Duisburgs Miray Cin erzählt im Interview über den Stand der Dinge beim MSV Duisburg, aber auch über die Situation bei der türkischen Nationalmannschaft.

Ein Interview

Fussball kann sich sehr unterschiedlich anfühlen, diese Erfahrung macht gerade Miray Cin. Die 22-jährige Mittelfeldspielerin steckt einerseits mit dem MSV Duisburg tief im Abstiegskampf, hat andererseits aber als Stammspielerin mit der Türkei eine sehr erfolgreiche Nations-League-Saison hinter sich und spielt jetzt die EM-Qualifikation.

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Gehofft wird auf die erste Teilnahme des Landes an einem grossen internationalen Turnier im Fussball der Frauen, in der Gruppe geht es unter anderem gegen die als Gastgeberinnen bereits qualifizierten Schweizerinnen. Miray Cin beschreibt im Interview den Stand der Dinge im türkischen Fussball der Frauen als aufstrebend. Sie selbst spielte in der Jugend erst in den U-Teams des DFB und ist jetzt sehr glücklich damit, für Nationaltrainerin Necla Güngör zu spielen.

Beim MSV ist die Lage dagegen sehr viel düsterer: Ohne einen einzigen Saisonsieg, mit zehn Punkten Rückstand auf einen Nicht-Abstiegsplatz und einem Restprogramm inklusive Bayern München und dem VfL Wolfsburg ist Duisburgs Abstieg schon so gut wie besiegelt. Im Gespräch erzählt Miray Cin, wie sie diese sehr unterschiedlichen Situationen miteinander vereinbart, wie sie im Ruhrgebiet durch ihre Familie mit Fussball aufgewachsen ist und warum sie findet, dass es einen weiteren Zwischenschritt für Jugendspielerinnen zur Bundesliga geben sollte.

Miray Cin, Sie kommen aus Bottrop, haben in der Jugend bei der SGS Essen gespielt sind jetzt seit zirka vier Jahren beim MSV Duisburg, im Ruhrgebiet also sehr verwurzelt. Wie sehr beschäftigt Sie die aktuelle sportliche Situation des MSV durch diese Nähe auch persönlich?

Miray Cin: Die Lage ist natürlich nicht toll, das ist auch für uns alle aus der Mannschaft sehr enttäuschend. In der Nähe meiner Heimat und Familie in der ersten Liga zu spielen, ist dagegen schön. Aber was die aktuelle sportliche Situation angeht, ist uns allen klar, dass es schwer ist, jetzt noch was zu reissen. Dafür müssen nicht nur wir 100 Prozent geben, sondern es gehört auch Pech bei den besten Mannschaften dazu, wenn wir gegen Bayern München und Wolfsburg spielen. Da sind wir realistisch. Aber wir wollen unbedingt in den letzten Spielen nochmal alles raushauen!

Was macht man als Team, um sich in so einer Situation auf so schwierige Spiele einzustimmen, wenn es um alles geht?

Man braucht für kein Spiel in der Bundesliga extra Motivation, es ist einfach cool in der Liga spielen zu dürfen. Aber wir haben noch keinen Sieg in der Bundesliga und auch wenn mental oder rundherum nicht alles perfekt ist, wollen wir das auf jeden Fall ändern, bevor die Saison zu Ende geht. Deswegen müssen wir alle noch mal alles geben, fürs Team, für den Verein. Damit wir nicht mit null Siegen aus der Saison gehen.

Abstiegskampf mit dem MSV Duisburg

Es gab über die Saison immer wieder Partien, bei denen man von aussen das Gefühl hatte, dass für Duisburg eigentlich mehr drin gewesen wäre. Was sind Ihrer Ansicht nach Gründe dafür, dass es am Ende nicht funktioniert hat? Was hätte anders laufen müssen, über die Saison gesehen?

