Die Spannungen zwischen Coach Thomas Tuchel und Borussia Dortmund sind kaum noch zu kitten. Das zeigt das Interview von Hans-Joachim Watzke vom Wochenende deutlich. Eine Trennung wird immer wahrscheinlicher.
Freddie Röckenhaus gilt als bestens informiert beim BVB. Seit Jahren berichtet der Journalist für die "Süddeutsche Zeitung" über Borussia Dortmund.
Während nun analoge und digitale Stammtische beim Zwist zwischen Hans-Joachim Watzke und
Trennung von Thomas Tuchel?
"Trennungen kommen oft völlig überraschend. Hatte man doch bis zuletzt gedacht, dass alles in Ordnung sei - bis auf die paar üblichen Meinungsverschiedenheiten", schreibt er in der "SZ".
Weil jeder Stammtisch und jedes Fanforum sich motiviert fühlten, das intime Innenleben aus der Distanz beurteilen zu wollen, "gibt es mindestens so viele Fehlinterpretationen wie bei Paaren, die plötzlich alle mit ihrer Scheidung überraschen".
Es ist ein passender Vergleich. Denn eine Trennung von Tuchel und dem BVB wird immer wahrscheinlicher. Und zwar nicht erst im Sommer 2018, wenn der Vertrag des 43-Jährigen endet.
Es könnte schon nach dieser Saison soweit sein. Die Anzeichen dafür verdichten sich.
Brisantes Interview des BVB-Bosses
Watzke hatte bei der "Westfälischen Allgemeinen Zeitung" am Wochenende ein brisantes Interview platziert.
Der Geschäftsführer, die höchste Instanz beim BVB, hat einen Vertrauenbruch angedeutet.
Hintergrund: Die Terminierung des Champions-League-Nachholspiels gegen die AS Monaco nach dem Attentat auf den BVB-Mannschaftsbus nur 24 Stunden nach dem eigentlichen Spieltermin.
"Teilweise" habe ihn die Kritik des Trainers an der Spielansetzung irritiert, meinte der BVB-Boss und verneinte einen "klaren Dissens" nicht.
Auf die Frage, ob Tuchel als feinfühliger Krisenmanager auch bei ihm gepunktet habe, antwortete der 57-Jährige nüchtern.
Er bewerte alles rund um das Attentat auch vor dem Hintergrund dessen, sagte er, "was wir intern vertraulich miteinander besprochen haben und was möglich war".
Zudem hatte Watzke erklärt, dass eine Vertragsverlängerung mit Tuchel, dessen Kontrakt bis Sommer 2018 läuft, nicht nur vom sportlichen Erfolg abhänge, sondern auch von Fragen der "Kommunikation, Strategie" und des "Vertrauens".
Doch das Vertrauen ineinander ist längst geschädigt.
Thomas Tuchel wirkt sichtlich angegriffen
"Ein grosses Thema für einen grossen Tag", meinte Tuchel vor dem Spiel um die direkte Champions-League-Qualifikation gegen 1899 Hoffenheim bei "Sky" sichtlich angegriffen.
"Ich verbiete mir, darauf einzugehen oder auch nur darüber nachzudenken, dafür Energie aufzuwenden."
Nach dem Spiel, das 2:1 gewonnen wurde, sagte Tuchel auf die Frage, wie sein Verhältnis zu Watzke sei: "Ich kommentiere das nicht, weil das ein Pingpong-Spiel wird."
Intern sei irritiert zur Kenntnis genommen worden, schreibt Röckenhaus, dass Tuchel nicht die Deeskalation gesucht, sondern wie gehabt die moralische Position für sich beansprucht habe.
So, wie nach dem Sprengstoff-Anschlag auf den BVB-Mannschaftsbus.
Tuchel soll am Abend des Anschlags keine Einwände gegen eine Spiel-Verlegung gehabt haben, schilderte Watzke der "SZ".
Der Trainer klagte jedoch, dass die Uefa "per SMS" kalt darüber informiert habe. Indirekt machte er Watzke und Sportdirektor Michael Zorc damit Vorwürfe.
