Bereits die Europameisterschaft wurde von Ausschreitungen überschattet. Nun auch das Pokalwochenende. Bestraft werden meist die Vereine. Die Täter kommen häufig davon. Ein Experte erklärt, warum die Problem-Fans kaum zur Rechenschaft gezogen werden.
47 Minuten lang war die Partie zwischen dem 1. FC Magdeburg und Eintracht Frankfurt ein relativ normales Pokalspiel. Dann zeigten gewaltbereite Zuschauer ihre hässliche Seite. Aus dem Gästeblock der Eintracht stiegen Rauchschwaden auf. Dann flogen Raketen. Eine landete im Familienblock der Magdeburger. Deren Hardcorefans wiederum liessen sich provozieren und stürmten den Innenraum. Das Spiel musste unterbrochen werden.
Jonas Gabler von der Kompetenztruppe "Fankulturen und Sport bezogene soziale Arbeit" (KoFaS) in Hannover beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Fanverhalten. Dass die Pyrotechnik vom Gästeblock aus gezündet wurde, ist für ihn ganz typisch: "Das ist eine symbolische Handlung für die Einnahme des gegnerischen Territoriums", sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion.
Die Täter wollen etwas Verbotenes machen und Radikalität transportieren. Ganz nach dem Motto: Wir sind nicht so, wie die Gesellschaft, der Verein und der Verband uns gerne hätten. Dass Pyrotechnik in Fankreisen akzeptiert ist, für viele sogar als Symbol der Fussballromantik gilt, kommt erschwerend hinzu.
Pyrotechnik kaum zu verhindern
Die Suche nach Zeugen gestaltet sich in der Fankurve schwierig. Gabler führt fort: "Im Fanblock ist die Akzeptanz für Pyrotechnik höher als in der breiten Gesellschaft. Zudem kennen sich die Menschen in der Fankurve häufig untereinander und wollen nicht die eigenen Freunde verpfeifen."
Auch die Kameraüberwachung im Stadion hilft wenig. Die Täter vermummen sich, ziehen Fahnen über den Block und wechseln ihre Kleidung. Theoretisch könnte die Polizei beim Abbrennen von Pyro in den Fanblock rennen und die Täter herausziehen. Doch davon ist sie abgekommen. "Im Zweifelsfall gibt es bei einer Stürmung des Fanblocks mehr Verletzte als wenn man das Feuerwerk einfach gewähren lässt", sagt Gabler.
Keine Zeugen, keine brauchbaren Kameraaufzeichnungen, keine Festnahmen auf frischer Tat. Meist kommen die Täter davon. Zahlen müssen stattdessen die Vereine. Der Kontrollausschuss des Deutschen Fussball-Bundes ermittelt nach den Vorfällen vom Wochenende gegen Eintracht Frankfurt und den 1. FC Magdeburg. Meist folgen Geldstrafen, eventuell auch Teilausschlüsse der Zuschauer.
Dabei können die Vereine kaum verhindern, dass Anhänger Pyrotechnik ins Stadion schmuggeln. Die Unterwäsche, notfalls sogar die Körperöffnungen, fungieren als Versteck. Carsten Klauer von der POWER Personen-Objekt-Werkschutz GMBH ist für die Stadionsicherheit beim Hamburger SV zuständig und sagte gegenüber unserer Redaktion: "Um alle Risiken auszuschliessen, wären Kontrollen wie am Flughafen notwendig. Aber das ist realistisch kaum umsetzbar."
Nur das Stadionverbot ist möglich
Ob es die Täter kratzt, wenn ihr millionenschwerer Verein einige tausend Euro Strafe zahlen muss, ist fraglich. Doch eine andere Bestrafungsmöglichkeit hat der DFB nicht, wie Gabler erklärt: "Verbände können nur ihre eigenen Mitglieder, also die Vereine, bestrafen. Natürlich ist das mit der Vorstellung verbunden, dass der Verein verstärkt Massnahmen ergreift, um das Problem in den Griff zu bekommen."
Vereine und Verbände können den Tätern ein Stadionverbot erteilen. Geldforderungen wären höchstens möglich, wenn sie durch die Tat bzw. der damit verbundenen Strafe selber finanzielle Nachteile hätten – zum Beispiel wegen eines Teilausschlusses der Fans. Allerdings sind auch solche Regressforderungen rechtlich umstritten.
"Unverhältnismässig, dafür Haftstrafen auszusprechen."
Ansonsten kann lediglich die Polizei Bestrafungen vornehmen. Doch fallen diese meist milde aus. Gabler bringt die Ausschreitungen in Magdeburg als Beispiel: "Es sieht dramatisch aus, wenn vermummte Magdeburger auf den Platz rennen und viel Aufregung herrscht. Aber ohne das jetzt bagatellisieren zu wollen: Passiert ist nicht viel. Es wäre unverhältnismässig, dafür Haftstrafen auszusprechen."
Die Bestrafung für das Abbrennen von Gegenständen ist oft lasch. Ist die Pyrotechnik vom Bundesamt für Materialprüfung zertifiziert, handelt es sich nur um eine Ordnungswidrigkeit. Das ist ungefähr so schlimm wie falsches parken.
Schlimmere Bestrafungen sind nur möglich, wenn Feuerwerkskörper auf andere Menschen geschossen wurden. Eine Klage wegen Körperverletzung oder versuchter Körperverletzung wäre dann möglich. Das ist in Magdeburg zwar der Fall gewesen. Doch wie soll man nachweisen, welcher Feuerwerkskörper von wem kam?
Grundsätzlich sind Pyrotechnik und Ausschreitungen im Stadion kein neues Phänomen. Sorgen macht Gabler allerdings, dass sich das Beschiessen von gegnerischen Fans mit Pyro zuletzt gehäuft hat. "Hier muss in Fankreisen eine Sensibilisierung stattfinden. Es ist nicht im Interesse der Fans, wenn man im Stadion um die Gesundheit fürchten muss."
Noch empfindet er die Stadionsicherheit in Deutschland als relativ gut: "Im europäischen oder ausser-europäischen Ausland sind die Probleme viel grösser. Dort gibt es regelmässig Schwerverletzte, manchmal sogar Tote. Das ist bei uns nicht der Fall. Die Menschen fühlen sich beim Fussball sicher."
Die Frage ist nur, wie lange noch.
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