeck in letzter Konsequenz völlig unnötig zum Tackling ansetzte, statt einfach mitzulaufen und den Ball beim Abschluss zu blocken, ist schwer zu erklären.

Ebenso wie die später folgenden 15 Minuten bis zur Pause, als die Mannschaft dann ansatzlos eine komplette Kehrtwende hinlegte und das Spiel mit drei Toren drehte. Der BVB hat in diese erste Halbzeit gegen Gladbach so ziemlich alles gepackt, was man nun schon seit sehr langer Zeit beobachten kann. Die Inkonstanz bleibt Programm beim BVB und nach den letzten Auftritten deutet wenig darauf hin, dass sich daran in naher Zukunft etwas ändern könnte.

Kehl und Terzic betonen die Comeback-Qualitäten

Nun bemühen sich alle Verantwortlichen, die positiven Signale zu betonen. Trainer Edin Terzic und Sportchef Sebastian Kehl betonten die Comeback-Qualitäten ihrer Mannschaft, die tatsächlich ausserordentlich sind: Elf Punkte hat die Borussia in dieser Saison nach einem Rückstand noch geholt und damit jetzt schon zwei mehr als in der kompletten letzten Saison. Das sei "ein Merkmal dieser Mannschaft in dieser Saison", sagte Kehl.

In der letzten Saison war der BVB besonders in der Hinserie gar nicht gut darin, Rückstände noch zu drehen. Und in der Rückserie kam die Mannschaft schlicht kaum noch in diese Verlegenheit. Was im Umkehrschluss für die aktuelle Situation bedeutet: Dortmunds Mannschaft reisst sich oft genug erst dann am Riemen, wenn es etwas aufzuholen gilt. Das gelingt gegen Gegner aus dem mittleren oder unteren Tabellensegment auch ganz gut. Eine echte Spitzenmannschaft kommt aber tunlichst erst gar nicht in die Verlegenheit.

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Noch gehörig Luft nach oben

Das unterscheidet den BVB von den Mannschaften, die aktuell vor ihm platziert sind. Leverkusen hat nun elf seiner zwölf Spiele gewonnen und nur bei den Bayern (2:2) Punkte liegen lassen. Es ist der beste Saisonstart in der Geschichte der Werkself, die am kommenden Sonntag Dortmunds nächster Gegner ist. Die Bayern wiederum haben den besten Start seit acht Jahren hingelegt, stehen bei zehn Siegen und zwei Remis.

Die Borussia hat dagegen erst sieben von zwölf Spielen gewonnen und schon zwei verloren. Auch der Blick auf das Torverhältnis von 25:19 offenbart, dass in allen Bereichen noch gehörig Luft nach oben ist. Selbst der VfB Stuttgart, der vor vier Wochen zwei Niederlagen am Stück kassierte und diese Mini-Delle wie nichts abzuschütteln wusste, zeigt sich stabiler als die Borussia.

Den Stuttgartern sind bisher erst zwei Halbzeiten total in die Binsen gegangen: beim 1:5 in Leipzig und beim 0:2 in Heidenheim. Ansonsten wirkt der Fast-Absteiger reif und abgeklärt und deutlich weniger erratisch als der BVB, der sich das Leben immer wieder selbst unnötig schwer macht. Und der sich immer noch nicht als echte Spitzenmannschaft präsentiert – auch im Sinne einer gewissen Ressourceneffizienz in den vielen englischen Wochen.

Diesen Makel kann die Mannschaft in den Wochen bis Weihnachten aber noch abstreifen. In Dortmund begreifen sie die "Endspiele" gegen Milan und womöglich auch Paris Saint-Germain in der Champions League, das K.o.-Spiel gegen den VfB im Pokal und die Aufeinandertreffen mit Bayer und Leipzig in der Liga jedenfalls als grosse Chancen.

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