Sebastian Kehl spricht offen über Dortmunds Nachteile gegen die finanzkräftige europäische Konkurrenz, über mutige BVB-Transfers und Gregor Kobel als besten Keeper der Bundesliga.
Die Länderspielpause hat Sebastian Kehl unter anderem dafür genutzt, der "Funke Mediengruppe" in einem längeren Interview ein paar Antworten auf einige dringliche Fragen rund um Borussia Dortmund zu liefern: Über die harten und weichen Ziele des BVB und die neue Konkurrenz zahlungskräftiger europäischer Kontrahenten.
Über "mutige Lösungen" des BVB auf dem Transfermarkt, seine Nummer eins Gregor Kobel und was die Borussia noch mit dem Schweizer vor hat. "Für mich ist er aktuell der beste Torhüter in Deutschland. Und er wird sich noch weiterentwickeln. Er wird ein Gesicht von Borussia Dortmund sein", so Kehl über Kobel, der im Sommer 2021 für 15 Millionen Euro vom VfB Stuttgart nach Dortmund kam und sich seither als unumstrittene Nummer eins etabliert hat. Und sogar noch mehr als das.
"Dass er der zweite Kapitän ist, zeigt ja, dass wir an seine Qualität und an seine Persönlichkeit glauben. Gregor ist jemand, dessen Stimme in der Kabine Gewicht hat. Der zudem immer wieder mit guten Leistungen überzeugt und gierig auf Erfolge ist."
Gerüchte über einen vorzeitigen Abgang Kobels aus dessen bis 2028 datierten Vertrag versuchte der Sportdirektor sogleich einen Riegel vorzuschieben. Demnach gebe es keine Ausstiegsklausel, "es gibt keine Hintertür!"
BVB soll mehr sein als "nur" Titel
Mit Kobel als Teil der Führungskräfte im Kader solle beim BVB in naher Zukunft wieder etwas entstehen. Wobei Kehl seinen Verein über weit mehr als "nur" den sportlichen Erfolg definiert. "Es ist keine leichte Aufgabe für den gesamten Klub und seine Mitarbeiter, sich jedes Jahr gefühlt rechtfertigen zu müssen, dass man Zweiter geworden ist."
Der nationale Titel sei nach elf Jahren Dauer-Regiment der Bayern natürlich immer ein Thema und der BVB "in den Augen der Menschen immer der Herausforderer Nummer eins. Wir haben alle den Anspruch, etwas nach oben zu strecken und auch wieder Deutscher Meister zu werden, die Dominanz der Bayern punktuell zu brechen."
Allerdings sind die hohen Erwartungen nicht immer zu erfüllen, weshalb die Borussia auch noch andere, weichere Ziele über den sportlichen Erfolg hinaus verfolgen sollte.
"Am Ende muss man es aber trotzdem hinbekommen, dass die Motivation und die Zufriedenheit der Menschen nicht ausschliesslich von Platz eins oder von einem Titel abhängen, denn dieses Rennen, das wir gewinnen möchten, ist wirtschaftlich betrachtet eben ein ungleiches. Unabhängig davon, dass wir das letzte hätten gewinnen müssen", so Kehl in Anspielung auf die dramatisch verpasste Meisterschaft am letzten Spieltag der abgelaufenen Saison.
Der BVB benötige also "über Titel hinaus weitere Facetten, die diesen Klub einfach besonders machen. Und die haben wir noch und nöcher. Nur besonders zu sein, weil man Erster ist, kann nicht unser Ansatz sein. Denn das wird nicht immer gelingen."
Der schmale Grat
Das ist ein hehres Ziel und für einen Klub mit dieser Strahlkraft und Anhängerschaft in der Theorie auch realisierbar. Allerdings stehen diesem Bestreben - ausführlich formuliert in den Leitlinien eines jeden Klubs, auch in denen der Borussia - auch immer die schnöden Aufgaben des Alltags gegenüber.
