Nachdem die Saison noch im November verloren geglaubt schien, hat sich Bayern München mittlerweile in allen drei Wettbewerben eine gute Ausgangslage erarbeitet. Doch wenige Tage vor dem Champions-League-Hit gegen den FC Chelsea ist nach zuletzt wechselhaften Leistungen noch immer nicht richtig klar, wo die Bayern unter Coach Hansi Flick eigentlich spielerisch stehen. Wie gut ist die Mannschaft derzeit wirklich?

Steffen Meyer
Eine Kolumne

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Die Gedanken der Münchner kreisen in dieser Woche schon um das Spiel am nächsten Dienstag in London. Das Bundesliga-Heimspiel gegen Tabellenschlusslicht Paderborn am Freitag ist eher als Aufgalopp zu sehen. Zumal Flick wegen der Sperren von Jerome Boateng und Benjamin Pavard gegen die Baumgart-Elf improvisieren muss.

Immerhin dürfte Bayerns Neuzugang Alvaro Odriozola, der bisher noch keine Rolle spielte, eine Chance von Anfang an bekommen.

Zweite Halbzeit gegen Köln säht Zweifel

Gegen Köln setzte sich am vergangenen Wochenende ein gefährlicher Trend der Vorwochen fort. Auf eine richtig gute erste Hälfte folgte eine zähe bis schwache zweite. Das war schon gegen Mainz, Hoffenheim und Leipzig so gewesen.

Zwar stimmen die Ergebnisse, doch die Leistungsschwankungen müssen die Bayern nachdenklich machen. Zehn Torschüsse liessen die Bayern mit klarer Führung im Rücken in der zweiten Hälfte bei den Domstädtern zu. Viel zu viel. Es war Manuel Neuer zu verdanken, dass es nicht noch einmal spannend wurde.

Das Zusammenspiel der beiden Linksfüsser David Alaba und Lucas Hernandez in der Innenverteidigung funktionierte in der zweiten Halbzeit nicht. Köln presste nach der Pause deutlich höher, und die Münchner schafften es immer seltener, sich konstruktiv zu befreien.

Gleichzeitig ging vor allem Aussenverteidiger Alphonso Davies ein enormes Risiko mit seinen Vorstössen. Mehrfach sahen sich nach Ballverlust drei Münchner Verteidiger drei Kölner Angreifern gegenüber. Das ist mit einem 3:0 im Rücken einfach unnötig.

Positiv ist, wie klar die Münchner Führungskräfte diese Probleme adressieren. "Mich ärgert, dass wir nicht so konstant weitergespielt haben, weil wir uns das Leben damit selber schwer gemacht haben", gab der ansonsten öffentlich eher zurückhaltende Manuel Neuer nach dem Spiel gegen Köln zu Protokoll.

Thomas Müller ging in die gleiche Richtung: "Da ist aufgetreten, was wir schon in den letzten Spielen beobachten konnten: Wenn wir einen grossen Vorsprung hatten, verstecken wir uns, machen es uns bequem." Und Hansi Flick musste trotz des 4:1-Erfolgs am Ende konstatieren: "Die zweite Halbzeit war so, dass man eher ein bisschen verärgert über die 90 Minuten ist."

Offensive hat sich stark verbessert

Fussballerisch sind zwei Trends in der bisherigen Amtszeit von Hansi Flick zu erkennen, die auch ein Stück weit das Auf und Ab der Leistungen erklären. Deutlich verbessert hat sich das Offensivspiel, das Offensivpressing ist bissiger geworden. Die Raumaufteilung ist phasenweise sehr gut.

Zuletzt war dieses kluge Positionsspiel mit vielen Rotationen in der Offensive unter Pep Guardiola zu sehen. Vor allem das Zusammenspiel von Thomas Müller und Robert Lewandowski ist derzeit exzellent. Beide schaffen mit ihren Rochaden Raum für die dribbelstärkeren Spieler und schaffen es zudem immer wieder, in den Rücken der Defensive zu kommen.

Der Lohn: Unter Flick schiesst der FC Bayern rund 20-mal pro Spiel aufs Tor. Über 5 Grosschancen pro Spiel sind ebenfalls ein Topwert. Mit 3,1 Treffern pro Partie unter Flick überflügeln die Bayern derzeit sogar den Schnitt unter Guardiola.

Ein weiteres Erfolgsgeheimnis für das verbesserte Offensivspiel: Die Münchner investieren enorm viel Energie in die Laufarbeit. Sowohl die gelaufenen Kilometer wurden unter Flick gesteigert als auch die intensiven Läufe und Sprints. Das macht vor allem Bayerns Pressing deutlich effektiver.

Hier lässt sich aber auch eine Brücke zu den Defensivproblemen schlagen. Es ist unmöglich, das enorm laufintensive Spiel mit hohem Pressing über 90 Minuten durchzuziehen. Schalten die Münchner dann - zum Beispiel nach einer Führung - einen Gang runter, geht die Linie im Spiel verloren.

Bayern lassen mehr Torschüsse zu als in der letzten Saison

Genau das konnte man in den letzten Wochen beobachten. Es gelingt der Flick-Elf nicht konstant genug, das Spiel trotz verminderten Tempos zu kontrollieren oder im Verlauf der Partie wieder einen Gang hochzuschalten.

So kommt der Gegner plötzlich wieder ins Spiel. Schwächere zweite Halbzeiten wie gegen Köln, Leipzig oder Hoffenheim sind die Folge. Auch statistisch lässt sich dieser Trend bestätigen. Fast 10 Torschüsse lassen die Bayern im Schnitt pro Spiel zu. Viele davon in der zweiten Halbzeit. In der Vorsaison unter Kovac waren es nur 7,6.

Flick wäre gut beraten, genau das in den Trainingseinheiten unter der Woche zu thematisieren und die Abläufe im Ballbesitzspiel stärker zu automatisieren. Denn so lässt sich der Gegner mit einer Führung im Rücken auch in weniger laufintensiven Phasen leichter vom Ball fernhalten. Und wenn die Automatismen stimmen, macht es auch keinen grossen Unterschied, wer in der Viererkette aufläuft: Boateng, Hernandez, Alaba, Pavard oder Odriozola.

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