Das sehen wir als Team genauso. Es ist natürlich nicht nur Glück oder Pech. Aber es gehört trotzdem im Fussball dazu. Zum Beispiel das Spiel in Leverkusen in der Hinrunde oder das Spiel vor zwei Wochen in Essen. Das war eine sehr gute Leistung von uns, aber wir haben einfach vorne die Tore nicht gemacht. Das war diese Saison zu oft so. Und wir hatten eben auch Pech. Jetzt am Wochenende gegen Leipzig hätte es auch anders ausgehen können, wenn der Elfer nicht gegeben worden wäre. Das sind Momente, in denen es für uns auf dem Feld noch mal eine Nummer härter ist, als wenn du schon 15 Punkte hast. Natürlich macht man dann im Spiel weiter alles für den Sieg, aber das waren Rückschläge, die wir diese Saison hatten.

Was würde es denn, falls es jetzt tatsächlich zum Abstieg käme, für den Verein und die Frauenabteilung speziell aus Ihrer Sicht bedeuten?

Das wissen wir persönlich noch nicht. Klar ist, dass der MSV in der 2. Bundesliga natürlich alles geben wird. Viele Verträge laufen aus, auch meiner. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Auf jeden Fall werden wir aber diese Saison wie gesagt noch mal alles geben. Was nächste Saison passieren wird, werden wir dann sehen.

Der türkische Fussball der Frauen ist im Aufwind

Jetzt ist es für Sie persönlich gerade eine Zeit der Gegensätze. Denn ausserhalb des Vereins sind Sie sehr erfolgreich mit der türkischen Nationalelf. Sie sind Stammspielerin, in der vergangenen Nations League Saison wurden alle Spiele ohne Gegentor gewonnen und somit gab es den Aufstieg von der C- in die B-League. Wie ist es für Sie, in zwei so unterschiedlichen Situationen zu stecken?

Für mich als Offensivspielerin ist es ein grosser Unterschied. Mit der Nationalmannschaft haben wir viel Ballbesitz und auch ich als Spielerin bin mehr am Ball. Ich kann also mein Spiel ganz anders einbringen. Hier beim MSV sind wir eher defensiv und kommen viel über den Kampf. Das heisst, ich muss mehr nach hinten arbeiten und wir kommen seltener nach vorne. Mir persönlich tut es sehr gut, wenn ich aus der Nationalmannschaft zwischendurch den Erfolg mitnehmen kann. Ich versuche den Schwung immer mit hierher und ins Team zu bringen

Die Nationalelf der Türkei wird jetzt schon seit längerer Zeit von Necla Güngör Kıragası geleitet. Wie würden Sie die Entwicklung der letzten Jahre beschreiben?

Ich selbst bin jetzt ungefähr zweieinhalb Jahre dabei, ich war vorher in den deutschen U-Teams. Necla Güngör hat mich dann in das Team der Türkei geholt. Wir hatten Telefonate und sie hat mich echt überzeugt. Sie macht das sehr gut. Wenn ich es mit früher vergleiche, da habe ich natürlich auch die türkische Nationalmannschaft mitverfolgt, als ich noch Jugend für Deutschland gespielt habe, weil ich mich eben für beide Länder hätte entscheiden können.

Früher war die Türkei nicht so erfolgreich. Das liegt auch an den Rahmenbedingungen, in den letzten zwei, drei Jahren hat sich alles tierisch entwickelt. Dabei spielt unsere Nationaltrainerin eine sehr grosse Rolle, weil sie sich sehr für den Frauenfussball einsetzt. Ich fühle mich immer super wohl bei ihr.

Es gab vor kurzem auch einen Publikumsrekord beim Spiel gegen Luxemburg. Das war die Partie, nach der für die Türkei rechnerisch feststand, dass es den Aufstieg in die B-League geben wird. Es waren rund 12.300 Leute im Stadion. Wie war das für Sie, das zu erleben?

Das war sehr schön! Durch den Erfolg bekommt man auch die Fans beisammen. Die Türkei steht dann hinter dir, sie akzeptieren den Frauenfussball, das sieht man ja an den Zuschauern. Die haben wir selbst hier in der Bundesliga nicht oft.

Wie sehen Sie denn aktuell die Liga in der Türkei? Es gab vor einer Weile einen neuen TV-Vertrag und schon etwas länger einen Namens-Sponsor für die Liga.

