Der BVB schlingert mal wieder in die Winterpause und nimmt ein dickes Problem mit, das Vakuum an Führungspersönlichkeiten ist immer noch nicht gefüllt. Die Frage steht im Raum: Wofür steht Borussia Dortmund eigentlich?
Sechs Minuten durfte Yannik Lührs am Sonntag gegen Hoffenheim ran, drei Mal bekam der 21-Jährige in der Schlussphase der Partie seinen Fuss an den Ball. In der einen, entscheidenden Szene aber war er einen Tick zu spät dran. Es war eine heftige Erfahrung für Lührs, der eigentlich bei Dortmunds zweiter Mannschaft in der 3. Liga seinen Dienst verrichtet.
Umso wichtiger war es, dass sich nach dem Abpfiff einer seiner Mitspieler sofort um ihn kümmerte:
Einer, dem man seinen Willen und seine Leidenschaft nicht nur ansieht, sondern auch abnimmt. Der antreiben und aufmuntern kann und immer mehr in eine Führungsrolle schlüpft. Oder diese schon längst ausfüllt.
Die Suche nach einem Gesicht beim BVB
Es läuft mal wieder nicht besonders gut für Borussia Dortmund. Den angespannten Zustand vor Weihnachten kennen Fans und Beobachter und auch das Gros der Spieler und Verantwortlichen nur zu gut, waren der Spätherbst und der Winter in den letzten Jahren doch immer schon Zeiten der Tristesse und der vielen offenen Fragen.
Eine davon lautet: Wer oder was ist das Gesicht dieser Dortmunder Mannschaft und auch jenes des Vereins? Es gibt nach knapp der Hälfte der Saison immer noch keine in sich schlüssige und signifikant-unverwechselbare Spielidee als übergeordnetes Konstrukt. Vielleicht ist das aber auch zu viel erwartet nach einem erneuten Umbruch im Sommer inklusive Trainerwechsel und Rochaden auf anderen wichtigen Posten rund um die Mannschaft?
Nuri Sahins grundsätzliches Leitbild soll wieder mehr zum Dortmunder Markenkern tendieren: Mit Dominanz, Tempo, Ballbesitz – und dem oft bemühten Begriff des Malocherfussballs daher kommen. Das ist in Ansätzen - besonders bei den Heimspielen - auch zu erkennen. Es fehlt aber mehr denn je die nötige Konstanz in den Leistungen der Mannschaft und auch einzelner Spieler.
Weshalb der BVB auch in den erfolgreich gestalteten Partien eher über die individuellen Leistungen seiner Einzelspieler zu Punkten kam, als über das Kollektiv. Mehr als eine zarte Vorstellung, wofür die Mannschaft und damit auch der Klub stehen will, ist das bisher nicht.
Verstärkt wird dieser Eindruck dann auch von der mittlerweile fast schon etwas verzweifelten Suche nach Typen und Gesichtern, die den BVB-Geist auf dem Platz und auch nach Aussen tragen.
Wer füllt endlich das Vakuum?
Nach den Abgängen von Marco Reus und Mats Hummels und ganz streng genommen auch Jadon Sancho - obwohl dessen Stippvisite nur ein paar Monate lang dauerte - war klar, dass ein Vakuum an Führungsstärke entstehen könnte.
Vielleicht war auch ein Gedanke bei der Umbesetzung der Trainerposition, diese Nische mit dem Ur-Borussen Sahin und Publikumsliebling Lukasz Piszczek ein wenig zu bedienen. Ein schöner Nebeneffekt war es allemal. Aber das reicht offenbar nicht aus, um die grosse Leere wieder mit Leben zu füllen.
Sahins Wunsch, mit Emre Can als Kapitän in die Saison zu gehen und damit als gewissermassen natürlichen Anführer der Mannschaft, ist nach hinten losgegangen. Der Kapitän ist oft genug einer ausser Dienst, lediglich die einmal mehr besonders angespannte Personallage verhalf
Dabei war er als Eckpfeiler des neuen Gerüsts fest eingeplant. Neben dem Mittelfeldspieler Can galten und gelten Türhüter Gregor Kobel, die Innenverteidiger Schlotterbeck und
Torhüter Kobel als Symbol des Dortmunder Problems
Weshalb sich nach immerhin 22 Pflichtspielen unweigerlich eine andere Frage stellt: Passen die Rollen einiger Spieler in Sahins Idee nicht mehr so wie früher? Am besten lässt sich das wohl an Keeper Kobel diskutieren. Der Torhüter war in den letzten Jahren ein Garant für Zuverlässigkeit und selbst in düsteren Phasen immer einer derjenigen, der seine Leistung auf einem gleichbleibend hohen Niveau abrufen konnte.
Gerade in den eher auf eine kompakte Defensive ausgelegten Spielen der Mannschaft - etwa in der Champions League - unter Sahin-Vorgänger Edin Terzic war Kobel im Kerngeschäft eines Torhüters nahe an der Weltklasse: Parierte Schuss um Schuss, beherrschte seinen Strafraum.
Mit Sahin hielt im Sommer eine neue Idee des Spielvortrags Einzug, Kobel ist darin als erster Aufbauspieler nicht nur eine feste Grösse, sondern deutlich öfter eingebunden. Mit einigermassen überschaubarem Erfolg bis zu diesem Zeitpunkt der Saison. Es stellt sich heraus, dass der Schweizer in dieser Disziplin nicht an das Niveau anderer Keeper der Liga heranreicht, mit seinen kleinen oder grösseren Fehlern auch mal einen frühen Ballverlust einleitet.
Was sich dann wiederum auf die eigentlich dringend benötigte Ruhe im Dortmunder Spiel auswirkt und letztlich offenbar auch auf Kobel selbst. Der dann bei vermeintlich leichten Aufgaben in der Torverhinderung Schwächen und Verwundbarkeit zeigt. Kobels Fangquote hat sich jedenfalls von 71,4 Prozent in der vergangenen Saison auf aktuell 61,4 Prozent ziemlich drastisch reduziert.
Der 27-Jährige ist immer noch ein wichtiger Teil des ohnehin schon klein gehaltenen Gerüsts der Mannschaft – den gefühlten Nimbus der Unfehlbarkeit hat er in diesen Wochen aber definitiv verloren.
Führungsproblem innerhalb der Mannschaft
Aber auch andere wie Süle, Julian Brandt oder Marcel Sabitzer sind bisher nicht in der Lage, das Vakuum der Abgänge der Granden Reus und Hummels auch nur annähernd auszufüllen. Die Neuen, Waldemar Anton, Pascal Gross oder eben Guirassy, sind aus unterschiedlichen Gründen (noch) nicht so weit. Und deshalb hat der BVB auch ein Führungsproblem innerhalb der Mannschaft.
Die Konkurrenz ist da auch in dieser Beziehung schon deutlich weiter. Ob in Leverkusen, München oder Leipzig: Das Gerüst der Mannschaft steht, es gibt klare Führungsspieler und zum Teil mehrere Gesichter dieser Mannschaften. In Stuttgart und neuerdings auch in Frankfurt kristallisiert sich ebenfalls ein klarer Wiedererkennungswert heraus: Sowohl was Spielstil, als auch Anführer betrifft.
In Dortmund müssen sie darauf wohl noch eine Weile warten. Angesichts der investierten (finanziellen) Mittel ist das kein besonders hoffnungsvoller Zwischenstand so kurz vor Weihnachten.
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