Nach Uli Hoeness wird sich auch Karl-Heinz Rummenigge aus der Chefetage des FC Bayern verabschieden. Kurz vor seinem 65. Geburtstag spricht er über seinen Nachfolger, die Auswirkungen der Coronakrise, Triple-Trainer Hansi Flick und mehr.
Karl-Heinz Rummenigge biegt als Chef des FC Bayern auf die persönliche Zielgerade ein. Am Freitag, einen Tag nach dem Spiel um den europäischen Supercup gegen den FC Sevilla, feiert der Vorstandsvorsitzende des deutschen Rekordmeisters seinen 65. Geburtstag.
Mit 66 Jahren will er "den Staffelstab" an Ex-Nationaltorhüter
Herr Rummenigge, welche Bedeutung hat die Zahl 65 für Sie?
Karl-Heinz Rummenigge: Früher ist man mit 65 in Rente gegangen. Jetzt wird man einfach ein Jahr älter. Ich mache kein grosses Aufheben um diesen Geburtstag.
Ich werde keine grosse Party feiern. Wenn wir aus Budapest zurückkommen - idealerweise mit dem Pokal - feiere ich am Abend im Kreis meiner Familie. So habe ich das auch zum 60. gemacht.
Da bin ich mit der ganzen Familie nach Italien geflogen. Wir haben dort ein schönes verlängertes Wochenende verbracht. Das war wunderbar. Die Familie ist meiner Frau und mir heilig und sehr wichtig.
In einem Jahr, mit dann 66 Jahren, wollen Sie als Bayern-Chef abtreten. Was steht auf Ihrer Agenda für die letzten 15 Monate?
Insbesondere drei Dinge. Erstens, dass wir sportlich in der Spur bleiben. Das sind wir seit acht Jahren. Mit dem Triple haben wir gerade etwas Ausserordentliches erreicht. Jetzt gilt es, diesen grossen Erfolg so zu konservieren, damit es auch im Jahr 2021 wieder etwas zu feiern gibt.
Das zweite grosse Ziel betrifft Corona und die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie: Auch der FC Bayern steht vor einem finanziell herausfordernden Jahr. Diese Situation müssen wir managen, um wie in der zurückliegenden Saison finanziell mit einem blauen Auge davonzukommen.
Blaues Auge heisst?
Wir haben durch die Spiele ohne Zuschauer im Ticketing, im Sponsoring und im Bereich Merchandising Mindereinnahmen im zweistelligen Millionenbereich gehabt. Das gilt analog für alle Profivereine.
Borussia Dortmund hat etwa ein Minus von 43 Millionen Euro vermeldet. Aber noch grösser als in der zurückliegenden Spielzeit werden die Schmerzen für den gesamten Fussball in Europa in der kommenden Saison, egal ob die Vereine nun Bayern München, Real Madrid, Mainz 05 oder Eintracht Frankfurt heissen. Es wird alle finanziell hart treffen.
Und wie lautet der dritte wichtige Punkt auf der Agenda?
Ein grosses persönliches Anliegen ist mir das weitere Einarbeiten von Oliver Kahn. Wenn ich Ende 2021 den Staffelstab an ihn übergebe, muss das nahtlos geschehen.
Es ist wichtig, dass er seine Ideen mit meinen Erfahrungen, die ich dann 20 Jahre als Vorstandsvorsitzender sammeln durfte, verquickt, und er dann so fit ist, dass Bayern München weiter so erfolgreich in der Spur bleibt, wie ich das glücklicherweise in meiner ganzen Ära erleben durfte.
Könnte gerade wegen der Coronakrise für Sie eine Situation eintreten, in der Sie Ihre Rückzugspläne überdenken oder aufschieben würden?
Nein! Wenn die Sonne scheint, ist mein Job angenehm, sympathisch und macht Spass. Managementqualitäten muss man dann zeigen, wenn Krisen kommen.
Wir sind hier im Vorstand ein eingespieltes Team, packen gemeinsam an und werden auch in dieser Saison hoffentlich mit einem blauen Auge aus der Coronakrise herauskommen.
Also bleibt der 31. Dezember 2021 die Deadline?
Ja. Es gibt kein anderes Szenarium, das ich im Hinterkopf habe, übrigens auch nicht, um meine Tätigkeit vorher zu beenden.
Ein FC Bayern ohne Uli Hoeness und Karl-Heinz Rummenigge schien noch vor kurzem kaum vorstellbar. Hoeness hat sich vor zehn Monaten aus der ersten Reihe zurückgezogen. Sie machen das demnächst. Könnte die Zäsur doch erstaunlich geräuschlos erfolgen?
