- Im Sommer wird Sebastian Kehl Nachfolger von Michael Zorc als Sportdirektor beim BVB.
- Der ehemalige Kapitän tritt dabei ein schweres Erbe an, weil er an vielen Stellen löschen und dem Klub eine neue Identität verpassen muss.
Ein "Weiter so" wird es nicht geben, hat Sebastian Kehl letzte Woche gesagt. Es war Kehls erste Reaktion auf das Ausscheiden der Mannschaft von Borussia Dortmund aus der Europa League. Die Enttäuschung von Glasgow, der dritte Tiefschlag in den Pokalwettbewerben, die nun für den mit hohen Erwartungen gestarteten BVB schon wieder beendet sind, wirkte deutlich spürbar nach, als sich Kehl dem "Kicker" offenbarte und schon ein paar weiche Konsequenzen ankündigte.
"Das ist für unsere Ansprüche natürlich zu wenig und stimmt uns nachdenklich. Wir werden es gut aufarbeiten und aus unseren Analysen klare Entscheidungen ableiten. Wir müssen uns in der kommenden Saison in diesen Wettbewerben ganz anders aufstellen [...]. Die Situation ist eine Herausforderung, das ist offensichtlich, aber wir nehmen sie entschlossen an."
Mit "Wir" meint Kehl insbesondere auch sich selbst. In wenigen Wochen wird er Michael Zorc als Sportdirektor der Borussia ablösen, Zorc verabschiedet sich nach über zwei Jahrzehnten in dieser Position in den Ruhestand. Dann wird Kehl der neue starke Mann beim BVB, der mit Hans-Joachim Watzke und Matthias Sammer den Kurs vorgeben und dabei mehr Baustellen abarbeiten muss, als ihm lieb sein dürfte.
Dortmund korrigiert sein Jahresminus nochmal nach unten
Die Gemengelage in Dortmund ist verzwickt. Der BVB musste nach dem Ausscheiden gegen die Rangers sein ohnehin schon deftiges Saison-Minus noch einmal nach unten korrigieren. In einer Adhoc-Meldung am Freitag prognostizierte der Klub einen Jahresfehlbetrag zwischen 17 und 24 Millionen Euro. Davor lag das erwartete Minus noch "nur" zwischen zwölf und 17 Millionen Euro.
Eigentlich war der Plan, nach dem Ausscheiden in der Königsklasse nicht nur die Europa League zu gewinnen, sondern dort mit jeder der maximal fünf Spielrunden vom der Zwischenrunde bis zum Finale auch zusätzliche Einnahmen einzuspielen. Zumal es immer noch ein "grosses Prognoserisiko" wegen der Coronalage und damit der Stadionauslastung gebe, wie es weiter hiess.
Inhaltliche und personelle Veränderungen stehen an
Das Geld sitzt nicht eben locker in diesen Zeiten, was die Planungen des dringend benötigten Umbruchs des Kaders zusätzlich massiv erschweren dürften. Die Qualität der aktuellen Formation reicht in der Breite einfach nicht aus, um in mehreren Wettbewerben auf einem gleichbleibend hohen Level Leistungen abzurufen. Deshalb ist der BVB in der Liga schon lange von den Bayern abgehängt und international nun auch nur noch Zuschauer, wenn im Mai die Titel vergeben werden.
Dazu kommt die schlimme Verletzungsmisere, auf die die Verantwortlichen seit Monaten keine Antworten finden. Pures Pech kann es aber kaum sein, dass der BVB in der Bundesliga die Mannschaft mit den meisten Ausfalltagen ist. Eine sehr präzise und auch schonungslose Analyse der Präventions- und Reha-Massnahmen dürfte ebenso vonnöten sein wie jene der Trainings- und Belastungssteuerung des Trainer- und Betreuerteams. Je nachdem, was die Überprüfungen des Staus quo ergeben, könnte dem BVB auch in diesen Bereichen die eine oder andere personelle und auch inhaltliche Veränderung ins Haus stehen - und damit auch in Kehls Zuständigkeitsbereich fallen.
Der Kader jedenfalls benötigt definitiv frische Impulse, im Gegenzug werden einige Spieler den Klub verlassen müssen. Und von einigen, die bleiben dürfen und sollen, laufen schon bald die Verträge aus. In allen Mannschaftsteilen wird es Bewegung geben, von den Torhütern bis zu den Angreifern. Und alleine das Tauziehen um Erling Haaland samt aller daraus folgenden Konsequenzen dürfte unter anderem für Kehl eine grosse Herausforderung werden.
Der BVB benötigt eine frische Identität
Der 42-Jährige bewegt sich auch schon mehr als 20 Jahre im grellen Licht des Profifussballs, hat im Hintergrund beim BVB nun ein paar Spielzeiten gelernt, sich einiges abgeschaut und bringt deshalb auch Erfahrung mit. Aber in der ersten Reihe stehen, den Druck aus- und den Kopf hinhalten: Das musste Kehl bisher noch nicht.
Und dann ist da noch die grösste aller Aufgaben, die den Klub für die nächsten Jahre auf Kurs bringen soll: Der BVB benötigt ganz dringend eine klar formulierte und gelebte Identität. Wofür soll die Borussia als Verein stehen? Welche Attribute sind in der Aussendarstellung wichtig? Wird endlich wieder Leistungskultur etabliert? Und für welche Art Fussball soll eigentlich diese Mannschaft stehen?
Bisher hört und liest man immer von den mittlerweile schon etwas abgegriffenen Schlagworten, von mutigem, aggressivem, offensivem und natürlich erfolgreichem Fussball. Nur setzt den die aktuelle Mannschaft nur partiell auch in der Praxis um. Und bevor nicht geklärt ist, ob der BVB nun ein Ausbildungsklub sein will oder muss oder ob er sich doch eher unter den Top Ten Europas wähnt, bewegen sich alle andere Überlegungen im luftleeren Raum.
Das Schaffen dieser kulturellen Identität, die unabhängig von den ausführenden Personen gelten muss, wird Sebastian Kehls grösste Aufgabe überhaupt. Sie wird den BVB in diesem Jahrzehnt prägen - und damit auch den Weg für Borussia Dortmund vorgeben.
Verwendete Quellen:
- Kicker.de: Kehl: "Ein 'Weiter so' wird es nicht geben"
- BVB.de: Prognoseänderung für das Geschäftsjahr 2021/2022
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