Nach einem etwas holprigen Start ist Borussia Dortmund zuletzt regelrecht explodiert. Lucien Favre bastelt an einer Mannschaft, die momentan besser funktioniert als der Klassenprimus - und die dem FC Bayern auf Sicht gefährlich werden könnte.

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Ein paar Mal hatten die Zuschauer in der Allianz Arena und zu Hause auf dem Sofa am Dienstagabend das Gefühl, dass da eine taufrische gegen eine etwas ausgelaugte Mannschaft Fussball spielte.

Der Auftritt der Bayern gegen Ajax in der Champions League hielt ein paar merkwürdige Sequenzen parat, und zwar immer dann, wenn die Münchener ihren juvenilen Gegenspielern mal wieder hinterherlaufen mussten. Was nicht selten der Fall war.

Findige Geister hatten herausgefunden, dass die Bayern in ihrer Startelf neun Spieler auf dem Platz hatten, die bereits vor über fünf Jahren im Champions-League-Finale gegen Borussia Dortmund Startspieler waren - sieben Bayern-Spieler plus die damaligen Dortmunder Robert Lewandowski und Mats Hummels.

Der BVB dagegen spielte 24 Stunden später gegen den AS Monaco mit einer fast runderneuerten Mannschaft und um beim Vergleich mit dem 2013er-Finale zu bleiben, nur mit Marco Reus und Lukasz Pizczek als "Veteranen" in der Startelf.

Der Auftritt der Bayern und der des BVB, gerade in der zweiten Halbzeit, hätte dann auch unterschiedlicher nicht sein können.

Gegen die schwerfälligen Münchener, die am Ende mit dem Remis gegen Ajax zufrieden sein mussten, geriet Dortmunds Sturmlauf fast schon zu einer kleinen Demonstration frischen Offensivfussballs.

"Das wird uns diesmal nicht passieren"

Die jüngere Geschichte zeigt, dass man mit voreiligen Rückschlüssen vorsichtig sein muss, immerhin glaubten sich Dortmunds Verantwortliche vor ziemlich genau einem Jahr ebenfalls auf dem besten Weg zurück in die nationale Spitze.

Damals legte der BVB unter Peter Bosz einen furiosen Start hin und nicht wenige träumten schon von einem echten Meisterschaftskampf gegen die Bayern. Heraus kam eine letztlich verkorkste Saison mit dem anschliessenden kompletten Neuanfang.

"Das wird uns diesmal nicht passieren", verspricht der neue Leiter der Lizenzspielerabteilung Sebastian Kehl im Gespräch mit dem "Kicker". "Die Mannschaft ist defensiv stabiler und mental gefestigter. Das gibt ihr Halt, ebenso wie die Gewissheit, dass wir immer für Tore gut sind."

Der gravierende Unterschiede zur Situation vor einem Jahr ist die Besetzung auf der Trainerbank. Lucien Favre lässt keinen Hopp-oder-Topp-Fussball spielen wie Bosz, dessen Spielausrichtung und Ideen schnell durchschaut und von den Gegnern weidlich ausgenutzt wurden.

Vielmehr lässt Favre einen in der Offensive dosiert riskanten und in der Defensive stets abgesicherten Fussball spielen, der die Stärken der einzelnen Spieler und schon zu diesem frühen Zeitpunkt der Saison auch die der Zugänge besonders herausstreicht.

Gute Mischung, wichtige Achse

Die Borussia hat eine gute Mischung hinbekommen aus sehr jungen, sehr hungrigen Spielern und einem Stamm an Routiniers, die ohne grosse Eitelkeiten vorangehen und die Jungen anleiten.

Jadon Sancho oder Christian Pulisic starten wieder richtig durch, Jacob Bruun Larsen ist bisher die Entdeckung der Saison. Hinten räumen die Youngster Manuel Akanji (23), Abdou Diallo (22), Achraf Hakimi (21) und Dan-Axel Zagadou (19) neben den Altmeistern Piszczek und Marcel Schmelzer auf.

Die Achse bilden Torhüter Roman Bürki, der wieder zuverlässiger wirkt als in der letzten Saison, Schmelzer, Axel Witsel und Reus.

