Viel Stuttgarter Knowhow und Können für den BVB: Nach den jüngsten Dortmunder Transfers macht der Verdacht von der bewussten Schwächung eines Konkurrenten die Runde. Oder macht die Borussia auf sicherem Terrain lediglich ihre Hausaufgaben?
Am Ende ging es dann doch schneller als gedacht. Der Wechsel von Serhou Guirassy von Stuttgart zu Borussia Dortmund drohte zu einer Hängepartie zu werden oder womöglich sogar noch zu platzen, nachdem bei einer ersten medizinischen Untersuchung eine Bänderverletzung im rechten Knie diagnostiziert worden war.
Eine gute Woche lang gab es die wildesten Gerüchte und Vermutungen, bis ein weiterer Check die Spekulationen beendete und den Weg frei machte für den Dortmunder Königstransfer dieses Sommers.
Vor wenigen Tagen unterzeichnete der Mittelstürmer einen Vierjahresvertrag beim BVB, der dem VfB Stuttgart "nur" kolportierte 18 Millionen Euro einbringt, Guirassy aber ein sattes Handgeld im hohen einstelligen Millionenbereich und ab sofort an die zehn Millionen Euro Jahresgehalt. Womit sich das Gesamtpaket des Transfers in Richtung 70 Millionen Euro bewegt.
Dortmunder Strategiewechsel bei Transfers
Guirassy ist 28 Jahre alt, hat in der vergangenen Saison für den VfB 30 Tore in 30 Pflichtspielen erzielt und die Spielzeit für seinen Klub und sich selbst entscheidend geprägt. Man könnte also sagen, dass es sich um einen erfahrenen Spieler im fortgeschrittenen Alter handelt, der die Liga bestens kennt und im letzten Jahr bei seinem Ex-Klub besonders auffällig agiert hat.
Damit entspricht der Guineer dem gar nicht mehr so neuen Dortmunder Beuteschema in Transferfragen. Früher war der BVB mal ein Klub, der sich junge, entwicklungsfähige Spieler mit überschaubarem Marktwert beschafft hat, um diese dann gross herauszubringen und damit neben einem gewissen sportlichen Erfolg auch eine finanziell lukrative Rendite zu erzielen.
Seit ein paar Jahren hat sich dieses Geschäftsmodell aber ein wenig gewandelt. Junge Spieler – oder teilweise sehr junge Spieler im Teenageralter – kauft die Borussia punktuell immer noch. Das Gros der Verpflichtungen stellen aber längst gestandene Spieler, gerne mit Perspektiven auf die jeweilige Nationalmannschaft oder Vorkenntnissen aus der Bundesliga.
Mislintat holt "seine" Spieler zusammen
15 Spieler des aktuellen Kaders fielen in dieses Schema, von Torhüter Gregor Kobel bis Mittelstürmer Guirassy. Drei davon haben sich die Dortmunder aus Stuttgart zugekauft. Neben Guirassy und Kobel, der vor drei Jahren für 15 Millionen Euro kam, hat sich vor ein paar Wochen auch Waldemar Anton für einen Wechsel zur Borussia entschieden.
Und weil zufällig auch der ehemalige Stuttgarter Sportdirektor Sven Mislintat nun Technischer Direktor mit einem ganz speziellen Fokus auf die Kaderplanung beim BVB ist, tummelt sich ab der kommenden Saison besonders viel schwäbisches Knowhow und Können bei Borussia Dortmund.
Dass nun gleich zwei Stuttgarter Stützen – der überragende Torjäger und der ehemalige Kapitän der Mannschaft – nach Dortmund wechseln, mag ein Zufall sein. Die Borussia wollte sich im Angriff noch einmal verstärken, die bärenstarke Saison und die ungewöhnlich niedrige Ausstiegsklausel in Guirassys Vertrag waren dabei Einfallstore für Mislintat. Der hatte Guirassy schliesslich selbst nach Stuttgart geholt und die ersten Verträge aufgesetzt. Und man darf vermuten, dass er auch um die Inhalte des letzten Kontrakts ziemlich genau Bescheid wusste.
Lesen Sie auch
Auch
Kommt noch ein dritter Stuttgarter im Sommer?
Für einige Beobachter hat das ein Geschmäckle, weil der BVB nun genau das mache, was man gerne dem grossen Kontrahenten FC Bayern vorwirft: einen direkten Konkurrenten leerkaufen und damit automatisch schwächen. Noch dazu in doppelter Ausführung und nach einer Saison, in der die Stuttgarter den BVB gleich dreimal geschlagen hatten.
Immerhin scheint das Dortmunder Interesse an einem dritten VfB-Spieler aktuell erkaltet. Auch Chris Führich soll Thema in Dortmund gewesen sein. Zufällig ein Spieler, den Sven Mislintat schon seit Jugendzeiten kennt und ihn – Überraschung – einst nach Stuttgart geholt hat.
Der Dortmunder Kaderplaner hat in den ersten Wochen seines Schaffens also weniger seinem Ruf als Talentsucher alle Ehre gemacht, sondern die sicheren Transfers eingetütet: renommierte, gestandene Spieler mit der nötigen Erfahrung und Wettkampfhärte für die Bundesliga. Oder, etwas despektierlicher formuliert: Jene, für die man kein ausgewiesener Transferexperte oder Kenner der Szene sein muss.
Andere Transfers stocken
Mehr als die Basisarbeit kann das aber noch nicht sein. Und mit den anderen geplanten Zukäufen tut sich die Borussia auch Mitte Juli immer noch ein wenig schwer. Zwar dringen kaum Namen oder konkrete Informationen über angebliche Wunschspieler nach draussen, was grundsätzlich ein gutes Zeichen ist.
Die fehlenden Puzzlestücke lassen aber weiter auf sich warten, weil auch auf der Verkaufsseite bisher kaum etwas passiert ist. Der Kader hat aktuell mindestens einen Mittelstürmer zu viel an Bord, benötigt aber noch zwei Aussenverteidiger, einen Flügelangreifer und vor allen Dingen einen spielstarken Sechser.
Dafür wird schon seit Wochen ein Name gehandelt: Pascal Gross. Der hat ausnahmsweise noch nie für den VfB Stuttgart gespielt, sondern verdient bei Brighton & Hove Albion in der Premier League sein Geld. Die Verhandlungen mit den Engländern gestalten sich offenbar deutlich schwieriger als mit dem VfB – das Dortmunder Beuteschema für diese eminent wichtige Spielposition bleibt aber dasselbe: Gross ist mit 33 Jahren eher ein Veteran als eine Zukunftshoffnung.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.