Es muss doch das Ziel eines Klubs wie Bayern München sein, dass auch das, was nachfolgt, von der Qualität her hoch angesiedelt ist. Ich denke, das Duo Herbert Hainer als Präsident und Nachfolger von
Da habe ich überhaupt keine Sorgen. Ausserdem gehöre ich nicht zu den Menschen, die sich für unersetzlich halten.
Können Sie wirklich so einfach loslassen?
Dazu erzähle ich Ihnen folgende Geschichte: Ich habe hier 1977 miterlebt, wie
Es gab auch einige Monate lang Irritationen, aber danach ging es doch weiter. Was sagt uns das? Wenn Bayern München einen Franz Beckenbauer ersetzen kann, kann dieser Klub alles.
Ich habe vor ein paar Jahren auch in der europäischen Club-Vereinigung ECA den Vorsitz niedergelegt. Auch da habe ich gemerkt, dass man nach zehn Jahren mal loslassen und einem Jüngeren das Vertrauen geben muss.
Aber ist das mit dem Aufhören beim FC Bayern vergleichbar?
Natürlich sind die Emotionen bei Bayern München grösser. Ich bin hier praktisch seit meinem 18. Lebensjahr. 1991 kam ich als Vizepräsident zurück in den Klub. Und wenn ich aufhöre, war ich 20 Jahre Vorstandsvorsitzender.
Was mir abgehen wird, ist die innere Nervosität im Stadion bei den Spielen. Ich wusste immer, gewinnen wir, haben wir ein tolles Wochenende. Verlieren wir, wird es unruhig.
Dann muss im nächsten Spiel alles mit dem Trainer und der Mannschaft neu gerichtet werden. Aber es ist Teil des Lebens, dass man irgendwann loslassen muss und den Nachfolgern Vertrauen schenkt.
Wie sehr erleichtert das aktuelle sportliche Hoch den Umbruch auf der Führungsebene? Und welchen Anteil hat damit Hansi Flick, der Baumeister des Triples 2020?
Das Management muss die Voraussetzungen schaffen, dass man Erfolg haben kann. Und die Mannschaft muss mit dem Trainer versuchen, mit diesen Voraussetzungen einen erfolgreichen Fussball zu spielen.
Als
Wie hat er den FC Bayern zur Nummer eins in Europa gemacht?
Hansi macht den Job, als wenn er ihn als Cheftrainer schon seit Jahrzehnten machen würde, mit seiner Erfahrung, seiner Taktik, der Trainingsführung und besonders seiner Empathie. Diese strahlt zum Glück nach innen und auch nach aussen ab.
Wir müssen ihn jetzt gut begleiten, um das aufrechtzuerhalten. Hansi ist es gelungen, die Spielkultur FC Bayern wieder einzuführen, die wir früher unter Pep Guardiola, Jupp Heynckes und auch Louis van Gaal geniessen durften. Ich habe es noch nicht erlebt, dass wirklich alle Spieler so hinter einer Philosophie standen.
Es ist eine grosse Leistung, dass Hansi den Charakter der Mannschaft nachhaltig positiv beeinflusst hat. Es gilt bei uns der alte Herberger-Satz: Einer für alle, alle für einen.
Oliver Kahn hatten Sie schon angesprochen. Er gehört jetzt seit einem Dreivierteljahr dem Vorstand an. Wie erleben Sie ihn?
Ich erlebe ihn als einen qualitativ sehr guten und loyalen Kollegen, die Zusammenarbeit ist sehr harmonisch. Das empfinden übrigens alle hier auf der Vorstandsetage so.
Kann er auch Vorstandsvorsitzender?
Ja. Er hat zwei gute Voraussetzungen. Er hat eine Fussball-Karriere hingelegt, die Eins plus war. Und es sollte ja einer mein Nachfolger werden, der Fussball-Know-how besitzt. Das hat Oliver.
Zudem hat er sich nach seiner aktiven Karriere weitere wichtige Dinge, wichtiges Wissen angeeignet. Denn Fussball hat heutzutage sehr viel mit Finanzen, Marketing und Netzwerk zu tun. Ich habe keine Bedenken, dass er ein guter Vorstandsvorsitzender wird.
Oliver Kahn möchte, wie zu hören ist, eine neue Strategie entwickeln. In welche Richtung soll diese gehen?
Sie wird innovativ der neuen Welt des Fussballs Rechnung tragen. Wir befinden uns im Zeitalter der Digitalisierung. Wir müssen uns als FC Bayern dieser Welt da draussen, die sich so rasant verändert wie nie zuvor, stellen.
Die Welt wird sich nicht verändern, weil der FC Bayern sie verändern will. Wir müssen uns dieser Welt anpassen. Und ich glaube auch, dass die nächsten Jahre, selbst für den FC Bayern, auch eine finanzielle Herausforderung mit sich bringen werden.