Die Verpflichtung des Belgiers Witsel wurde nicht nur positiv aufgenommen, der Mittelfeldspieler hat sich aber schon nach wenigen Wochen quasi unverzichtbar gemacht und lenkt den Sturm und Drang der Kollegen auch in kontrollierte Bahnen.

"Es gibt noch viel zu tun"

Allerdings darf auch nicht übersehen werden, dass die Mannschaft innerhalb ihrer Spiele noch erheblichen Leistungsschwankungen ausgesetzt ist.

Die ersten Partien in der Bundesliga waren alles andere als überzeugend, das Champions-League-Spiel in Brügge kaum anzuschauen. In Leverkusen zuletzt verpennte die Mannschaft eine komplette Halbzeit, gegen Monaco lief es 45 Minuten lang auch nicht richtig rund.

"Wir benötigen noch Zeit zu reifen", wiederholte Favre auf der Pressekonferenz nach dem Sieg gegen Monaco sein Credo erneut. "Es gibt noch ein grosses Potenzial für eine Weiterentwicklung, technisch und taktisch. Wir haben viele junge Spieler.

Das braucht Zeit, das geht nicht in zwei, drei Monaten. Da braucht man wesentlich länger, vor allem mit jungen Leuten. Es gibt noch sehr viel zu tun. "

Damit meint der Trainer die inhaltlichen Bausteine, die nach wenigen Wochen noch gar nicht perfekt ineinandergreifen können.

Aber die Mannschaft zeigt, aufgepimpt mit Spielern wie Witsel oder dem Ex-Bremer Thomas Delaney, Charakter und Mentalität, sie lässt sich nicht von Negativerlebnissen aus der Bahn werfen und entwickelt stattdessen wieder eine trotzige Reaktion.

Mit dieser "Wir-gegen-den-Rest"-Mentalität lassen sich bisher auch fussballerische Defizite ganz gut kaschieren.

Die Reservisten bleiben ruhig

Und sie hat den BVB in der Champions League und in der Bundesliga auf Platz eins gehievt. Das weckt jetzt schon Begehrlichkeiten, zumindest beim einen oder anderen Fan und wohl auch bei neutralen Beobachtern der Bundesliga.

Momentan macht die Borussia einen ganz anderen Eindruck als die Bayern. In Dortmund funktioniert das Gesamtgefüge, die Reservisten nehmen ihr Dasein an und liefern trotzdem ab, wenn sie dann gebraucht werden.

Selbst die durchaus brisante Personalie Mario Götze bekommen die Verantwortlichen derzeit gut moderiert. Von Grüppchenbildungen wie zuletzt oder Neid und Ego-Trips ist nichts zu erkennen.

Und Favre erweckt nach einem etwas holprigen Start den Eindruck, als wäre er genau der richtige Trainer für diesen fulminanten Neubeginn in Dortmund.

Einen echten Neuanfang haben die Bayern absichtlich vermieden. Im Kader kam es nur zu wenigen Umwälzungen, nur das Trainerteam ist neu. Niko Kovac fing bärenstark an, warf dann die Rotationsmaschine an und wurde in den letzten Spielen unter anderem dafür von den Gegnern abgestraft.

Aber Kovac bleibt bei nur 16 fitten Feldspielern im extrem dünn besetzten Kader auch gar nichts anderes übrig, als in den ersten englischen Wochen der Saison schon zu rotieren.

Angeblich sollen die Wechselspielchen bisher nicht jedem Spieler passen, der "Bild" schrieb bereits von unzufriedenen Spielern und einer diskussionswürdigen Auswahl Kovac’.

Noch ist es viel zu früh, um aus den ersten Pflichtspielen der Saison schon eine Tendenz abzuleiten. Aber die letzten Eindrücke lassen wenigstens die vage Hoffnung auf ein Duell auf Augenhöhe zwischen den Bayern und Borussia Dortmund zu. Für jeden neutralen Fan wäre das doch schon einmal ein Anfang.

Verwendete Quellen:

  • "Kicker": Sebastian Kehl im Interview mit dem Magazin "Kicker"
  • Offizielle Pressekonferenz nach dem Champions-League-Spiel
  • "Bild.de": Wut-Abgang von James aus dem Stadion


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