Emre Can steht bei Borussia Dortmund mal wieder heftig in der Kritik, der Kapitän wird zum Gesicht der Dortmunder Krise. Aber ist das auch gerecht - oder Can nur ein sichtbares Puzzlestück einiger grundsätzlicher Probleme beim BVB?

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Eine gravierende Personalentscheidung der letzten Wochen dürfte Nuri Sahin für das Pokalspiel gegen den VfL Wolfsburg am Dienstag abgenommen werden: Borussia Dortmunds Trainer wird ziemlich sicher auf die Dienste von Emre Can zurückgreifen, sein Kapitän ist fest eingeplant als Teil der Dortmunder Startformation.

Im bisherigen Saisonverlauf war das ja nicht immer so, Can schon mehrmals ein Kapitän ausser Dienst und lediglich als Ergänzungs- und damit Rollenspieler gefragt. So wie am vergangenen Samstag in Augsburg oder davor beim BVB-Gastspiel in Madrid. Beide Partien hat die Borussia verloren und obwohl Can jeweils nur in Teilzeit auf dem Platz stand, entludt sich danach der geballte Zorn der Dortmunder Anhängerschaft am 30-Jährigen.

In den sozialen Medien fielen die Bewertungen wenig schmeichelhaft aus, zum Teil sogar unter der Gürtellinie. Cans Eignung als Kapitän der Mannschaft ist schon länger ein zentrales Thema, nun kommen auch noch grundsätzliche Debatten zum Leistungsvermögen des Spielers und seiner angeblich stark eingeschränkten Wirkmacht auf das Dortmunder Spiel dazu.

Und über allen drängt sich mehr und mehr die Frage auf, ob das alles noch gerecht ist – oder Emre Can der ewige Sündenbock eines Klubs, der seit fast einer Dekade elementare Probleme mit sich herumträgt?

Sahin: "Extreme Schwarzmalerei bei ihm"

Cans Leistungen in den letzten Spielen, speziell eben in Madrid und in Augsburg, waren nicht gut. Daran kann es keinen Zweifel geben. Das vergebens geführte und dann sogar abgebrochene Sprintduell gegen Vinicius junior wurde zum Symbolbild des Dortmunder Untergangs gegen Real Madrid. In Augsburg nun landete Cans verunglückter Klärungsversuch direkt bei Alexis Claude-Maurice, der den Augsburger Siegtreffer erzielte.

Cans Spiel war spätestens nach der Aktion fahrig und unkonzentriert, der Spieler offenbar ziemlich verunsichert. Und auch als Kapitän für die erforderliche Reaktion der Mannschaft, ein energisches Aufbäumen, kaum mehr zu gebrauchen. Die letzten Wochen haben sichtlich Spuren hinterlassen bei Can.

"Bei ihm ist es im Moment keine rein sportliche Bewertung. Ich habe das Gefühl, dass es bei ihm extreme Schwarzmalerei ist", sagte Nuri Sahin laut "Ruhrnachrichten" nach dem Augsburg-Spiel. Der Trainer monierte damit die fortwährenden Attacken von Aussen auf seinen Spieler, die zumindest unterschwellig ein Problem darstellen könnten.

"Ich erlebe ihn eigentlich gelassen", so Sahin weiter. "Trotzdem glaube ich, dass es etwas mit einem Menschen macht, wenn man - egal, was man macht - negativ bewertet wird." Dass Can nun das Gesicht der Krise ein soll, will Sahin so nicht stehen lassen. "Er ist enorm wichtig für uns und in der Mannschaft beliebt. Ich lass' ihn für nichts verantwortlich machen!"

Can wehrt sich gegen die Kritik

Immer wieder sah sich der Nationalspieler auch in der Vergangenheit scharfer Kritik ausgesetzt und wehrte sich öffentlich dagegen. Zuletzt im September, vor dem Champions-League-Spiel gegen den FC Brügge. "Ich sehe das schon so, dass ich manchmal ungerecht behandelt werde", sagte Can damals auf der Pressekonferenz.