Sie sind seit der Umwandlung des FC Bayern in eine AG vor bald 20 Jahren Vorstandschef. Wie hat sich der Verein seitdem verändert?
Wir dürfen mit der Entwicklung der FC Bayern München AG sehr zufrieden sein. Sie ist damals gegründet worden, um unser wunderbares Stadion errichten zu können.
Die finanziellen Verhältnisse waren bei uns vor 20 Jahren nicht so rosig, wie sie zumindest noch vor der Coronakrise waren. Die Allianz Arena ist der Schlüssel für alles, was wir heute darstellen. Sie war eine goldrichtige Entscheidung.
Ich hoffe, dass ich als Vorstandsvorsitzender insgesamt mehr gute als schlechte Entscheidungen in den vielen Jahren getroffen habe. Ich klopfe mir nicht so gerne auf die eigene Schulter.
Im Wirtschaftsleben ist der CEO eines Unternehmens meist Spitzenverdiener. Wie sieht das im Profifussball aus? An welcher Position kommt der Vorstandschef im Gefüge des FC Bayern mit hochbezahlten Stars wie Robert Lewandowski oder Manuel Neuer?
Ich würde sagen, der Fussball ist vergleichbar mit dem Filmgeschäft in Hollywood. Da ist der Studiochef auch nicht der Bestbezahlte, sondern die Schauspieler und Schauspielerinnen.
Die Protagonisten stehen bei uns unten auf dem Rasen. Ich bin im Übrigen immer sehr zufriedenstellend bezahlt worden bei Bayern München. Ich mag es aber nicht, über Geld zu sprechen. Ich habe das grosse Glück, seit meinem 18. Lebensjahr durch den Fussball doch ein privilegiertes Leben führen zu dürfen.
Was kommt nach dem 31. Dezember 2021? Werden Sie weiterhin wöchentlich auf der Tribüne sitzen? Welche Bayern-Zukunft planen Sie für sich?
Ich habe nicht vor, irgendeinem Gremium anzugehören. Ich habe noch keinen konkreten Plan, was ich am 1. Januar 2022 machen werde.
Aber ich habe auch keine Angst davor. Es wird mir hoffentlich nicht langweilig werden. Ich habe eine grosse Familie.
Als Spieler war ich Knecht des Terminplans. Ich werde sicherlich in einer gewissen Regelmässigkeit Spiele anschauen, denn die Stadionkultur, die uns gerade ohne Zuschauer so sehr abgeht, habe ich immer genossen.
Werden Sie die Spiele dann entspannter verfolgen können, weil Sie nicht mehr über Konsequenzen nach Misserfolgen nachdenken müssen, etwa eine mögliche Trainerentlassung?
Ich werde die Perspektive des Fans einnehmen. Und klar, wir hatten hier auch mal ein Jahr, in dem wir etwas säuerlich am Tisch sassen.
Aber wir sind beim FC Bayern doch seit 50 Jahren von der Muse des Erfolges geküsst. Es gibt in Europa vielleicht noch Real Madrid, vielleicht noch den FC Barcelona, die das in dieser Qualität erlebt haben.
Könnten Sie neue Aufgabenfelder abseits des FC Bayern reizen? Ein Posten im Deutschen Fussball-Bund? Bei der Deutschen Fussball Liga? Oder noch einmal international?
Ich habe immer gewusst, was ich kann und was ich nicht kann. Ich bin völlig ungeeignet für ein Amt in einem Verband. Ich brauche das Spiel, weil das immer der Mittelpunkt meines Schaffens war.
Mir war bei Bayern München immer wichtig, dass der Fussball die Priorität Nummer eins hat und dazu die Finanzen seriös und solide sind. Das haben wir in meinen 19 Vorstandsjahren immer geschafft.
Der Fussball muss im Mittelpunkt stehen, das ist der grosse Unterschied zu vielen Klubs in Europa. Wenn der Fussball gut ist, kommen die Finanzen mit einem gewissen Automatismus.
Wie sehr haben Sie die Jahre in Italien geprägt, als Sie für Inter Mailand spielten?
Sie haben eine grosse Veränderung in mir bewirkt. Ich bin unbefangen nach Italien gegangen und kam als veränderter Mensch zurück. Meine Lebenseinstellung hat sich verändert.
Die Italiener leben im Hier und Heute, geniessen den Tag und leben nicht immer nur für das Morgen. Das Essen, die Kultur, das Klima, die Menschen - Italien hat vieles zu bieten.
Das Beste wäre ein Mix aus Italien und Deutschland. Wenn man die angenehmen Seiten von beiden Ländern und Kulturen mischen könnte, käme wahrscheinlich etwas Ähnliches wie ein Paradies heraus.
(msc/dpa)
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