Beim Transfer von
Die lauten Nebengeräusche des Transfers, die sogar bis heute noch in Fan-Foren und den sozialen Medien nachhallen, zeigten aber auch mit Nachdruck, dass der Grat sehr schnell sehr schmal werden kann. Und dass das eine oder andere Kriterium, felsenfest verankert im Bewusstsein und im Selbstbild des Klubs, auch mal gebeugt werden kann. Im Sinne einer anderen Instanz, in diesem Fall des sportlichen Erfolgs.
Champions-League-Qualifikation ist Pflicht
Denn am Ende ist Borussia Dortmund wie alle seine Kontrahenten auch: Ein Fussball-Klub, ein Amüsierbetrieb und ein grosses Wirtschaftsunternehmen - das in diesen drei Bereichen strengen Gesetzmässigkeiten unterliegt. Das Erreichen der Champions League in jeder Spielzeit ist deshalb Pflicht.
Auch wenn sich die Voraussetzungen in den letzten Jahren selbst für einen grossen Klub wie den BVB teilweise dramatisch verändert haben. "Wir haben Wettbewerbs-Nachteile im Vergleich zu Klubs, hinter denen milliardenschwere Besitzer oder ganze Staaten stehen, wir müssen unser eigenes Geld verdienen und wir werden immer wieder schauen müssen, dass wir auch Spieler verkaufen. Trotzdem: Wir möchten eine wichtige Rolle in Europa spielen."
Zuletzt hat das in der Königsklasse allerdings nur noch sporadisch funktioniert, oft genug war schon nach der Gruppenphase oder spätestens im Achtelfinale Endstation für den BVB. Grundsätzlich muss die Champions League in jeder Saison schon alleine aus rein finanziellen Zwängen das Minimalziel sein." Wir benötigen die Champions League jedes Jahr aus wirtschaftlichen Gründen, und wir werden nicht akzeptieren, dass wir uns einfach sportlich hinten anstellen."
Kehl: "Kreativer, mutiger sein..."
Gegen die neuen "Player", wie Kehl es nennt, wird aber auch der BVB - speziell auf dem Transfermarkt - bei gestandenen Spielern fast immer den Kürzeren ziehen. "In manchen Ablöse- und Gehälter-Bereichen können wir nicht mehr mitspielen, das müssen wir akzeptieren und unsere Schlüsse daraus ziehen", so Kehl. "Wir müssen kreativer, mutiger sein, auch mal ablösefreie Spieler verpflichten und junge Spieler möglicherweise noch früher holen. Dabei geht man dann logischerweise verstärkt Risiken ein..."
Wie etwa beim zum Zeitpunkt seiner Verpflichtung erst 16-jährigen Julien Duranville, der aktuell erneut verletzt ist und der Borussia bisher kaum helfen konnte. Auf den der Klub in Zukunft aber weiter grosse Hoffnungen setzt.
Transfers wie der des Belgiers sollen auch in Zukunft ein Markenzeichen des BVB bleiben. Aber eben auch die Aus- und Weiterbildung der eigenen Talente. Im Leistungsbereich der Junioren glänzt die Borussia seit Jahren, hat etliche A- und B-Jugend-Titel eingefahren. Für den Kader der Lizenzspielermannschaft reichte es zuletzt aber nur bei ganz wenigen Spielern.
Das Los der grössten Klubs des Landes mit ihren hochwertig besetzten Kadern trifft auch die Borussia, oder besser: Deren Nachwuchsspieler. Den Sprung von der Jugend in den Herrenbereich bei einem Klub wie Dortmund, bei den Bayern, in Leverkusen oder Leipzig zu schaffen, ist fast unmöglich geworden.
"Mutig wird auch sein, wieder Talente aus dem Nachwuchsleistungszentrum nach oben zu führen, damit wir von unserer Arbeit dort profitieren", sagt Kehl zwar. Aber auch der Sportchef weiss, dass das für den Dortmunder Kader auf absehbare Zeit immer noch mehr zur Ausnahme werden wird.
Der BVB bildet sportliche Qualität und Leistung am Ende nur in vereinzelten Fällen wie bei Youssoufa Moukoko noch für seine Mannschaft aus. Das Gros der Spieler genügt den allerhöchsten Ansprüchen nicht oder wird verkauft.
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