• Borussia Dortmund greift gerne übers Zentrum oder die Halbräume an - das Flügelspiel wird aber ziemlich vernachlässigt.
  • Das hat auch mit einem grossen Manko des Kaders zu tun und dürfte zu einem wichtigen Faktor der Transferpolitik werden.

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Auf dem Papier spielte Borussia Dortmund am vergangenen Sonntag gegen Gladbach in einem 3-4-2-1, mit der zentralen Spitze Donyell Malen und Gio Reyna und Marco Reus dahinter in den Halbräumen. Auf den Aussenbahnen waren nur Thorgan Hazard rechts und Raphael Guerreiro links als sogenannte Schienenspieler platziert. Ihr Job ist es in der Regel, die Breite zu halten und dann mit Tempo über ihre Seite anzuschieben.

Wie weit eine theoretische Grundordnung aber dann von der praktischen Umsetzung entfernt sein kann, zeigte das fulminante 6:0 über die andere Borussia sehr gut: Von den vier potenziellen Flügelspielern Reyna, Reus, Hazard und Guerreiro hielt sich nur Hazard wirklich nahe der Seitenlinie auf, nur der Belgier war im Dortmunder Spiel ein Breitengeber. Reyna und der früh für ihn ins Spiel gekommene Julian Brandt hielten wenigstens noch einigermassen die Halbspur. Guerreiro rückte wie eigentlich immer auch mehr ins Zentrum ein, auf der linken Seite fehlte die Flügelbesetzung im Prinzip komplett. Und Reus? Der spielte faktisch als Zehner hinter oder neben Mittelstürmer Malen.

Das hatte natürlich viel mit dem zu tun, was der Gegner der Borussia angeboten hatte: Gladbach war schlicht unfähig, das Zentrum trotz zweier Sechser sauber zu schliessen, also nutzte der BVB mit seinen einrückenden Spielern einfach den Platz hinter der Gladbacher Mittelfeldabsicherung und kam unter anderem beim 2:0 durch Malen damit sehr direkt durch die Mitte zum Torabschluss.

Dortmunds Angriffsfokus aufs Zentrum und die Halbspuren

Es ist aber auch eine generelle Dortmunder Eigenheit, immer wieder schnell ins Zentrum zu ziehen, um dort dann mit schnellen, kleinen Kombinationen Lücken in den gegnerischen Verbund zu reissen und so den Durchbruch durch die Halbspuren oder eben direkt durchs Zentrum zu schaffen. Ein absolut legitimes Unternehmen, schliesslich ist der Weg zum Tor von dort aus der kürzeste.

Was darunter aber sehr leidet, ist ein valides Flügelspiel: Gegen Gladbach hatte der BVB etwa auf beiden Seiten des Spielfeldes keinen Durchbruch bis zur Grundlinie. In den äussersten Quadraten, die von der Toraus- und der Seitenlinie sowie der (imaginär) horizontal durchzogenen Strafraumlinie begrenzt sind, gab es im freien Spiel ganze drei Ballaktionen. Gegner Gladbach hatte hier sechsmal so viele Ballkontakte wie der BVB.

Nun hat der BVB mit 63 erzielten Toren die zweitbeste Offensive der Liga hinter den Bayern und steht bei einem Schnitt von mehr als 2,7 Treffern pro Spiel. Trotzdem bleibt das Flügelspiel der Borussia ein Sorgenkind - weil Trainer Marco Rose in der aktuellen Zusammenstellung des Kaders vielleicht auch gar nichts anderes übrig bleibt, als seine Mannschaft immer wieder durch die zentraleren Positionen angreifen zu lassen.

Kaum Dribbler, wenig Tempo: Das Flügelspiel des BVB lahmt

Dortmunds Spielern gehen schliesslich zwei ganz zentrale Qualitäten für ein gefährliches Flügelspiel ab: Tempo und Dribbelstärke. Nach und nach ist der Kader der Borussia in den letzten Jahren im Schnitt immer langsamer geworden, unter den Top-50-Spielern der Bundesliga haben es in der Top-Speed-Messung nur Erling Haaland und Donyell Malen überhaupt ins Ranking geschafft. Hazard, Reus, Brandt, Reyna, Reinier, wenn er denn mal spielt: Das sind kreative Techniker, aber keine Sprinter.

Nach den Abgängen von Spielern wie Achraf Hakimi, Jadon Sancho und zuletzt Ansgar Knauff hat der BVB über die Flügel im Prinzip keinen einzigen Spieler mit überragendem Tempo mehr in Kader. Und die Option, einen Gegner auch mal mit einem Dribbling den Flügel entlang oder vom Flügel ins Zentrum zu überraschen und damit vor immer neue Aufgaben zu stellen, hat sich mit Sanchos Abgang im letzten Sommer beinahe von alleine abgeschafft.

Diese wichtigen Zutaten fehlen dem Dortmunder Kader und es dürfte ein grosses Anliegen Roses sein, diesen Umstand im kommenden Sommer zu ändern. Nur mit spielerischer Finesse in der Offensive reicht es besonders gegen tief stehende Gegner nicht immer. Und wie gross die Geschwindigkeitsprobleme auch in anderen Mannschaftsteilen sind, im zentralen Mittelfeld und in der Abwehr, dokumentiert auch die Flut an Gegentoren. Der BVB wird seine Transferpolitik auch wieder auf das Thema Tempo einstellen müssen. Auf Dauer lassen sich die Probleme sonst nicht mehr kaschieren.

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