Mit Nuri Sahins Demission stürzt Borussia Dortmund unfreiwillig auch eine seiner Ikonen. Sahin ist aber weder der erste seiner Art, noch dürfte er der letzte bleiben. Auch andere BVB-Helden stecken tief in der Bredouille.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Nuri Sahin war zwölf Jahre alt, als er sich der Jugendabteilung von Borussia Dortmund anschloss. Als Balljunge bestaunte er die Stars aus einer anderen Zeit, die Kollers und Rosickys und wollte es irgendwann auch mal selbst über die Bande und auf den heiligen Rasen des Westfalenstadions schaffen.

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Sahin hat es geschafft, sein fussballerisches Gesamtwerk ist in den Farben Schwarz und Gelb gehalten. Nach 274 Pflichtspielen, einer Meisterschaft und einem Sieg im DFB-Pokal hat sich Sahin trotz einiger Engagements im In- und Ausland den Stand einer Klub-Ikone erarbeitet.

Der wiederum von den Verantwortlichen des Klubs zugetraut wurde, den darbenden Scheinriesen des deutschen Fussballs in eine neue Epoche zu führen. Ein Irrtum, wie sich nach nicht einmal sieben Monaten herausgestellt hat. Die Geschichte vom Balljungen, der sich zum Profi, zur Legende, zum Cheftrainer, zum Heilsbringer entwickelt, ist an diesem Mittwoch auserzählt.

Weitere Ikonen in Führungspositionen

Sebastian Kehl war in einer düsteren Zeit des deutschen Fussballs einer der wenigen Lichtblicke. Um die Jahrtausendwende gab es kaum noch hoffnungsvolle Talente, Kehl stach aus der Masse an Durchschnittskickern deutlich heraus und war entsprechend begehrt.

Kehl entschied sich nach einigem Hin und Her doch nicht für den FC Bayern, sondern eben Borussia Dortmund. Und hatte schon deshalb vor seinem ersten Arbeitstag einen gewissen Bonus. Seitdem ist fast ein Vierteljahrhundert vergangen, ohne dass Sebastian Kehl auch nur einen Tag für einen anderen Klub gearbeitet hätte.

Noch extremer liest sich nur noch Lars Rickens Lebenslauf. Seit über 30 Jahren ist Ricken für den BVB im Einsatz. Erst als Jugendspieler, dann als Profi, Champions-League-Sieger mit dem ikonischen "Lupfen jetzt"-Moment und Galionsfigur, später Mitarbeiter der Geschäftsstelle, Nachwuchskoordinator, NLZ-Direktor und nun Geschäftsführer Sport und (designierter) Nachfolger von Hans-Joachim Watzke.

Das Gesicht des Klubs und schon bald auch dessen wichtigste Figur, wenn Watzke in ein paar Monaten abtreten wird.

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Harter Liebesentzug beim BVB

Die Idee, Führungspositionen innerhalb eines Klubs mit verdienten und hochdekorierten Ex-Spielern und damit dem viel zitierten Stallgeruch zu besetzen, ist so alt wie die Bundesliga. Mit ihnen verbinden die Fans Gefühle und Emotionen oder - um im Dortmunder Bild zu bleiben - wahre Liebe.

Nur schützen die Meriten der Vergangenheit nicht vor einem teilweise harten Liebesentzug, wie ihn die Granden des BVB in diesen Tagen erleben müssen. Die Demission von Nuri Sahin als Trainer der Lizenzspielermannschaft ist mehr als "nur" eine erneute Trainerentlassung beim BVB. Daran hat man sich in der Post-Jürgen-Klopp-Ära längst gewöhnt.

Thomas Tuchel, Peter Stöger, Peter Bosz, Lucien Favre, Marco Rose: Sie alle hatten zuvor keine Berührungspunkte mit dem BVB und dessen Innenleben und manch einer von ihnen ist unter anderem über diese Tatsache gestolpert, obwohl ihre fachliche Qualität bei anderen Klubs erprobt und bestätigt war.

