BVB gegen Schalke, das war schon immer mehr als nur ein Fussballspiel. Die Protagonisten der aktuellen Auflage aber kommen ein wenig matt daher - die provokanten Figuren des Revierderbys sind fast ausgestorben. Und das ist ein bisschen schade.
Eigentlich müsste Klaus Fichtel in diesen Tagen ein sehr gefragter Mann sein. Fichtel - von jedem nur Tanne genannt - ist nicht nur der älteste Spieler, der jemals in der Bundesliga aufgelaufen ist. Das war im Mai 1988 und Fichtel war damals 43 Jahre, sechs Monate und drei Tage alt.
Der heute 71-Jährige hält aber noch einen anderen Rekord: Kein anderer Spieler hat so viele Revierderbys bestritten wie er. 24-mal stand Fichtel für den FC Schalke gegen Borussia Dortmund auf dem Platz und hat dabei so manches Schienbein seiner Gegenspieler poliert.
Fichtel war ein Mann des Volkes, der geerdete Typ aus dem Pott, geboren in Castrop-Rauxel, gelernt hat er unter Tage. Ein Malocher wie aus dem Bilderbuch.
Kaum noch lokale Grössen
Wenn also in den Tagen und Stunden vor dem 89. Revierderby (Samstag, 18:30 Uhr live auf Sky und bei uns im Ticker) von den guten, alten Zeiten die Rede ist, fällt nach spätestens zwei Minuten auch der Name Fichtel. Er gehört zum Derby und seiner Folklore dazu wie Schwarz und Gelb und Blau und Weiss.
Vor 30, 40 Jahren war es noch normal, dass die Rivalität auf den Rängen auch auf dem Platz fortgeführt wurde. Von Spielern, die aus der Region kamen und eine echte Verbundenheit zu ihrem Klub verspürten.
Beim FC Schalke gibt es im aktuellen Kader genau zwei "echte" Schalker, Benedikt Höwedes aus Haltern am See und der in Oberhausen geborene Max Meyer, beide ein Produkt der Knappenschmiede.
Bei Borussia Dortmund sind es auch noch zwei Spieler mit Lokalkolorit, Felix Passlack und Rückkehrer Mario Götze. Die anderen über 50 Spieler in beiden Mannschaften haben mit dem Pott kaum noch etwas zu tun. Und falls doch, wie beim Dortmunder Nuri Sahin oder den Langzeit-Borussen Sven Bender oder Marcel Schmelzer, schaffen sie es für das Spiel aus Leistungsgründen kaum in den Kader oder sind verletzt.
Viele Premieren am Samstag
Wenn also am Samstagabend das Spiel beginnt, wird dies für sehr viele Protagonisten das erste Derby überhaupt sein. Der BVB hat im Sommer ordentlich eingekauft, über die Hälfte der Zugänge waren Ausländer.
Ganz gewiss haben Marc Bartra, Ousmane Dembélé oder Emre Mor in ihren jeweiligen Ligen auch schon Lokalschlachten geschlagen. Aber vor 80.000 im Westfalenstadion in dieser unnachahmlich hitzigen Atmosphäre? Eher nicht.
Auch bei Schalke werden einige Akteure auf dem Platz stehen, die von der Geschichte dieser Rivalität allenfalls gehört haben bisher, sie aber am Samstag zum ersten Mal am eigenen Leib spüren werden. Naldo, Nabil Bentaleb, Abdul Rahman Baba, Benjamin Stambouli oder Jewhen Konopljanka stehen vor ihrem möglichen Debüt.
Und an der Seitenlinie ist Markus Weinzierl noch ein totales Derby-Greenhorn, und Thomas Tuchel ganze zwei Derbys schwer. Selbst Schalke-Manager Christian Heidel erfährt nach über einem Vierteljahrhundert in seinem Job ein völlig neues Gefühl. Man kann kaum behaupten, dass das alles noch an alte Zeiten erinnert. Die Grosskreutz-Asamoah-Weidenfeller-Klopp-Stevens-Momente sind am Wochenende eher nicht zu erwarten.
Wer ist für die Folklore verantwortlich?
Am 9. Spieltag kann auch noch niemandem die Meisterschaft versaut werden - wie vor neun Jahren, als Gerald Asamoah grossspurig ankündigte, er werde nach einem Sieg beim BVB zu Fuss zurück auf der B1 nach Gelsenkirchen laufen.
Am Ende siegte der BVB 2:0 und Schalke verlor erneut kurz vor dem Ziel die Meisterschaft. Es gibt auch keine Seitenwechsler mehr; jene Spieler, die das Unvorstellbare durchgezogen haben und von Schwarz-Gelb zu Blau-Weiss oder andersrum gewechselt sind.
Keine Assauers, Libudas, Abramcziks, Anderbrügges, Möllers oder Metzelders, die alleine durch ihre blosse Anwesenheit die eine Hälfte des Publikums in Rage versetzten, die polarisierten und provozierten. Keinen Asamoah mehr und keinen Grosskreutz.
Und insgeheim wünscht man sich genau solche Spieler am Samstag auf dem Rasen. Zum Derby gehört etwas mehr als "nur" der Kampf um drei Punkte für beide Klubs.
Die Aussagen der Protagonisten vor dem Spiel sind so brav und bieder und erscheinen auswendig gelernt. Keiner eckt an oder stachelt ein bisschen, lässt den Gegner blöd aussehen oder mobilisiert verbal ein bisschen die Massen. Es ist eine Spur zu ruhig vor dem wichtigsten Spiel der Hinrunde im Pott. Und das ist auch ein bisschen schade.
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