Wohin man auf dem Dortmunder Rasen auch schaute, es waren durchweg glückliche Gesichter zu sehen. Die letzte Begegnung gegen Bayer Leverkusen entwickelte sich zu einer Mischung aus einem netten "get-together" und einer Abschiedsparty für Lukasz Piszczek, die Bender-Brüder und Schiedsrichter Manuel Gräfe. Ein Sinnbild für die finalen BVB-Wochen, nicht jedoch für den gesamten Saisonverlauf.

Christopher Giogios
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Christopher Giogios dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Der grandiose Saisonendspurt lenkt von den Dortmunder Problemen ab

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Mit dem dritten Pokalsieg der Vereinsgeschichte, der Qualifikation für die Champions League und einem Ausscheiden auf Augenhöhe gegen Manchester City sieht in Dortmund alles nach einer erfolgreichen Saison aus – auf dem Papier.

Bereits der Trainerwechsel im Winter, aber auch ganze 14 Punkte Rückstand auf den FC Bayern und ein enger Kampf um die Champions League-Plätze sprechen jedoch eine andere Sprache: tatsächlich war es eine schwierige Spielzeit für Borussia Dortmund.

Vor allem in der Hinrunde unter Lucien Favre tat sich der BVB immer wieder schwer und trat gegen tief stehende Mannschaften ideenlos und uninspiriert auf. Die Kritik am Schweizer war dabei alles andere als neu: dessen Spielidee des geduldigen 1:0-Fussballs brachte bei seinem Amtsantritt im Jahr 2018 zwar dringend benötigte Stabilität in die Mannschaft, wollte aber langfristig nicht so richtig zum Verein passen. Die Ergebnisse stimmten zwar über lange Strecken, Begeisterung riefen die Auftritte aber selten hervor.

Mit der Krise im Winter und blamablen Auftritten gegen Abstiegskandidat Köln und Aufsteiger VfB Stuttgart war der Tiefpunkt erreicht und der Trainer nicht mehr tragbar. Dass sich die BVB-Führung um Aki Watzke und Michael Zorc schon Monate zuvor nie so richtig zu ihrem Chefcoach bekannten (und ihn mit einem auslaufenden Vertrag in die Saison gehen liessen) gehört zum Kapitel Favre allerdings auch dazu.

Die Wende unter Edin Terzic

Und dann kam Edin Terzic. Man hoffte zwar, dass der als Übergangslösung präsentierte Co-Trainer den BVB sofort umkrempeln würde. Eine so erfolgreiche Rückrunde war jedoch vermutlich nicht zu erwarten. Anlaufschwierigkeiten und den ein oder anderen lustlosen Auftritt gab es zwar auch unter Terzic, jedoch beendete man die Saison mit 7 Bundesliga-Siegen in Folge und holte den DFB-Pokal nach Dortmund. Die Rückrunde der Borussia lässt zwei Deutungen zu, über die man herrlich streiten kann:

Möglichkeit Nr. 1: Erst nach der Niederlage gegen Eintracht Frankfurt und dem zweistelligen Rückstand auf die Champions League-Ränge hat sich die Mannschaft am Riemen gerissen und die dringend benötigte Serie hingelegt. Das wäre zwar sportlich immer noch beeindruckend, wirft aber Fragen zum Charakter der Mannschaft auf, die die Champions League so leichtfertig zu verspielen drohte.

Möglichkeit Nr. 2: Aufgrund des vollen Spielplans und wenig Trainingsmöglichkeiten brauchte Terzic schlicht ein wenig Zeit, bis er seine offensiv mutigere Spielidee und das geschlossene Verteidigen konstant implementieren konnte. Die Serie ist daher Ausdruck einer Entwicklung, die die Mannschaft durchmachen musste.

Die Wahrheit liegt wahrscheinlich dazwischen. Erst die nächste Saison wird zeigen, wie es um die BVB-Konstanz wirklich bestellt ist. Fakt ist, dass Terzic und seine Mannschaft in Dortmund endlich wieder grosse Euphorie auslösen konnten.