Insofern war Edin Terzic so etwas wie ein krasser Gegenentwurf. Terzic wurde die Geschichte vom Fan angeheftet, der es als "einer von uns" über ein paar Umwege bis zum Cheftrainer geschafft hatte. Und deshalb auf seine ganz eigene Art zu einem Dortmunder Helden wurde. Bis er sich im Sommer nach offizieller Lesart freiwillig von seinem Amt zurückzog - um seinem damaligen Co-Trainer Sahin das Feld zu überlassen.

Der BVB verbrennt seine Helden

Der ist nun das aktuelle Beispiel dafür, wie der BVB nach und nach seine Helden verbrennt oder zu verbrennen droht. Der Makel, bei "seiner" Borussia kaum mehr als ein gutes halbes Jahr durchgehalten zu haben, wird einen grossen Schatten auf Sahins Lebenswerk werfen. Seinem Vorgesetzten Sebastian Kehl droht ein ähnliches Schicksal. Die Verlängerung von Kehls Vertrag bis 2027 vor wenigen Tagen ist nicht mehr als ein Pflaster auf eine grosse, klaffende Wunde.

Kehls Fehleinschätzungen unter anderem in der Kaderplanung dürften den Klub noch ein paar Transferperioden lang beschäftigen, das einst lukrative Geschäftsmodell, mit jungen, entwicklungsfähigen Spielern erst sportlichen Erfolg und dann hohe finanzielle Gewinne einzufahren, wankt gehörig.

Und wann und wie der Sportdirektor endlich die Versäumnisse des Sommers mit frischen Zugängen ausbessern will, bleibt auch knapp zwei Wochen vor dem Ende der aktuellen Transferperiode ein Rätsel. Mit Sahin hat es wie eigentlich immer das schwächste Glied der Kette getroffen, dessen Arbeit im Drei-Tages-Rhythmus Millionen von Beobachtern standhalten muss. Und dessen Vertrag nicht zufällig vor einer Woche erst verlängert wurde.

Fast alle Granden sind beschädigt

Sahin und zuvor auch Terzic sind nun von der Bildfläche verschwunden, Kehl und Ricken im operativen Geschäft noch übrig geblieben. Dazu noch der Einflüsterer Matthias Sammer und Sven Mislintat, der erst im Frühling als Heilsbringer im Scoutingbereich etabliert wurde.

Übrig geblieben sind auch alle Probleme hinter den Kulissen: Von Macht- und Grabenkämpfen ist schon seit Monaten die Rede, von Streit um Verantwortlichkeiten und "Nebenkriegsschauplätzen", wie Sahin in einem seiner letzten Interviews am Dienstagabend sprach. Das alles strahlt weit über das Dortmunder Umfeld hinaus, auch die Konkurrenz und der eine oder andere Kandidat für den alsbald vakanten Trainerposten wird sich angesichts der konfusen Dortmunder Gemengelage so seine Gedanken machen.

Nuri Sahin ist als Cheftrainer Geschichte und ob und in welcher Funktion der Dortmunder Junge noch einmal zurückkehren wird, völlig unklar. Edin Terzic hat bis heute ebenfalls Abstand genommen von der Borussia, für ihn gilt im Prinzip dasselbe wie für Sahin.

Sebastian Kehl und Lars Ricken rücken nun noch mehr in den Fokus, weitere Imageschäden nicht ausgeschlossen. Selbst die Reputation der Verantwortlichen aus der zweiten Reihe, Sammer und Mislintat, hat unter den letzten Jahren (Sammer) und Monaten (Mislintat) schon arg gelitten.

Die letzte Ikone, die in Dortmund einen vergleichsweise guten Abgang hinbekommen hat, war Michael Zorc. Lange schien auch für die graue Eminenz des Klubs und dessen Übervater ein ähnliches Szenario vorstellbar, das Vermächtnis offenbar klar geregelt. Dessen kann sich Hans-Joachim Watzke mittlerweile aber gar nicht mehr so sicher sein…

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