In nahezu allen Bundesligaspielen vom Wochenende ist der Videobeweis ein Thema. Es gibt viele Diskussionen, dabei verhalten sich Schiedsrichter und Video-Assistenten fast überall völlig korrekt. Nur in Stuttgart kommt es zu nachhaltigen Ungereimtheiten.

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
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Der Videobeweis sorgt weiterhin für Diskussionen. Am ersten Bundesliga-Spieltag standen noch die technischen Probleme wie unterbrochene Funkverbindungen und fehlende Abseitslinien im Mittelpunkt.

Die Deutsche Fussball Liga (DFL) kritisierte den Dienstleister Hawk-Eye deshalb heftig. Der Projektleiter Videobeweis beim DFB, Hellmut Krug, sagte: "Wir können nicht Wochen und Wochen so weitermachen. Vor allem für die Schiedsrichter ist das unzumutbar."

Wenn das so weitergehe, "müssen wir uns etwas anderes überlegen", so Krug. Zwischenzeitlich stand sogar ein Aussetzen des Videobeweises als Möglichkeit im Raum. Doch am Wochenende lief es besser.

Störungsfreier Spieltag

Genormte Abseitslinien stehen nach Angaben der DFL zwar immer noch nicht zur Verfügung. Die Video-Assistenten müssen deshalb ihr Urteil ohne dieses Hilfsmittel treffen.

Die Kommunikation zwischen den Referees auf den Plätzen und den Video-Assistenten in der Zentrale in Köln schien ansonsten aber ohne Störungen auszukommen.

Dafür gab es in der Öffentlichkeit einigen Streit über angeblich zu Unrecht erfolgte – oder unterlassene – Eingriffe der Video-Assistenten. Andernorts hingegen trug der Videobeweis unzweifelhaft zu korrekten Entscheidungen der Schiedsrichter bei.

Papadopoulos als Schauspieler entlarvt

1. FC KölnHamburger SV: Nach dem Anschlusstreffer der Kölner zum 1:2 in der Nachspielzeit wälzt sich der Hamburger Kyriakos Papadopoulos nach einem harmlosen Kontakt von Jhon Cordoba schreiend am Boden. Er vermittelt so den Eindruck, das Opfer eines brutalen Vergehens geworden zu sein.

Der Unparteiische Sören Storks – der nach 59 Minuten für seinen verletzten Kollegen Felix Brych einspringen musste und so zu seinem ersten Bundesligaspiel kam – hat den vermeintlichen Schlag nicht gesehen und zieht deshalb den Video-Assistenten Günter Perl zu Rate.

Der informiert ihn, dass keine Tätlichkeit vorliegt, sondern vielmehr eine Schauspielerei von Papadopoulos. Die Folge: Storks zeigt dem Griechen die Gelbe Karte wegen unsportlichen Verhaltens. Für diese Entscheidung gibt es viel Applaus.

Abseits statt Elfmeter in Frankfurt

Eintracht FrankfurtVfL Wolfsburg: In der 28. Minute nimmt der Frankfurter Kevin-Prince Boateng einen Steilpass auf, läuft in den Wolfsburger Strafraum und wird dort von Ignacio Camacho gefoult. Schiedsrichter Benjamin Cortus gibt einen Elfmeter.

Doch Günter Perl, der auch in diesem Spiel als Video-Assistent fungiert, sieht bei der Überprüfung der Entscheidung, dass Boateng sich im Abseits befand. Es liegt also eine klare Fehlentscheidung vor.

Deshalb nimmt Cortus den Strafstoss zurück und entscheidet auf indirekten Freistoss wegen Abseits für die Gäste. Zwischen dem Elfmeterpfiff und der Korrektur vergehen gerade einmal 15 Sekunden.

Zweierlei Mass in Stuttgart

VfB Stuttgart – 1. FSV Mainz 05: In der 6. Minute zieht der Mainzer Robin Quaison im Stuttgarter Strafraum an Marcin Kaminski vorbei, es kommt zu einem leichten Kontakt mit dessen Schienbein. Quaison gerät dadurch aus dem Tritt und fällt.

Schiedsrichter Benjamin Brand lässt weiterspielen, der Video-Assistent Tobias Stieler greift ebenfalls nicht ein.

79. Minute: Der Stuttgarter Simon Terodde lässt im Strafraum der Mainzer Giulio Donati und Torhüter René Adler aussteigen. Donati grätscht, Adler hechtet – und Terodde gerät ins Straucheln, bevor er schliesslich zu Boden geht.

Erneut sieht Brand keinen Grund zu pfeifen. Doch diesmal schaltet sich Stieler ein und empfiehlt dem Referee einen Strafstoss.

Die beiden Szenen haben etwas gemein: Es gibt jeweils sowohl Gründe, die für einen Strafstoss sprechen, als auch Argumente, von einem Elfmeterpfiff abzusehen. Hier wie dort fehlt die Eindeutigkeit, auch nach diversen Zeitlupen.

Warum im einen Fall ein klarer und deshalb korrekturbedürftiger Fehler des Schiedsrichters vorliegen soll, im anderen Fall jedoch nicht, erschliesst sich darum nicht.

Völler wütet zu Unrecht

Bayer 04 Leverkusen – TSG 1899 Hoffenheim: "Das war ein klares Foul, Wolfgang Stark ist da wohl im Keller in Köln vor dem Fernseher eingeschlafen", giftete der Leverkusener Sportchef Rudi Völler.

Der Grund für seinen neuerlichen Wutausbruch: Stark war Video-Assistent bei der Partie und hatte nichts gegen die Anerkennung des Hoffenheimer Ausgleichstores von Mark Uth zum 2:2-Endstand einzuwenden.

