Nach dem dogmatischen Pep Guardiola erwartet der FC Bayern im Sommer den Pragmatiker Carlo Ancelotti als neuen Trainer. Dessen Strahlkraft kann die grossen Stars anlocken. Die Bayern sollten davor aber endlich ein hausgemachtes Problem in den Griff bekommen.

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Der eine niedliche Spitzname geht, der andere kommt. Josep Guardiola wurde in seiner Zeit in München so oft wie niemand zuvor in der Bundesliga nur bei der Kurzform seines Vornamens gerufen. Ganz so, als wäre Pep sein Nachname.

Der Mann heisst eigentlich Josep Guardiola, vermutlich haben einige das längst vergessen. Pep ist kurz und prägnant und nach zweieinhalb Jahren beim FC Bayern lässt sich sagen, dass es sich auch sehr trefflich als Kurzbeschreibung einer Epoche zitieren lässt.

Ab Sommer darf sich nun Carlo Ancelotti am deutschen Rekordmeister versuchen. "Carletto" haben sie ihn als Spieler gerufen. Nach mehr als einem halben Dutzend grosser Titel als Trainer firmierte er bei den Tifosi nur noch unter "Grande Carlo", Karl der Grosse.

Nach den Jahren unter Guardiola, der die Bayern mit seiner Fussballidee und seinen unübertroffenen Künsten in der Vermittlung eben dieser auf ein völlig neues Niveau hievte, erwartet die Münchner ab dem Sommer eine neue Ära.

Ziemlich sicher dürfen dabei auch neue Spieler mithelfen, den Guardiola-Fussball in grossen Stücken in die Zukunft zu retten und gleichzeitig jenen Esprit des neuen Trainers einfliessen zu lassen, für den Ancelotti bekannt und geschätzt wird.

Kein Umbruch zu erwarten

"Carlo ist ein ruhiger, ausgeglichener Fachmann, der mit Stars umgehen kann und einen variantenreichen Fussball spielen lässt - das haben wir gesucht, das haben wir gefunden", erklärte Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge die Entscheidung für den Mann aus der Emilia-Romagna.

Rummenigges Worte lassen Raum für ein wenig Spekulationen und wer es nicht so sehr mit Guardiolas Art hält, der wird sich sofort auf die Begriffe "Stars" und "variantenreich" stürzen. Die Bayern werden sich auf alle Fälle verändern. Wenn nicht besonders nachhaltig im kommenden Sommer, dann ganz bestimmt im Jahr darauf.

Nach dieser Saison läuft kein einziger der wichtigen Verträge aus, 2017 werden es dann die Arbeitspapiere von Arjen Robben, Franck Ribéry und Xabi Alonso sein. Robben wird dann 33, Ribéry 34 und Alonso 35 Jahre alt sein. Erst dann ist ein Umbruch zu erwarten. In sieben Monaten, wenn Ancelotti seinen Dienst an der Säbener Strasse antreten wird, dürften die Bayern in ihrer derzeitigen Komposition noch zusammengeblieben sein.

Michael Reschke als zentrale Figur

Was im Umkehrschluss aber nicht heisst, dass die Bayern nun getrost die Füsse hochlegen dürfen. Im Hintergrund werkelt Michael Reschke längst an neuen Konzepten und Ideen. Bayerns Kaderplaner arbeitet versteckt hinter den bekannten Grössen dieses Klubs an vielleicht smarten, vielleicht auch ganz grossen Lösungen.

Reschke ist noch nicht so lange im Verein und einige der Transfers der vergangenen beiden Jahre hätten die Bayern ganz sicher auch ohne sein Zutun getätigt. Der Klub stand immer im Verdacht der Hispanisierung, dass er sich von Guardiola dessen Wunschspieler habe aufschwatzen lassen. Ganz von der Hand zu weisen ist der Vorwurf nicht, zumal auch beinahe das komplette Trainerteam aus Spaniern besteht.

