Lucien Favre löste nach der Niederlage gegen die Bayern eine kleine Trainerdiskussion aus. Aber der BVB sollte vielmehr an der eigenen Philosophie feilen.

Christopher Giogios
Eine Kolumne
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Interviews und Pressekonferenzen mit Luvien Favre haben zugegebenermassen weder grossen Unterhaltungswert, noch sorgen seine Äusserungen regelmässig für Schlagzeilen. Auch Journalisten verzweifeln mitunter daran, wie der BVB-Trainer sportliche und taktische Fragen höflich weglächelt – in die Karten schauen lässt sich der Schweizer selten.

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Die zweite Trainerdiskussion der Saison

Nach der 0:1-Niederlage im Spitzenduell gegen den FC Bayern München sorgte Favre jedoch für Wirbel. Die Frage nach der Erwartungshaltung an ihn als BVB-Trainer beantwortete er nebulös mit dem Hinweis, er werde darüber in einigen Wochen sprechen.

Sofort wurde in diese Äusserung der nahende Abschied Favres (Vertrag bis 2021) hineingelesen. Ebenso schnell stellte der Trainer bereits am nächsten Tag klar, dass er sich wohl bei den Borussen fühle und natürlich seinen Vertrag erfüllen werde.

Man muss Favre zugutehalten, dass seine Äusserungen gelegentlich durch die Sprachbarriere verfälscht beziehungsweise missverstanden werden. Gleichzeitig wäre ein vorzeitiger Abschied nichts völlig Überraschendes. Wir erinnern uns zurück an seine Stationen in Berlin und Mönchengladbach: Von der Hertha trennte er sich nach sehr kritischen Äusserungen zur Transferpolitik des Vereins, bei den Gladbachern trat er gegen den ausdrücklichen Willen des Vorstandes zurück.

Welche Rolle möchte der BVB zukünftig einnehmen?

Unabhängig von Favres eigenen Plänen muss sich der BVB aber selbst fragen, ob der Verein mit dem 62-Jährigen weiterhin zusammenarbeiten möchte. Eng damit verbunden ist die Frage nach der generellen Marschrichtung der Borussen.

In der Liga hat man gegen die Bayern (auch in Schwächephasen der Münchner) seit der Klopp-Ära eigentlich kein Land mehr gesehen. In der Champions League reicht es meistens für die erste K.-o.-Runde. Auch im DFB-Pokal war man zuletzt kein Abo-Finalist mehr. Gleichzeitig wurde nach dem Meisterschaftskampf letzte Saison wesentlich selbstbewusster die Jagd nach der Schale ausgerufen. Das drückte sich auch durch hochkarätige Transfers und die Rückholaktion von Mats Hummels aus.

Mit sieben Punkten Rückstand auf den FCB ist die Meisterschaft nun aber wohl entschieden, sodass der BVB dieses Jahr in allen grossen Wettbewerben leer ausgehen wird. Es wäre nicht fair, Favre in dieser so merkwürdigen Corona-Saison ausschliesslich an Titeln zu messen. Wir erinnern uns an die Hinrunde zurück, als er schon entlassen schien: durch eine taktische Umstellung geriet der BVB wieder beeindruckend in die Erfolgsspur zurück und spielte bis dato auch eine starke Rückserie. Damit hat der Schweizer die Kritiker verstummen lassen, die ihm ein stures Festhalten an seinen taktischen Vorlieben vorwarfen.

Der Mangel an Alternativen und der Wunsch nach einem Klopp-Typ

Insgesamt haben die Dortmunder seit Klopp nicht den Eindruck vermittelt, als sei die Trainerwahl Ausdruck einer konkreten Idee des Fussballs, den der Klub eigentlich spielen möchte. Und überhaupt: welche Alternativen zu Favre wären überhaupt denkbar? Lothar Matthäus brachte umgehend Niko Kovac ins Spiel. Der hat nicht nur mit Eintracht Frankfurt eine junge, wilde Mannschaft trainiert und über ihren Möglichkeiten spielen lassen, sondern mit seiner Zeit bei den Bayern auch Luft in der höchsten Etage des Fussballs geschnuppert. Aber auch hier muss man sich fragen: Wofür steht Kovac fussballerisch genau und wie passt seine Spielidee zu einem so talentierten Kader, wie der BVB ihn hat?

In Fan-Träumereien tauchten im letzten Herbst oft sehr grosse Namen des europäischen Fussballs auf: José Mourinho oder Diego Simeone. So unwahrscheinlich diese Verpflichtungen sind, eines drücken sie recht deutlich aus: die Sehnsucht der Fangemeinde nach einem "Typen". Damit wird aber auch klar: Der BVB scheint immer noch stärker der alten Liebe Jürgen Klopp hinterherzutrauern, als eine eigene Identität zu entwickeln.

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