Die Bundesliga hat den Anschluss an die europäische Spitze verloren. Das Geld spielt dabei eine grosse Rolle, ist aber nicht allein entscheidend dafür, dass die besten Talente mittlerweile immer früher in eine bedeutendere Liga wechseln.

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Was sollte Erling Braut Haaland auch anderes sagen, als das hier: "Die Verantwortlichen haben mir gesagt: 'Wir brauchen dich im Sturm. Uns imponiert, wie du spielst. Wir wollen dich!' Das war ein gutes Gespräch, das mich beschäftigt hat. Dortmund und ich – das passt!"

Der Norweger wechselte vor ein paar Tagen von Red Bull Salzburg zu Borussia Dortmund, von einem kleinen zu einem grösseren Klub, aus einer kleinen in eine deutlich grössere Liga und hat seinen Wechsel so versucht zu erklären.

Mit den Medien hat Haaland noch nicht gesprochen, die Sätze fielen in einem Interview mit dem hauseigenen Sender "BVB-TV", was wiederum zweierlei bedeutet: Die Borussia behält sich die Kommunikationsherrschaft vor, der Spieler bleibt für die Öffentlichkeit so lange wie möglich unter Verschluss. Und Haaland sagt dann eben das, was man in diesen Momenten unverfänglich zu sagen pflegt.

Bundesliga als Übergangsstation ins gelobte Land

Vermutlich waren die Gespräche zwischen Spieler und Klub tatsächlich gut. Aber nur, weil der BVB derzeit Bedarf im Angriff hat und Haalands Spielweise ganz gut findet, dürfte man nicht übereingekommen sein.

Und der Spieler, der offenbar von noch stärkeren Klubs als dem BVB hofiert worden war, hat sich auch nicht für die Bundesliga entschieden, weil das schon immer sein Lebensziel war. Für norwegische Fussballprofis ist traditionell die englische Premier League das Sehnsuchtsziel. Das ist auch bei Haaland der Fall.

Die Bundesliga, der BVB, das sind die Übergangsstationen ins gelobte Land. Nach Informationen von "The Athletic“ steht im bis 2024 datierten Vertrag des 19-Jährigen nicht zufällig eine Ausstiegsklausel.

Durchlauferhitzer Bundesliga

Haaland ist das aktuelle, aber ganz sicher nicht letzte Beispiel einer langen Reihe an Spielern, die sich Deutschland als ihr Ausbildungsland herauspicken. Das Niveau ist hoch genug, die Aussicht auf Einsatzzeiten gut, die Bezahlung für die Teenager mehr als ordentlich, und - nicht zu verachten: Sie erfolgt regelmässig und zuverlässig.

Aber die Bundesliga bleibt für das Gros eben nicht das ganz grosse Ziel. Sie bleibt ein Durchlauferhitzer, eine Ausbildungsliga. Ein Prädikat, das man vor fünfzehn, zwanzig Jahren vielleicht der Eredivisie oder der Ligue 1 verpasst hätte. Nun kauft und entwickelt die Bundesliga die Talente für den sogenannten Endmarkt, kann sie aber nicht halten.

Die Bundesliga ist immer noch eine Anlaufstation für die besten Spieler der Welt. Nur sind diese Spieler dann nicht zwischen 23 und 27 Jahre alt und fertig ausgebildet - sondern 18, 19, 20 Jahre alte Rohdiamanten, die noch geschliffen werden müssen. Die Altersgrenze hat sich also deutlich nach unten verschoben.

"Bundesliga rutscht immer mehr in Ausbildungsliga ab“

Julian Brandt ist ein Musterbeispiel deutscher Nachwuchsförderung und -ausbildung. Der gebürtige Bremer hat es über die Nachwuchsleistungszentren in Wolfsburg und Leverkusen in die Bundesliga geschafft und galt als eines der grössten Talente Europas in seinem Alterssegment. Unter seinesgleichen hat sich für Brandt aber schon länger der Eindruck verfestigt, dass die Bundesliga im Ranking der Topligen des Kontinents abgerutscht ist.

"Ich glaube, wir sind ein sehr interessantes Land für junge Spieler", sagte Brandt in einem Interview bei "Omnisport", schränkte sodann aber auch gleich ein: "Die Bundesliga rutscht momentan immer mehr in diese Ausbildungsliga ab." Besonders die Premier League sei das Ziel "fertiger Spieler, die 24 oder 25 Jahre alt sind".

