Dietmar Hamann hat sich zu einem der meist zitierten und auch gefürchtetsten Fussball-Experten Deutschlands gemausert. Streit geht er nicht aus dem Weg - auch nicht mit seinem Ex-Klub Bayern München. Dafür hat Hamann eine einleuchtende Begründung.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Jörg Hausmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Dietmar Hamann wird dafür bezahlt, das Geschehen in der Bundesliga kritisch zu beäugen. Er hat den Schritt vom Nationalspieler zum TV-Experten gewagt und vollzogen. Hamann geht dabei mit niemandem zimperlich um. "Ich habe aus dem aktuellen Fussball mit niemandem Kontakt. Und ich will das auch nicht. Mal angenommen, ich gehe mit einem Trainer etwas essen, trinke zwei Gläser Wein, unterhalte mich nett, finde ihn sympathisch, und am nächsten Wochenende spielt seine Mannschaft nicht gut. Und in meinem Kopf habe ich: Der ist so nett, das kannst du jetzt nicht sagen. Diese Abhängigkeit würde mich daran hindern, meinen Job vernünftig zu machen." So schilderte Hamann im Gespräch mit seinem Sky-Kollegen Riccardo Basile im Dezember 2023, wie er es schafft, unabhängig und meinungsstark zu bleiben - ohne Angst, jemandem auf den Schlips zu treten.

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Trotzdem hat Hamann sich vor dem 20. Bundesliga-Spieltag entschuldigt. Er hatte gegenüber Bayern-Trainer Thomas Tuchel eine Grenze überschritten, wie der befand. Dies verdeutlichten Tuchel und dessen Arbeitgeber, indem sie in einem Statement betonten, "unsachliche Aussagen nicht mehr zu akzeptieren."

Der FC Bayern München wehrt sich gegen Dietmar Hamanns Kritik an Thomas Tuchel

Hamanns Name fiel nicht. Aber es war jedem Beobachter klar, an wen sich - aufgrund des aktuellen Anlasses - die Worte der Bayern-Führung richteten. Manchem erschienen die Aufmerksamkeit und die Mühe, die der Verein der Meinung seines Ex-Spielers widmete, übertrieben. Schliesslich ist der FC Bayern seit Jahrzehnten daran gewöhnt, nicht nur von unzähligen Neidern seines Erfolgs attackiert zu werden, sondern jeden Tag aufs Neue im Scheinwerferlicht zahlreicher Medien zu stehen.

Diese Kritik auszuhalten, gehört zu einer der vordringlichsten Aufgaben aller, die beim und für den deutschen Rekordmeister arbeiten. Hamann kennt den Klub in- und auswendig. Und obwohl er in einem grossen Stück des Magazins "Der Spiegel" damit zitiert wird, "unheimlich dankbar" zu sein "für die Chance, die ich bei den Bayern bekommen habe", bewerte er sie "wie jeden anderen Verein. Das muss ich. Ich schulde den Bayern nichts, und die Bayern schulden mir nichts."

Sky-Experte Dietmar Hamann vor dem Bundesliga-Eröffnungsspiel zwischen Bremen und dem FC Bayern
Als TV-Experte bei Sky gehört Dietmar Hamann nicht nur zu den angesehensten Erklärern des Fussballs, sondern auch zu den gefürchtetsten. (Archivbild) © picture alliance/dpa/Revierfoto/Revierfoto

Dietmar Hamann räumt eine Fehlinterpretation ein

Im vorliegenden Fall aber gelangte Hamann offensichtlich zu der Erkenntnis, den Bayern eine Entschuldigung zu schulden. Er habe "die Aussage von Thomas Tuchel nicht richtig wiedergegeben bzw. falsch interpretiert." Nach der Meldung vom Rücktritt von Xavi beim FC Barcelona und der derzeitigen Situation beim FC Bayern hatte Hamann Tuchels Aussagen bei einem Fanklub-Besuch in Heidenheim harsch kritisiert und als "Frechheit" bezeichnet.

Tuchel hatte gesagt: "Das Ausland wird mich auf jeden Fall nochmal reizen, also ganz allgemein." Die Liga in Spanien finde er "aussergewöhnlich", weil sie "von wahnsinnigem Selbstvertrauen geprägt" sei. "Wenn man mit spanischen Spielern spricht, hast du das Gefühl, dass du ganz schnell mit den Menschen sprichst und da keine Floskeln dazwischenstehen und keine unsichtbare Wand."

"Ich nehme Dietmar Hamann seine Entschuldigung nicht ab."

Thomas Tuchel

Trotz Hamanns Zurückrudern zeigte sich Tuchel nach dem 3:1 daheim über Borussia Mönchengladbach unversöhnlich. "Ich nehme Dietmar Hamann seine Entschuldigung nicht ab. Die Dinge, die passiert sind, sind völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Die sind bewusst gesagt", liess er im Interview mit Sport1 einen Blick in sein Seelenleben zu. "Es sind bewusst Aussagen getroffen, die nicht wahr sind. Ich war bei dem Fantreffen. Wir waren alle schockiert, was er daraus gemacht hat. Deshalb ist doch völlig egal, ob er sich entschuldigt. Ich nehme es ihm nicht ab." Deshalb sei für Tuchel Hamanns Entschuldigung "auch nicht massgeblich."

