Im Spiel zwischen Werder Bremen und dem HSV fällt das Tor des Tages aus abseitsverdächtiger Position. Der Unparteiische erkennt es jedoch im Verbund mit seinen Assistenten an. Das ist regelkonform, auch wenn es HSV-Chef Heribert Bruchhagen zunächst nicht wahrhaben will.

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
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Am Sonntagmorgen hatte sich Heribert Bruchhagen schliesslich wieder beruhigt. Er bedaure, was er "in der ersten Emotion über die Videoschiedsrichter in Köln gesagt habe", teilte der Vorstandsvorsitzende des Hamburger SV mit. "Das war nicht richtig."

Bruchhagen hatte im Interview des Senders Sky unmittelbar nach dem Abpfiff des hitzigen Spiels seines HSV bei Werder Bremen (0:1) die Rechtmässigkeit des Siegtreffers der Gastgeber mit markigen Worten angezweifelt.

"Was sind das für Leute, die da in Köln sitzen?", hatte der 69-Jährige erregt gefragt. "Ich brauche da nur einmal draufzugucken, da sehe ich, das Tor, das ist doch Abseits. Jeder, der ein bisschen Fussball gespielt hat, der sieht, dass es Abseits ist."

Die Unparteiischen, allen voran der Video-Assistent, hätten jedoch offenbar nicht Fussball gespielt und könnten eine Abseitsstellung deshalb "nicht sehen und nicht erfühlen". Das war harter Tobak.

Bruchhagens Schiedsrichterschelte hatte jedoch etwas von einer gewissen Komik. Denn während er sie vor laufender Kamera vortrug, spielte die Regie die betreffende Szene noch einmal ein. Die Bilder zeigten, dass der HSV-Chef höchstwahrscheinlich irrte, zumindest aber in seiner Aufregung stark überzogen hatte.

Bruchhagen regte sich zu Unrecht auf

Als nämlich der Bremer Aron Johannsson aufs Hamburger Tor schoss, befand sich sein Mitspieler Ishak Belfodil – der den daraufhin vom Gästetorwart Christian Mathenia abgewehrten Ball zu erreichen versuchte und dabei Rick van Drongelen förmlich zu einem Eigentor zwang – wohl auf gleicher Höhe mit dem Ball und somit nicht im Abseits.

Jedenfalls liess sich "auch aus unterschiedlichen Perspektiven nicht klar und zweifelsfrei nachweisen, dass sich Belfodil im Moment des Torschusses vor dem Ball befand", wie die DFB-Schiedsrichter-Kommission am Samstagabend via Facebook erklärte.

Deshalb sei es richtig gewesen, "dass der Video-Assistent in diesem Fall nicht korrigierend eingriff", nachdem Referee Felix Zwayer den Treffer anerkannt hatte. Schliesslich habe "kein klarer und offensichtlicher Fehler" vorgelegen.

Diese Massgabe gilt auch für eine mögliche Abseitsstellung im Vorfeld einer Torerzielung, solange den Video-Assistenten keine kalibrierten Linien zur Verfügung stehen. Die DFL hatte unlängst erklärt, es gebe noch kein von der FIFA und dem Ifab (International Football Association Board) zertifiziertes und zugelassenes System mit diesen Linien.

Die Abseitslinien des Fernsehens sind manchmal ungenau

Deshalb arbeiten die Video-Assistenten mit Blick auf mögliche Abseitsstellungen nach Toren ganz ohne Hilfsmarkierungen. Auch ohne jene, die vom Fernsehen eingeblendet werden – und täuschen können.

Nicht nur, weil diese Linien bisweilen ungenau gezogen werden, sondern auch, weil das Bild nicht immer im richtigen Moment angehalten wird.

Denn verbreitet ist die Ansicht, zur Bestimmung eines möglichen Abseits sei jener Augenblick wesentlich, in dem der Ball beim Zuspiel den Fuss oder einen anderen Körperteil des angreifenden Spielers verlässt.

Das aber stimmt nicht, wie die Regelhüter des Ifab im September des vergangenen Jahres in einem öffentlichen Rundschreiben an alle Fussballverbände und -konföderationen noch einmal deutlich gemacht haben.

Darin heisst es: "Bei der Beurteilung einer Abseitsstellung ist der erste Kontakt beim Spielen oder Berühren des Balls entscheidend."

Diese Klarstellung sei nötig, da bei den von den Video-Assistenten verwendeten Zeitlupen "zwischen dem ersten und dem letzten Ballkontakt (bei einem Zuspiel) ein deutlicher Unterschied besteht". Zum Beispiel, wenn der Ball beim Passen oder Lupfen ein Stück mit dem Fuss geführt wird.

Wenn das Fernsehen dann aber ein Standbild präsentiert, in dem das Ende des Kontakts statt des Beginns festgehalten ist, kann das zur falschen Beurteilung einer möglichen Abseitssituation führen. Schliesslich können sich in Sekundenbruchteilen entscheidende Verschiebungen auf dem Feld ergeben.

Warum die Referees beim Tor des Tages richtig handelten

Wie auch immer: Felix Zwayer lobte gegenüber Sky seinen Assistenten dafür, kein Fahnenzeichen gegeben, sondern abgewartet zu haben, wie die Szene ausgeht.

Nach dem Tor habe der Helfer an der Linie dann über Funk mitgeteilt, "dass es sich um eine knappe Situation handelt, und darum gebeten, dass in Köln auf Abseits überprüft wird".

Ein solches Vorgehen hatte der Chef der Bundesliga-Referees, Lutz Michael Fröhlich, am Donnerstag im Kicker als wünschenswert bezeichnet. "Schiedsrichter sollten das Spiel laufen lassen, wenn ein Angreifer im vermeintlichen Abseits einen direkten Abschluss zum Tor hat", sagte er.

Die FIFA trainiere in ihren Lehrgängen sogar "die Variante, dass die Assistenten im Zweifelsfall gar nicht winken sollen, sondern warten, bis der Ball gegebenenfalls im Tor ist". Dann könne "die Position im Nachhinein überprüft werden".

Regeländerungen begünstigen seit Jahren die Offensive

Dieses Vorgehen verschafft der angreifenden Mannschaft, solange es noch keine kalibrierten Linien gibt, in engen Situationen allerdings einen Vorteil.

Denn da ein Tor in einem solchen Fall eben nur dann annulliert wird, wenn der Video-Assistent ein strafbares Abseits eindeutig feststellen kann, bleiben knappe Abseitsstellungen, bei denen die Kameraperspektiven keine Klarheit schaffen, im Zweifelsfall ungeahndet.

Das dürfte noch für manch böse Kommentare von erbosten Trainern oder Funktionären sorgen, die ein hauchzartes Abseits für "glasklar" und "unübersehbar" und die Schiedsrichter für unfähig halten.

Aber diese Begünstigung der Offensive ist ein Beispiel für etliche Änderungen der Regeln oder von deren Auslegung, die das Ifab in den vergangenen Jahren vorgenommen hat – gerade beim Abseits. Insofern ist auch eine Auslegung wie in Bremen nur konsequent.


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