Brandt und Meunier: die grossen Verlierer der Saison

Am Ende der Spielzeit hatten gefühlt alle Sorgenkinder der Borussia wieder zu ihrer Form zurückgefunden. Nichtsdestotrotz haben sich vor allem Julian Brandt und Thomas Meunier das Jahr sicherlich anders vorgestellt. Brandt spielte unter Favre noch eine grössere Rolle, befand sich nach der Übernahme von Terzic allerdings auf dem Abstellgleis. Zu sehr mangelt es dem 25-Jährigen an Zweikampfstärke und Körpersprache – die Grundtugenden, die Terzic seinen Spielern unbedingt abverlangt. Nach wie vor ist Brandt nur schlecht auf anderen Positionen als dem offensiven Zentrum einsetzbar. Das macht seine Situation nicht einfacher. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass man diesen Umstand bereits bei seiner Verpflichtung kannte.

Thomas Meunier kann auf eine ähnlich frustrierende Saison zurückschauen. Als Nationalspieler Belgiens und Spieler von Paris St. Germain kam er mit grossen Vorschusslorbeeren nach Dortmund und startete zunächst auch auf der Rechtsverteidigerposition. Nach dem Abgang von Achraf Hakimi konnte man zwar keine ähnliche offensive Wucht auf der rechten Seite erwarten, aber Meunier blieb trotzdem deutlich unter den Erwartungen. Spätestens als auch seine defensive Anfälligkeit zunahm, sprach nicht mehr viel dafür, dem aufstrebenden Mateu Morey nicht den Vorrang zu lassen. Selbst nach Moreys fürchterlicher Verletzung zog Terzic lieber einen alternden Lukasz Piszczek vor. Das spricht Bände über den aktuellen Stand des Belgiers beim BVB.

Die Gewinner der Saison aus dem BVB-Zentrum: Jude Bellingham und Mahmoud Dahoud

Auf der anderen Seite gibt es deutlich mehr Gewinner der abgelaufenen Saison – auch das ein Zeichen dafür, mit welchen positiven Momentaufnahmen die Spielzeit für den BVB zu Ende geht. Neben den "no-brainern" wie Erling Haaland, Jadon Sancho oder Marco Reus müssen vor allem Jude Bellingham und Mahmoud Dahoud genannt werden, die auf völlig unterschiedliche Art die grossen Gewinner der Saison sind. Für Bellingham spricht, dass man von einem 17-Jährigen aus der zweiten englischen Liga schlicht nichts erwarten durfte. Es übertraf allerdings die kühnsten schwarz-gelben Träume, und so wurde der Brite zum absoluten Anker im defensiven Mittelfeld und verhält sich auf und neben dem Platz wie ein Routinier.

Ganz anders die Situation von Mo Dahoud: Seit 2017 im Verein, galt er immer als ein herausragend talentierter, aber wenig konstanter und verlässlicher Spieler. Wir werden wohl nie erfahren, was Edin Terzic im Januar 2021 mit dem 25-Jährigen angestellt hat. Fakt ist, dass er in der Rückrunde wie ausgewechselt spielte und vom notorischen Bankdrücker neben Bellingham zum Dreh- und Angelpunkt des Dortmunder Zentrums wurde – offensiv wie defensiv. Wie auch immer es zum Wandel kam: endlich bringt der Nationalspieler sein Talent, welches ihm von allen BVB-Trainern bescheinigt wurde, auch konstant auf den Platz.

Wenn der BVB mich in dieser Saison eines gelehrt hat, dann: auf gar keinen Fall Prognosen abgeben. Ich wage es dennoch: sollte man den Kader im nächsten Jahr in dieser Form zusammenhalten und an wichtigen Stellen verstärken können, wird der Rückstand auf die Bayern im nächsten Jahr keine 14 Punkte betragen. Da bin ich mir sicher.

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