BVB-Präsident stärkt Hans-Joachim Watzke
"Es war an jenem Abend für uns nicht anders zu entscheiden. Aki Watzke hat da ganz herausragende Arbeit in einer unfassbar schwierigen Lage geleistet", stärkte BVB-Präsident Reinhard Rauball Watzke nun.
Rauball, ein besonnener und moderater Macher im Hintergrund, meinte im Gespräch mit der "Bild": "Soweit ich weiss, ist Thomas Tuchel keineswegs nur mit einer SMS informiert worden. Weder er noch einer der Spieler haben von Watzkes Angebot Gebrauch gemacht, auf die Teilnahme am Spiel zu verzichten, wenn sie sich dazu nicht in der Lage sahen."
Zwischen den Zeilen werfen Watzke und Rauball dem Fussball-Lehrer vor, seine Kritik an der schnellen Neuansetzung des Champions-League-Spiels gegen den AS Monaco nach dem Anschlag wider besseres Wissen geäussert zu haben.
Der Coach hatte die Entscheidung als "unmenschlich" bezeichnet und moniert, dass er und seine Spieler dabei "überhaupt nicht eingebunden" worden sein.
Diese Sichtweise befremdet Rauball: "Am Folgetag wurde allen, auch dem Trainer, natürlich das Recht eingeräumt, sich gegen dem Spieltermin auszusprechen. Ein solcher Wunsch ist an uns nicht herangetragen worden."
Auch Spieler fremdeln mit Thomas Tuchel
Immer wieder hat man in den vergangenen Monaten über Verstimmungen beim BVB gelesen. Tuchel hatte sich über Monate durch ungewöhnliche harsche Kritik an der Mannschaft angreifbar gemacht.
"Technisch, taktisch, mental, Bereitschaft, komplett - ein einziges Defizit", meinte er nach dem 1:2 bei Eintracht Frankfurt Ende November.
Im Februar legte Tuchel nach der Pleite beim mittlerweile Absteiger Darmstadt 98 nach, diesmal gegen die Vereinsführung.
"Wir sind hier gnadenlos durchgefallen. Es muss ein Umdenken stattfinden. Wir sind nicht nur das, was wir gegen Leipzig und Bayern zeigen, sondern auch das, was wir gegen Darmstadt zeigen", sagte er. "Es wäre hilfreich, wenn das mal durchsickern würde. Ich dachte, das ist intern schon angekommen."
Was er damit meinen dürfte: Mit dem Kader die hohen Saisonziele zu erreichen, ist nicht ganz einfach.
Röckenhaus schreibt dazu, dass lange vor den schockierenden Erlebnissen des Anschlags am 11. April, Watzke, Manager Zorc und mehrere Spieler immer wieder Meinungsunterschiede mit dem Trainer beklagt hätten. Hinter vorgehaltener Hand, vertraulich.
Von einer besonders engen, menschelnden Beziehung seit dem Attentat "kann keine Rede sein, das ist eine reine Mediensache", sagte ein Spieler nun der "SZ".
Rettet nicht einmal der DFB-Pokalsieg Tuchel?
Der interne Bruch ist kaum noch zu kitten, wohl auch nicht durch einen Sieg im DFB-Pokal-Finale.
Zorc meinte nach dem Halbfinal-Sieg beim FC Bayern, man solle eine mögliche Vertragsverlängerung nicht davon abhängig machen.
Watzke wurde deutlicher: "Michael und ich fühlen uns bestätigt, welches Potenzial in dieser Mannschaft steckt."
Für Aussenstehende mag die kritische Beurteilung vielleicht nur schwer nachvollziehbar sein. Schliesslich steht Tuchel kurz davor, mit seinem Team die anspruchsvollen Saisonziele zu erfüllen.
Der BVB ist Pokalfinalist, schaffte in der Champions League den Sprung unter die letzten Acht und hat als Tabellendritter beste Chancen auf die erneute direkte Qualifikation für die europäische Königsklasse.
Dennoch kommentiert die "SZ", dass es "ein mediatorisches Wunder, und nichts anderes wäre (...), sollten der BVB und Thomas Tuchel über das baldige Saisonende beieinanderbleiben."
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