Thomas Tuchel
Der Zoff zwischen Sky-Experte Didi Hamann und Bayern-Trainer Thomas Tuchel geht weiter. © dpa / Sven Hoppe/dpa

Lob würde sich weniger gut verkaufen als Kritik

Dies wiederum wird Hamann verkraften. Seit 2017 ist er dauerhaft als Experte in den Bundesliga-Talkshows bei Sky präsent, im ersten Jahr bei "Wontorra", seitdem bei "Sky90". Hamann weiss, dass sich Kritik immer besser verkauft als Lob. Aus seinem eigenen Herkommen erklärt sich das ein wenig. Bei Wacker München trainierte er unter seinem Vater. Aus dieser Zeit weiss Hamann: "Kritik treibt an, Lob kann träge machen."

So hat er sich als Experte dorthin entwickelt, den Finger in Wunden zu legen, auch auf die Gefahr hin, die Wunde mit seinen Aussagen erst zu schaffen oder neu aufzureissen. Hamanns Urteile sind ebenso scharf wie präzise und - für einen früheren Topspieler, dessen Worte heute von mindestens der halben Fussballnation registriert werden - von keinem Selbstzweifel eingetrübt. Wenngleich es diese Entschuldigung an den FC Bayern gibt. Die aber kann ihm im Zweifel auch als Grösse angerechnet werden, sich in seiner exponierten Position doch nicht für unfehlbar zu halten.

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Auf der britischen Insel wird sachliche Kritik auch so verstanden

Eventuell versucht Hamann auch nur, Trainern wie Tuchel oder Vereinen wie dem FC Bayern den Spiegel vorzuhalten und sie, soweit möglich, umzuerziehen. "Die Briten sind deutlich rustikaler als die Deutschen", hat Hamann aus seinen Jahren in England, wo ja auch Tuchel mit dem FC Chelsea erfolgreich gearbeitet hat, mitgenommen. Die Briten, so führte Hamann weiter aus, "fühlen sich nicht so schnell angegriffen. In Deutschland wird Kritik sehr schnell persönlich genommen."

Thomas Tuchel

Zoff zwischen Tuchel und Hamann geht weiter: "Nehme ihm das nicht ab"

Die Spannungen zwischen Bayern-Trainer Thomas Tuchel und Sky-Experte Didi Hamann nehmen kein Ende. Hamann entschuldigt sich für missverstandene Aussagen, doch Tuchel bleibt hart und lehnt die Entschuldigung ab. (Photocredit: picture alliance/Ulrich Wagner)

Als Hamann sich im Herbst 2022 mit Jürgen Klopp anlegte, einem Deutschen, der - wie Hamann selbst - für den FC Liverpool arbeitete, betonte der Sky-Experte: "Mir geht es um die Sache: Dass es in Liverpool im Moment Probleme gibt, das ist offensichtlich. Er sieht das möglicherweise anders, und wenn er der Meinung ist, dass ich einen Unsinn erzähle, dann soll er das sagen. Ich habe damit überhaupt kein Problem. Andere Meinungen muss man respektieren."

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Dietmar Hamann verschont niemanden

Die Liste derer, die Hamanns gepfefferte Meinung in den letzten Jahren haben akzeptieren müssen, ist lang: Sie reicht von David Alaba über Manuel Neuer, Hansi Flick, Julian Nagelsmann, Pep Guardiola, Klopp und Marcel Sabitzer eben aktuell bis zu Tuchel.

Hamann, dem dessen Sky-Kollege Michael Leopold attestiert, akribisch zu arbeiten und "nichts dem Zufall" zu überlassen, habe "seinen eigenen Kopf. Er sagt, was er denkt. Und er ist immer offen für Widerspruch." Er ist aber auch vom Fussball- zum Medien-Profi gereift. Hamann weiss, was sich verkauft und Schlagzeilen produziert. Dies im Blick zu haben, verlangt auch Sky als sein Arbeitgeber von Hamann. Beide bleiben so im Gespräch.

Dietmar Hamann hat sich das nötige dicke Fell zugelegt

Trotzdem achtet Hamann darauf, sich treu zu sein und authentisch. Er verbiegt sich nicht. Gegen die Kritik, die ihm seine unangepassten Äusserungen über den FC Bayern und andere Fixpunkte des Fussball-Business auch in den sozialen Medien einbringen, schützt ein dickes Fell. "Dieses Bild vom dauernörgelnden Didi", wirft Leopold ein, "das ist völliger Quatsch." Zu nörgeln aber hebt die Quote.

Als die Bayern Gladbach am 20. Bundesliga-Spieltag mit 3:1 besiegt hatten, machte Hamann das, was ihn beim FC Bayern so unbeliebt macht - er pickte sich das Negative an dem Heimsieg heraus, allerdings in sachlicher Form. "Wie so oft in dieser Saison haben die Bayern nicht gut gespielt, aber gewonnen. Es war sehr viel Leerlauf, sehr viel Stückwerk und wenig Spielfluss."

Verwendete Quellen:

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