Nach der schlechtesten Hinserie seit zehn Jahren schrillen bei Borussia Dortmund plötzlich alle Alarmglocken. Dabei sind die Probleme nicht nur vielfältig, sondern auch hinlänglich bekannt. Die Entscheidungsträger haben aber offenbar die Augen vor der Realität verschlossen.
"Ehrlichkeit gegenüber der Mannschaft, Ehrlichkeit im Verein", so kündigte
Diese sechste Niederlage nach der Hälfte der Saison ist eine Zäsur – ganz egal, wie sich der weitere Verlauf der Spielzeit für die Dortmunder darstellen wird. Nach diesem nasskalten Abend in Kiel und einer deftigen Blamage dürfte auch den letzten Träumern in und um Dortmund klar sein, dass sich dieser ehemalige Gigant des deutschen Fussballs auf einem Irrweg befindet.
Nicht erst seit ein paar Wochen oder Monaten, sondern schon seit einigen Jahren. Geblendet von einzelnen Höhepunkten wie der Beinahe-Meisterschaft 2023 und dem Einzig ins Endspiel der Champions League im vergangenen Jahr hat sich die Borussia sportlich heruntergewirtschaftet, sind andere Klubs längst am vermeintlichen Bayern-Verfolger vorbeigezogen und hat sich auch das Dortmunder Erfolgsmodell längst überholt.
Die Konsequenz daraus könnte sich im Mai ganz konkret darin äussern, dass der BVB zum ersten Mal nach zehn Jahren die Qualifikation für die Königsklasse verpassen wird. Den Wettbewerb, der dem Klub in der abgelaufenen Saison über 100 Millionen Euro in die Kassen gespült hat - und der auf Sicht existenziell wichtig ist für einen Klub dieser Grössenordnung.
Dortmunds Geschäftsmodell hat sich überholt
Nun hat die Krise nicht erst in Kiel begonnen oder mit den vielen verletzten und erkrankten Spielern nach der Winterpause und vermutlich auch nicht erst mit dem im letzten Sommer zu dünn und wenig ausgewogen besetzten Kader. Die Dortmunder Probleme türmen sich seit Jahren, nur wurden einige davon immer behände unter den Teppich gekehrt.
Trainer kamen und gingen, seit
Das Geschäftsmodell, eine schlagkräftige Mannschaft als Bester vom Rest hinter dem scheinbar übermächtigen FC Bayern zu stellen, die mindestens die dringend benötigten Champions-League-Einnahmen garantiert und nebenbei noch mit zwei, drei Spielern bestückt ist, die auf einen Schlag so viel Geld einbringen könnten wie eine komplette Königsklassen-Saison, wackelt bedenklich.
Die Verkäufe von Henrikh Mkhitaryan, Pierre-Emerick Aubameyang, Ousmane Dembélé,
Im aktuellen Kader sucht man nach einer solchen Lösung vergebens. Jamie Gittens könnte mal einer werden, den der BVB für ordentliches Geld veräussern kann, beim Rest des Kaders fehlt dafür aber die Fantasie. Ausgenommen vielleicht Julien Duranville, der sich aber im Männerfussball erst (körperlich) beweisen muss.
Viel Aufwand, wenig Ertrag
Ansonsten hat die Borussia ganz offensichtlich nur eine Ansammlung an Scheinriesen zusammengekauft. Die Liste der Spieler, die sich beim BVB allenfalls schleppend, in den meisten Fällen aber gar nicht mehr entwickelt haben, ist ellenlang.
Auf Pulisic folgte später Karim Adeyemi, auf Haaland folgten Sebastien Haller, Niclas Füllkrug und nun Serhou Guirassy, auf
Im Sommer holte der BVB mit Ausnahme von Yan Couto nur bestens bekannte Spieler aus der Bundesliga, für deren Zukauf es weder besonders viel Fantasie brauchte, noch eine üppig ausgestattete Scoutingabteilung. Auch hier stehen Aufwand und Ertrag in keinem guten Verhältnis.
An der Spitze hat das alles Hans-Joachim Watzke zu verantworten. Es ehrt Nuri Sahin, dass er den sportlichen Tiefpunkt in Kiel komplett auf seine Kappe nehmen will.
Dass Sahin aber unter anderem von Watzke als vergleichsweise unerfahrener Trainer bei einem Klub wie dem BVB ins Rennen geschickt wurde, scheint eine dieser zumindest unglücklichen Entscheidungen der vergangenen Jahre zu sein.
Das Leben in der Vergangenheit
Watzke ist die Konstante im Klub, während um ihn herum die Besetzung der Ämter wechselte. Der Geschäftsführer hat sich in der jüngeren Vergangenheit oft genug darin verrannt, so etwas wie einen Nachfolger des heiligen Jürgen Klopp zu finden, einen BVB 2.0 zu schaffen nach dessen Vorbild. Der Gedanke, dass dies womöglich der falsche Ansatz sein könnte in einer sich immer schneller drehenden Fussballwelt, scheint für Watzke keine Option.
Stattdessen bleibt in Dortmund der Stallgeruch ein wichtiges Kriterium, ist die Führungsebene voll besetzt mit Ehemaligen, vom Einflüsterer Matthias Sammer bis zu Watzkes Nachfolger Lars Ricken. Sportdirektor Sebastian Kehl, in Dortmund nicht unumstritten, wurde erst in der vergangenen Woche mit einer Vertragsverlängerung beglückt.
Watzke verweist gerne auf die ewige Bundesligatabelle und dass der BVB dort hinter den Bayern und mit gebührendem Vorsprung auf Werder Bremen die Nummer zwei ist. Und vergisst offenbar darüber hinaus, dass die Verdienste und Meriten der Vergangenheit im Hier und Jetzt keine Spiele gewinnen.
Nichts spricht für eine Aufholjagd
Noch ist eine komplette Halbserie zu spielen und damit - theoretisch - genug Zeit, die Dinge noch zum Guten zu wenden. Wie der Punkteschnitt von aktuell knapp 1,5 pro Spiel auf 2,2 oder 2,3 in diesen Partien angehoben werden soll, um doch noch in die Königsklasse zu rutschen, bleibt rätselhaft. Derzeit gibt es jedenfalls kein Argument, das für eine fulminante Leistungssteigerung der Mannschaft und dementsprechend eine Aufholjagd spräche.
Also droht der Stern Borussia weiter zu sinken. Und der im Herbst aus dem Amt scheidende Watzke könnte den BVB unter Umständen dort wieder verlassen, wo er ihn einst übernommen hat: im sportlichen Mittelmass.
Verwendete Quelle
- youtube.com: PK mit Nuri Sahin und Marcel Rapp
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.