Ancelotti hat indes kein echtes Beuteschema entwickelt, auf das seine Transfers begrenzt werden könnten. In den fünf Stationen seiner Tätigkeit zuvor bei europäischen Spitzenklubs hat Ancelotti gut gemischt eingekauft. Er hat einige Spieler entdeckt oder aus der Versenkung geholt, wie Andrea Pirlo oder Filippo Inzaghi seinerzeit bei beim AC Mailand.

Stars folgen Carlo Ancelottis Ruf

Er hat sich auf einen neuen Typus des mitspielenden Torhüters eingelassen, als er Edwin van der Sar Ende der 90er-Jahre zu Juventus geholt und damit einen Trend im Weltfussball losgetreten hat. Er durfte gross shoppen gehen beim FC Chelsea, als er Fernando Torres für die damalige britische Rekordsumme von 65 Millionen Euro aus Liverpool holte. Danach bekam er Stars wie Zlatan Ibrahimovic und David Beckham bei Paris Saint-Germain oder Gareth Bale bei Real Madrid auf den Hof gestellt.

Einen echten Bedarf auf einer bestimmten Position haben die Bayern in naher Zukunft nicht. Dafür hat Guardiola das Feld nahezu perfekt bestellt. Gerade im Herzstück seiner Spielidee, dem Mittelfeld, hat der Katalane in München ganze Arbeit geleistet. Sechs zentrale Mittelfeldspieler hat Guardiola in drei Sommerpausen geholt, kein anderer Mannschaftsteil hat so viele Umbaumassnahmen erfahren.

Kleinere Debatten ranken sich allerdings immer wieder um Robert Lewandowski. Der ist in seiner Art des Fussballs als mitspielender Stürmer zwar fast unerreicht, auf der anderen Seite aber auch einer, der in einem wirklich entscheidenden Spiel eine erste Grosschance liegen lässt - und dann keine zweite mehr bekommt. Einen "Killer" wie Luis Suarez haben die Bayern nicht.

Und sie haben - erstaunlich genug bei dieser Ansammlung an überragenden Spielern - keinen echten Welt-Star der 1A-Kategorie. Sind die Bayern zu einer Art Magnet geworden für die besten Trainer der Welt, so hinken sie in dieser Kategorie immer noch hinterher. Ob gewollt oder nicht.

Die vielen Verletzten sind ein Problem

Ancelotti hat gezeigt, dass er genügend Strahlkraft besitzt, um diese Spieler anzulocken. Guardiola hatte diese sicherlich auch, hatte im Umgang mit schwierigen Charakteren aber immer auch so seine Probleme, siehe Ronaldinho, Samuel Eto'o oder Ibrahimovic in seiner Barca-Zeit. Ancelotti scheint da weniger dogmatisch, eher wie einer, der Strömungen zulassen kann, sofern das Gefüge nicht gesprengt und die Disziplin gewahrt bleibt.

"Er kann die Erfolgsbedingungen am besten mixen, die taktische Idee und das Menschliche", sagte jüngst Toni Kroos in einem Interview mit der "Zeit". "Als er ging, waren alle traurig. Auch die, die nicht spielten und Grund gehabt hätten, ihn zu kritisieren."

Eine Eigenheit sollten die Bayern allerdings ganz schnell in Angriff nehmen. 828 Tage haben Bayern-Spieler in der Hinrunde ihrem Klub verletzungsbedingt gefehlt, das macht bei einer Kaderstärke von 27 Spielern im Schnitt mehr als 30 Tage pro Spieler, also ein ganzer Monat. Bei gerade einmal fünf Monaten Spielzeit ist das exorbitant viel, gerade für einen Klub wie den FC Bayern, der sich die beste medizinische Versorgung der gesamten Liga leisten kann.

Auch das muss zum Bestandteil aller Überlegungen werden: Warum immer wieder (die gleichen) Spieler ausfallen und welche Auswirkungen das auf die anstehenden Transfers hat. Pep hat damit seine Schwierigkeiten gehabt. Für Carletto dürfte das einer der wenigen konkreten Ansatzpunkte sein.

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