Genau. Es wird gerade viel in den Frauenfussball investiert und klar spielt Geld eine Rolle, auch was die Liga betrifft. Meine ganzen Freundinnen spielen dort, die ganze Nationalmannschaft quasi, bis auf zwei, drei Leute. Dass viel investiert wird, bekommt man schon mit. Wenn es Anfragen gibt, sind sie reizvoll, weil es hohe Summen sind. Und das schlägt natürlich dann auch international Wellen. Es dürfen acht Spielerinnen aus dem Ausland in jedem Team sein und es gehen gerade auch viele in die Liga. Sie bringen noch mal richtig Tempo rein. Das macht den Wettbewerb insgesamt attraktiver und auch erfolgreicher.

Fussballfamilie im Ruhrgebiet

In der EM-Qualifikation ist die Türkei in einer Gruppe mit den Schweizerinnen, die als Gastgeberinnen schon qualifiziert sind. Dazu Ungarn und Aserbaidschan. Wie sehen Sie die Gruppe und was ist aus Ihrer Sicht möglich für Ihr Nationalteam?

Das ist eine schwierige Gruppe, aber es hätte auch schlimmer sein können. Ich persönlich bin zufrieden. Die Schweiz ist der stärkste Gegner in der Gruppe. Aber wir sind nicht umsonst mit null Gegentoren und allen Siegen in diese Liga aufgestiegen. Wir sind sehr motiviert und freuen uns einfach sehr. Aserbaidschan ist ein Land, das wir sehr gut kennen, es gab auch schon mehrere Testspiele. Da sehe ich sehr gute Chancen. Ungarn habe ich tatsächlich selbst noch nicht spielen sehen oder viel gehört. Ist ja eigentlich auch nicht negativ. Deswegen wird es gegen die Schweiz am schwierigsten. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir es schaffen.

Sie haben in der Kindheit mit Ihren beiden Brüdern Fussball gespielt. Ausserdem war Ihr Vater eine Zeit lang Fussballtrainer. Wie war das für Sie?

Ich hatte nicht viel nachzudenken, würde ich sagen (lacht). Ich bin auf die Welt gekommen und quasi direkt auf dem Fussballplatz gross geworden. Mein Papa war ständig da, meine Brüder haben gespielt, meine Mama hat mich natürlich zum Spiel mitgenommen. Während meine Brüder ein Spiel hatten, habe ich mir dann immer den Ball genommen und habe selbst ein bisschen gespielt. So hat sich das dann entwickelt. Dann hat mich mein Papa irgendwann bei den Bambinis im selben Verein bei Rot-Weiss Westfalia Bottrop angemeldet. Das sind jetzt gerade die Rot-Weiss Welheimer Löwen Bottrop. Da habe ich jahrelang mit den Jungs gespielt und irgendwann kam dann die SGS Essen auf mich zu, dass sie mich gerne hätten. Essen ist ja quasi gleich hier nebenan. Das war bei einem Jungs-Turnier. Ich bin dann in Essen in die U15 der SGS gewechselt. Es kam also schon durch meine Brüder, alle beide. Sie haben mich am Anfang nicht oft mitspielen lassen (lacht), aber später haben sie es akzeptiert. Dann habe ich oft mit ihnen gespielt. Mein Papa hat uns ab und zu trainiert auf dem Bolzplatz.

Ist Ihre Familie bei wichtigen Spielen mit Duisburg oder für die Türkei dann auch manchmal im Stadion?

Ja, immer. Meine Familie kommt zu möglichst jedem Spiel. Vor allem zur Nationalmannschaft kommen alle, auch wenn es in der Türkei ist, dann fliegen sie auch zu den Spielen. Sie unterstützen mich zu 100 % und sind stolz, wie eigentlich jede Familie von Spielerinnen in der Bundesliga. Es ist schön bei ihnen in der Nähe zu spielen. So ist es für sie auch einfacher, mich zu verfolgen.

"Es sollte zusätzlich eine U19 geben"

Miray Cin

Nach der Jugendzeit in Essen waren Sie für zwei Jahre bei der Zweitvertretung des VfL Wolfsburg und gingen dann zum MSV Duisburg. Wie würden Sie diese Zeit im Rückblick beschreiben?

Damals war der Kader der SGS sehr stark mit Linda Dallmann, Lea Schüller und ich war eben eine junge Spielerin. Ich durfte schon mit 16 dort mittrainieren, wofür ich sehr dankbar bin. So konnte ich in die erste Liga reinschnuppern, auch wenn es nur im Training und ein paar Mal im Kader war.