Völler dagegen war der Meinung, dass Uth sich im Vorfeld der Torerzielung unfair gegen Benjamin Henrichs eingesetzt und so einen Vorteil verschafft hatte.

Die Bilder bestätigten das nicht eindeutig. Uth und Henrichs befanden sich im Laufduell, ihre Wege kreuzten sich leicht. Warum der Leverkusener zu Fall kam – durch einen von Uth verursachten Kontakt oder eher, weil er infolge eines Missgeschicks unglücklich ins Stolpern geriet –, war nicht zweifelsfrei auszumachen.

Dass Schiedsrichter Harm Osmers weiterspielen liess und auch das Tor anerkannte, war deshalb kein klarer Fehler. Entsprechend bestand auch für Wolfgang Stark keine Notwendigkeit zum Eingreifen.

Kein klares Foul an Lewandowski

Werder Bremen – FC Bayern München: Bei einem hohen Ball in den Bremer Strafraum drückt Jérôme Gondorf in der 41. Minute mit seinem angelegten Oberarm und dem Rücken ein wenig gegen Robert Lewandowski, der dadurch nicht an den Ball kommt und fällt.

Schiedsrichter Bastian Dankert lässt weiterspielen und erhält vom Video-Assistenten Felix Zwayer auch keine gegenteilige Empfehlung. Mit Recht: Die Partie laufen zu lassen, war zumindest keine klare Fehlentscheidung.

Vestergaard und Baier im Glück

FC Augsburg – Borussia Mönchengladbach: Nach sieben Minuten wehrt der Gladbacher Jannik Vestergaard einen Torschuss im Strafraum mit ausgestrecktem Arm ab, Schiedsrichter Sascha Stegemann lässt jedoch weiterspielen.

Nach 19 Minuten landet der Ellbogen von Daniel Baier im Gesicht von Christoph Kramer, der Referee zeigt dem Augsburger jedoch nur die Gelbe Karte.

Weil Vestergaard sich vom Ball wegdreht und Baier seinen Arm beim Sprung in Richtung Kramer angelegt hat, kann in beiden Fällen nicht von einem krassen Fehler die Rede sein. Dass der Video-Assistent Tobias Welz jeweils keine Korrektur vorschlägt, ist somit korrekt.

Zweimal Augustin gegen Kempf

RB Leipzig – SC Freiburg: Den kleinen Schubser, den der Leipziger Jean-Kevin Augustin im Freiburger Strafraum nach 17 Minuten von Marc-Oliver Kempf verpasst bekommt, will Schiedsrichter Christian Dingert nicht mit einem Elfmeter bestrafen.

Das ist vertretbar – und deshalb ist es auch richtig, dass der Video-Assistent Jochen Drees sich nicht einschaltet. Genauso wie nach dem Tor zum 3:1 für die Gastgeber, vor dem sich Augustin zwar energisch, aber im Rahmen der Regeln gegen Kempf durchsetzt.

Handspiel von Sané?

Hannover 96 – Schalke 04: Der Hannoveraner Salif Sané wehrt nach 49 Minuten eine Flanke von Bastian Oczipka bei einer Grätsche mit der Hand ins Toraus ab. Schiedsrichter Patrick Ittrich gibt einen Eckstoss.

Die Distanz ist sehr kurz, ob Sanés Armhaltung in dieser Situation der unsportlichen Vergrösserung der Körperfläche dient oder einfach nur fussballtypisch ist, lässt sich nicht endgültig klären.

Nach einer kurzen Kommunikation mit Video-Assistent Robert Hartmann setzt der Unparteiische das Spiel deshalb wie ursprünglich entschieden fort. Auch das ist nachvollziehbar.

Eingriff nur bei klaren Fehlern

Bundesliga-Schiedsrichter Sascha Stegemann resümierte bei einem Pressetermin in Köln Ende Juli: "Die Video-Assistenten sollen nicht beurteilen, ob eine Entscheidung richtig ist, sondern vielmehr, ob sie klar falsch ist."

Nur im Falle eindeutiger, unstrittiger Fehler dürften sie ihrem Kollegen auf dem Feld eine Korrektur empfehlen, im Zweifelsfall sollten sie sich zurückhalten.

Dass über die Frage, wann ein Fehler tatsächlich klar und unstrittig ist, Diskussionen entbrennen würden, war gleichwohl abzusehen. Denn hier handelt es sich um etwas, das Raum für subjektive Urteile lässt.

Video-Assistenten auf gutem Weg

Es bleibt jedoch festhalten: Wenn man die ersten beiden Spieltage dieser Saison zugrundelegt, liegt die Latte für eine Entscheidungsänderung ziemlich hoch. Die Korrekturempfehlung in Stuttgart fällt aus dem Rahmen.

Die Video-Assistenten haben nur in wirklich glasklaren Fällen interveniert und die Finger von Situationen gelassen, in denen die Entscheidung des Schiedsrichters vielleicht ein Magengrummeln verursacht, aber nicht völlig abwegig ist.

Genau so ist das auch vorgesehen, denn die Wahrheit soll möglichst auf dem Platz bleiben. Die Debatten werden nie ganz verstummen, aber das müssen und sollen sie auch gar nicht.

Wichtig ist, dass die Schiedsrichter und Video-Assistenten zu einem einigermassen einheitlichen Massstab hinsichtlich der Frage kommen, wann ein Eingriff unumgänglich ist. Was das betrifft, sind sie auf einem guten Weg.

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