Die sogenannten Big Six in England und deren harter Wettbewerb untereinander seien besonders reizvoll. Neben den englischen Klubs gehören selbstredend auch der FC Barcelona, Real Madrid, Juventus Turin und seit ein paar Jahren auch Paris St.-Germain in diese Topkategorie. In Deutschland kann allenfalls der FC Bayern seine Spieler noch halten, wenn er sie denn halten will. Alle anderen Klubs unterliegen dem Diktat des Geldes.

Ausbildungsklubs von Paderborn bis Dortmund

Womit die restlichen 17 Vereine ausser den Bayern automatisch zu Ausbildungsvereinen für die Top-Käufer Europas werden. Auch Borussia Dortmund musste das in den letzten Jahren leidvoll erfahren. Abdou Diallo (PSG), Christian Pulisic (FC Chelsea), Pierre-Emerick Aubameyang (FC Arsenal) und Ousmane Dembélé (FC Barcelona) sahen den BVB lediglich als Zwischenstation, als Mittel zum Zweck auf dem Weg zu einem der ganz grossen Klubs ausserhalb der Bundesliga. Bei Jadon Sancho dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis auch er sich eine neuen sportliche und finanzielle Perspektive schafft.

Anderen Vereinen wie etwa 1899 Hoffenheim eilt der Ruf des herausragenden Ausbildungsklubs mittlerweile meilenweit voraus. "Ich habe mich ganz bewusst für die TSG Hoffenheim entschieden. Dieser Klub ist bekannt dafür, Talente zu fördern und zu stärken. Selbst in meiner Heimat Mali weiss man das", sagte Diadie Samassekou nach seinem Transfer von Salzburg nach Hoffenheim dem vereinseigenen Magazin.

Der Mittelfeldspieler ist wie ein Prototyp eines peniblen Karriereplans: Erst in einer kleinen Liga in Europa Fuss fassen, danach in der gehobenen Klasse weiterentwickeln und dann im besten Alter nach England oder Spanien wechseln. Im Sommer hat Hoffenheim unter anderem Joelinton verkauft, einen 22 Jahre alten Angreifer, der sich in den beiden Jahren davor im Kraichgau aus dem Nichts in den Fokus gespielt hatte. Newcastle United bezahlte 44 Millionen Euro für den Brasilianer.

"Anti-Kommerz-Stimmung" als Grund?

Die ganz grossen Stars machen eigentlich schon immer einen grossen Bogen um die Bundesliga, von Maradona bis Messi hätte kein Spieler auch nur im Traum daran gedacht, irgendwann einmal in der Bundesliga zu spielen.

Dass mittlerweile aber auch viele jener Spieler, die in der Bundesliga ausgebildet und auch sozialisiert wurden, die Liga schon in frühen Jahren wieder verlassen, ist neu. Und offenbar auch eine Folge der 50+1-Regelung. So sah das zumindest Oliver Kahn. Der neue Vorstand des FC Bayern mahnte schon vor anderthalb Jahren vor der "Ausbildungsliga Bundesliga".

"Der sportliche Erfolg und die Attraktivität einer Liga hängen natürlich von der Qualität der Darsteller ab. Während sich die Vereine in Deutschland derzeit in einer von wenigen angefachten Anti-Kommerz-Stimmung aufreiben, wäre es sinnvoller, wenn wir uns intensiv Gedanken darüber machten, wie wir die Bundesliga wettbewerbsfähiger für Europas Spitze gestalten können. Die Bundesliga ist mit ihrer Infrastruktur und Wirtschaftlichkeit weiter ein erstklassiges Produkt, muss aber aufpassen, dass sie sich nicht zu einer Art ‚Ausbildungsliga‘ für andere europäische Ligen entwickelt", sagte Kahn damals in einem Gastbeitrag im "Kicker". Das ist nun längst geschehen.

Die Bundesliga hinkt hinterher

Die Bundesliga hinkt im Vergleich mit Engländern und Spaniern hinterher, die Ligue 1 und die Serie A holen in grossen Schritten auf. Neben dem Exodus der Stars macht sich das auch in harten Ergebnissen bemerkbar. In den letzten 20 Jahren holte die Bundesliga nur zwei von 40 möglichen Titeln im europäischen Klub-Fussball, die beiden Champions-League-Siege der Bayern. Die Premier League sackte acht Titel ein, La Liga sogar unglaubliche 19.

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