Aber bei den Frauen gibt es leider keine U19. Der Schritt ist für mich gross gewesen, von der U17 in die 1. Bundesliga, mit Nationalspielerinnen als Konkurrenz. Dann habe ich das Angebot vom VfL bekommen, was quasi die U20 war und in der 2. Bundesliga. Das war für mich ein bisschen wie der Schritt bei den Jungs, wo es die A-Jugend als Übergang gibt. Bei einem grossen Club und mit super Bedingungen, auch mit der Schule, das hat alles gepasst. Es war ein sehr wichtiger und guter Schritt. Ich bin gewachsen, auch dadurch allein zu leben. Irgendwann kam das Gespräch mit Duisburg zustande. Ich dachte mir, dass ich langsam in Richtung erster Liga komme. Aber mit Wolfsburg durften wir ja nicht aufsteigen als Zweite. Deswegen habe ich den Schritt gewagt. Es war perfekt, dass es wieder zu Hause im Ruhrgebiet war. Das ist natürlich kein Muss, aber man ist ja gerne zu Hause. Deswegen habe ich auch zwei Jahre verlängert, nachdem wir 2022 wieder aufgestiegen sind mit MSV.

Sie sprechen die fehlende U19-Liga an. Jetzt ist es gerade so, dass zur kommenden Saison auch keine U17-Bundesliga mehr geben wird. Sie soll durch andere Wettbewerbe ersetzt werden. Was denken Sie darüber?

Ich habe es erst vor kurzem gehört. So richtig verstehe ich es nicht, aber ich weiss auch noch nicht, was es für andere Wettbewerbe geben soll. Ich habe mich noch nicht viel informiert. Aber ich finde es schwierig. Es ist gut, wenn mit Jungs gespielt wird. Es ist sogar besser, finde ich, aber das ist echt individuell. Ich versuche das jedem Mädchen mitzugeben, dass sie möglichst lange bei den Jungs bleiben soll, weil das Tempo höher ist. Aber was den Frauenfussball betrifft, ist die Mädchen-Bundesliga ja dann schon eine höhere Liga. Da bekommt man mehr über die Taktik mit und über den professionellen Verlauf, der in den Jahren wichtig wird, die Disziplin. Deswegen finde ich es schwierig, aber denke, es hätte bleiben sollen. Ich würde sogar sagen, es sollte zusätzlich eine U19 geben, weil das bei den Frauen fehlt.

Was sind denn Ihre persönlichen Ziele für die sportliche Entwicklung oder etwas, wo Sie mit ihrer Art Fussball zu spielen noch hinkommen möchten?

International spiele ich ja mittlerweile Gott sei Dank, das ist auch super gut und hohes Niveau. In den nächsten Jahren möchte ich in der Champions League spielen, das traue ich mir zu. Das ist natürlich ein sehr hohes Ziel in der aktuellen Situation, aber man macht das ja immer step by step. Diese Saison war es auf jeden Fall der Klassenerhalt.

Haben Sie sportliche Vorbilder?

Es gibt viele, die ich super finde. Thiago, Messi. Georgia Stanway. Das sind schon Spielerinnen und Spieler, deren Spiele ich mir sehr gerne angucke. Ich gucke mir jetzt nicht jeden Tag Videos an, aber es ist schon eine ehrliche Faszination.

Wenn es um die nächsten Wochen und Monate mit Duisburg geht, was wünschen Sie sich, auch für den Fall, dass der Klassenerhalt nicht geschafft wird?

Von meinem Team weiss ich, dass ich bekomme, was ich mir wünsche. Wir vertrauen uns alle gegenseitig. Wir wollen die Saison so gut wie möglich beenden, unabhängig vom Klassenerhalt. Wir wissen, dass wir noch gegen Bayern und Wolfsburg spielen. Aber wir wollen auf jeden Fall mindestens ein Spiel in dieser Saison gewinnen, auch für uns selbst. Auch wenn manche vielleicht schon mit uns abgeschlossen haben. Wir wollen uns auf dem Platz gut präsentieren. Wir haben ja noch ein paar Spiele und da werden wir alles raushauen. Wir haben nichts mehr zu verlieren.

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