• Erst die Kontertaktik, nun das Abwehrbollwerk: Der FC Bayern siegt in Leipzig dank einer stabilen Defensive und guten Personalentscheidungen von Trainer Hansi Flick.
  • Leipzig scheitert an einem bekannten Problem - und der falschen Haltung zu diesem Spitzenspiel?
Eine Analyse

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Es ist ja schon ein kleiner Treppenwitz, dass sich der FC Bayern München im wohl vorentscheidenden Spiel um die deutsche Meisterschaft plötzlich auf das verlassen konnte, was über den Grossteil der bisherigen Saison allenfalls leidlich funktioniert hatte. Der Rekordmeister schleifte monatelang ein ausgewachsenes Defensivproblem mit sich herum, das sich partout nicht abstellen liess.

35 Gegentore nach 26 Spielen waren der eindeutige Beleg für diese markante Schwäche. Von den Top Vier hatte nur Eintracht Frankfurt mehr Gegentreffer kassiert, Manuel Neuer vor dem Topspiel bei RB Leipzig erst sechsmal überhaupt zu Null gespielt.

Trainer Hansi Flick hatte in den letzten Partien das Pressing seiner Mannschaft und ihre Restverteidigung anders angeordnet, die Bayern sind seitdem längst nicht mehr so anfällig für Konterattacken des Gegners. Gegen Leipzig war allerdings noch ein bisschen mehr gefordert als eine vernünftige Konterabsicherung. Es stand zu vermuten, dass die Bayern nicht auf die im Schnitt üblichen 60 Prozent Ballbesitz und damit die ganz grosse Spielkontrolle kommen würden. Also bediente sich Flick - auch mangels echter Alternativen - eines sehr konservativen Kniffs, um angriffslustige Leipziger in Schach zu halten.

Vier gelernte Innenverteidiger stoppen RB

Auf den Ausfall des gesperrten Alphonso Davies reagierte Flick mit der Aufstellung von Lucas Hernandez auf der linken Abwehrseite. Und weil auf der gegenüberliegenden Seite mit Benjamin Pavard auch ein gelernter Zentrumsspieler aufpasste und mit David Alaba und Niklas Süle selbstredend zwei Abwehrkanten in der Mitte verteidigten, hatten die Bayern in der kompletten letzten Linie vier gelernte Innenverteidiger nebeneinander aufgereiht. Eine Konstellation, die sich in den vielen direkten Duellen gegen Leipzigs Flügelspieler als besonders kostbar erweisen sollte und im Zentrum zunächst gegen kleine, wendige Halbstürmer und später gegen echte Brecher als robuster Schutzwall.

Zwei Drittel der Partie in Leipzig mussten die Bayern viel hinterherrennen, den Ball und den Gegner jagen, leiden. Das ist für diese Mannschaft eine eher ungewohnte Situation, mit der die Bayern aber wie schon beim letzten Spiel gegen Stuttgart fast perfekt umzugehen wussten. Gegen den VfB spielten die Münchener rund 80 Minuten in Unterzahl und erfanden sich kurzerhand als formidable Kontermannschaft. In 15 Minuten schraubten zehn Bayern damals den Gegner auseinander.

Gegen Leipzig reichten eine starke Phase vor der Pause, eine beängstigende Effizienz vor dem gegnerischen Tor und schon erwähnte Widerstandsfähigkeit im Defensivverbund.

Neue Rezepte für die Königsklasse?

Damit zeigten die Bayern nicht nur, dass sie wandelbar sind und vorzüglich improvisieren können, sondern legen sich nach und nach auch die Puzzleteile zusammen, die sie für den Rest der Saison im anderen noch wichtigen Wettbewerb gebrauchen könnten.

Auch die Titel in der Champions League und bei der Klub-WM fuhr die Mannschaft in den entscheidenden (End-)Spielen mit dem Dreiklang aus Effizienz, absolutem Siegeswillen und einer funktionierenden Defensive ein. "Wir haben dieses Spiel als Endspiel deklariert und der Mannschaft gesagt: 'Endspiele können wir!'", sagte Hansi Flick danach im "ZDF" und allein das reichte schon, um den internen Stellenwert der Partie zu bemessen.