Seine Kritiker warfen ihm eine mangelnde Reflexion vor und dass der Routinier seinen selbstbewussten Worten zu wenig Tagen folgen liesse. Und dürften sich nun darin bestätigt fühlen, dass Can in seiner momentanen Verfassung - und womöglich sogar ganz grundsätzlich - den Spitzen-Anforderungen bei der Borussia nicht immer gerecht werden kann.

Was allerdings auch sehr stark mit dessen Spielerprofil zusammenhängt, das wiederum vielleicht auch die Verantwortlichen anders einschätzen sollten.

Alte Dortmunder Probleme

In der grossen Analyse nach einer in zwei Wettbewerben komplett verkorksten abgelaufenen Saison war das zentrale defensive Mittelfeld ein grosses Thema. Die Borussia reagierte auf die Probleme der letzten Jahre mit dem Zukauf von Pascal Gross, einem spielstarken Sechser, der eine Partie lenken und ihren Rhythmus bestimmen kann.

Ihm zur Seite stehen mehrere Optionen parat: Die Box-to-box-Spieler Marcel Sabitzer und Felix Nmecha oder eben Can, der im Vergleich zu den anderen Spielern seine Stärken eher im Spiel gegen den Ball hat und definitiv kein kreativer Aufbauspieler ist oder - ein dauerhaftes Kardinalproblem der Borussia: Besonders pressingresistent wäre.

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Diese Probleme kommen in den letzten Wochen wieder verstärkt zum Vorschein. Aber weder Sabitzer noch Nmecha oder der überspielt wirkende Gross werden dafür haftbar gemacht. Oder die wenig strukturierten und schon gar nicht eingespielten Abläufe, die grundsätzliche inhaltliche Idee (des Trainers). Sondern eben Emre Can. Dass die Borussia zum x-ten Mal massive Probleme mit einem flächendeckenden Mann-gegen-Mann-Verteidigen des Gegners hat und einem hohen, aggressiven Pressing, zieht sich mindestens genauso lang wie die Kritik an Can.

Dem wird dazu noch seine Vielseitigkeit auch ein bisschen zum Verhängnis. In Madrid sollte er als rechter Schienenspieler Stabilität verleihen, in Augsburg als rechter Innenverteidiger. Auch in Wolfsburg dürfte Can wieder in der Abwehrkette zu finden sein angesichts der Verletzungsmisere in der Abwehr.

Kann Can ein Anführer sein?

Emre Can hat sich mit seinen überschaubaren Leistungen und ein paar forschen Aussagen zuletzt noch angreifbarer gemacht, als er ohnehin schon war. Früher galt er "nur" als Bruder Leichtfuss, dem ab und an ein folgenschweres Missgeschick - nicht selten im eigenen Strafraum - unterläuft. Mittlerweile hat sich dieses Bild noch weiter ins Negative gewandelt und manifestiert als das eines Spielers, der für den BVB nicht immer taugt. Und als Kapitän keine optimale Besetzung ist.

Dabei kann Can nichts dafür, dass Nuri Sahin ihn als sichtbaren Anführer der Mannschaft erkoren hat. Und dass der Kader so eng bestückt ist, dass er nun auf allen möglichen Positionen aushelfen muss, weil die erforderliche Tiefe für drei Wettbewerbe und Spiele im Drei-Tages-Rhythmus schon zum Beginn der Saison nicht mehr gegeben ist.

Und dass er als Spielertyp zum grossen Teil für die Probleme seiner Mannschaft steht, nicht aber für mögliche Lösungen. In der momentanen Dortmunder Situation wären energische, vielleicht auch lautstarke Anführer gefragt, an denen sich das Team, die Fans und womöglich auch der angeschlagene Cheftrainer orientieren und aufrichten können.

Emre Can wäre aufgrund seiner Erfahrung und seines Status so ein Spieler. Dass er die geforderten Qualitäten aber auch auf den Platz bringen kann, scheint in der aktuellen Stimmungslage eher unwahrscheinlich.

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