In dieser Woche wartet nun Paris St.-Germain in der Königsklasse auf die Münchner, ein Gegner von Leipzigs Kaliber. Unter anderem auch noch im Wettbewerb: Real Madrid, der FC Liverpool und Manchester City - allesamt Teams, gegen deren dominante Spielart ein bisschen Anpassungsfähigkeit nicht schaden dürfte. Wie praktisch für die Bayern, dass sie ihre neuen Rezepte in der Bundesliga quasi testen können und ganz nebenbei damit der neunten Meisterschaft in Serie ganz nahe sind.

Leipzig fehlt der Knipser

Für Leipzig dürfte der Traum vom ersten grossen Titel der jungen Klubgeschichte zumindest in diesem Wettbewerb vorbei sein. Julian Nagelsmanns Mannschaft spielte ziemlich gut, hatte die Bayern über weite Strecken fest im Griff und auch deutlich mehr Chancen als der Gegner. Aber Leipzig verweigerte einmal mehr beharrlich, aus seiner Überlegenheit und seinen Möglichkeiten auch Kapital zu schlagen.

Gleich mehrmals fanden sich Leipziger Angreifer nach der Pause in guten Abschlusspositionen, zielten aber fast immer am Tor vorbei oder wurden einmal von Manuel Neuer gestoppt. "Wir hatten vier grosse Chancen. Wir haben leider immer vorbeigeschossen. Das ist dann am Ende einfach auch ein Lerneffekt. Wir müssen daran arbeiten, dass wir die Dinge, die wir uns erspielen, auch kaltschnäuziger verwerten", sagte Nagelsmann bei "Sky".

Es zieht sich wie ein roter Faden durch Leipzigs Saison, dass der Mannschaft vor dem gegnerischen Tor der Killerinstinkt abgeht. Leipzigs erfolgreichste Torschützen sind die Mittelfeldspieler Marcel Sabitzer, Emil Forsberg und Christopher Nkunku, die jeweils bei sechs Toren stehen. Der einzige Leipziger Stürmer unter den Top-50-Torschützen der Liga ist Yussuf Poulsen mit fünf Toren. Für eine Spitzenmannschaft mit Titelambitionen reicht das einfach nicht. Die bärenstarke Defensive und treffsicheren Mittelfeld- und sogar Abwehrspieler können dieses Kardinalproblem über eine komplette Saison noch einigermassen kaschieren - punktuell, wie nun gegen die Bayern, wird Leipzigs Problem aber immer wieder zum Boomerang.

Mintzlaffs Aussagen überraschen

So wie die Sache mit der Haltung zum Spiel. Die Mannschaft konnte sich bis auf die fehlende Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor nicht viel vorwerfen lassen, spielte sehr lange auf einem sehr hohen Niveau. Im Vorfeld war die Partie als möglicher Wendepunkt im Titelrennen gesehen worden, mindestens aber als letzte Chance für Leipzig, den Bayern doch noch einmal auf den Pelz zu rücken. Umso erstaunlicher, was Sportchef Oliver Mintzlaff nach dem Spiel am "Sky"-Mikrofon der Öffentlichkeit verkündete.

"Wenn man das realistisch betrachtet und die Klasse des FC Bayern einordnen kann, dann brauchen wir jetzt hier nicht von der Meisterschaft sprechen. Das war auch nicht unser Ziel", sagte Mintzlaff. Das war entweder leicht geflunkert oder aber entwaffnend ehrlich.

Dann allerdings müsste man sich nicht wundern, wenn der Mannschaft schon vor dem Spiel, das eigentlich eher für Leipzig denn für die Bayern finalen Charakter hatte, eine Art Alibi präsentiert wurde. Mal ausprobieren und dann schauen, was so geht: Über diese Phase sollte RB Leipzig nun doch schon länger hinaus sein. Mit gelebter Halbherzigkeit ist jedenfalls noch niemand deutscher Meister geworden.

Verwendete Quellen

  • fcb.de: "Neuer: "Wollen uns das nicht mehr nehmen lassen"
  • sport1.de: "Gnadenlose Bayern ringen RB nieder"
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