Erneut geht der FC Bayern München als grosser Favorit in die neue Bundesligasaison. Doch kurz vor dem Auftakt gegen Schalke 04 kämpft der Triple-Sieger mit einigen kleineren und grösseren Baustellen. Flick, Salihamidzic und Co. haben definitiv noch Arbeit vor sich.

Steffen Meyer
Eine Kolumne
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Der FC Bayern wäre nicht der FC Bayern, wenn er nach einer der erfolgreichsten Spielzeiten der Vereinsgeschichte ruhig und ohne grosse Nebengeräusche in die nächste Saison starten würde. Kurz vor dem Saisonstart wird eifrig diskutiert beim Rekordmeister. Über die Personalpolitik, über Schlüsselspieler wie David Alaba, aber auch über die richtige Spielweise für die kommenden Monate. Die fünf grössten Baustellen in der Analyse.

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1. Die kurze Vorbereitung

Während der Grossteil der Bundesliga-Teams sich seit einigen Wochen auf die neue Saison vorbereitet, war die Vorbereitungszeit des FC Bayern wahrscheinlich so kurz wie noch nie. Nur sieben Tage liegen zwischen dem ersten echten Mannschaftstraining am vergangenen Freitag und dem Bundesliga-Auftakt gegen Schalke. Davor waren die meisten Bayern-Stars im wohlverdienten Urlaub nach dem Sieg in der Champions League oder absolvierten Cyber-Training von zu Hause aus. Offizielle Testspiele gab es keine.

Es ist ein Kaltstart und damit eine schwierige Situation für den FC Bayern und eine Chance für die Konkurrenz ‒ auch wenn das Startprogramm mit Schalke, Hoffenheim, Hertha und Bielefeld für die Münchner noch keine ganz grossen Brocken bereithält. Verkürzte Vorbereitung hin oder her: Bayern geht selbstverständlich als Favorit in diese Spiele. Richtig ernst wird es im Oktober und November, wenn der FC Bayern eine Reihe von englischen Wochen absolvieren muss.

2. Unruhe wegen Alaba

Die Situation rund um David Alaba ist unschön und stört derzeit die Harmonie beim Triple-Sieger. Alaba ist als Spieler über jeden Zweifel erhaben. Er ist einer der wichtigsten Führungsspieler im Kader und hatte als Antreiber aus der Innenverteidigung grossen Anteil an den Erfolgen der Vorsaison. Doch nun haben sich Club und Spieler bei den Verhandlungen über einen neuen Vertrag völlig verhakt. Der Konflikt wird spätestens nach den Angriffen von Uli Hoeness in Richtung Alabas Berater ("Geldgieriger Piranha") öffentlich ausgetragen.

Die Fronten sind klar. Alaba will den vielleicht wichtigsten Vertrag seiner Karriere vergolden. Der FC Bayern will mit Blick auf das Gehaltsgefüge in der Mannschaft nicht bis zum Äussersten gehen. Gleichzeitig kann er nicht riskieren, Alaba im kommenden Jahr ablösefrei an einen europäischen Konkurrenten zu verlieren. Der ganze Streit ist eine ständige Ablenkung und steht weder Alaba noch dem FC Bayern gut zu Gesicht. Eine schnelle Lösung des Konflikts ist notwendig, damit Mannschaft und Club Klarheit haben.

3. Der Kader könnte zu dünn sein

Auch unabhängig von David Alaba gibt es eine Reihe von ungeklärten Fragen im Bayern-Kader. Den Abgängen von Coutinho und Ivan Perisic steht die Verpflichtung von Leroy Sané gegenüber. Der Nationalspieler hat trotz langer Verletzungspause das Zeug, die Mannschaft sofort zu verstärken. Tanguy Nianzou kommt als hochveranlagter Innenverteidiger mit Entwicklungspotenzial hinzu.

Unklar ist die Situation bei Thiago und Javi Martinez. Beide trainieren derzeit mit der Mannschaft, wollen den Verein aber wohl verlassen. Thiagos Abgang würde dabei deutlich schwerer wiegen. Sein Profil findet sich nicht noch einmal im Kader. Corentin Tolisso, der nach vielen Verletzungen endlich den Durchbruch schaffen will, ist ein anderer Spielertyp.

Auch Flick hat verhältnismässig offensiv Verstärkungen gefordert, sollten noch weitere Spieler den Verein verlassen. Bis Anfang Oktober ist noch Zeit, auf einem durch Corona deutlich komplizierter gewordenen Transfermarkt zu agieren. Gerade nach einer so erfolgreichen Saison könnte etwas mehr Konkurrenzkampf dem Kader guttun. Wenn sich gute Möglichkeiten auftun, sollte der FC Bayern jedenfalls nicht zögern, den Kader zu verbreitern. Das gilt für Neuzugänge aber auch für echte Chancen für den vielversprechenden Nachwuchs aus den eigenen Reihen.

4. Flick muss die Spielweise wohl ändern

Leon Goretzka legte in dieser Woche den Finger in die Wunde. "Eine Sache, über die man nachdenken muss ist, ob wir unsere Spielweise ein Stück weit ändern müssen. Das Pressing, das wir die letzten Monate gespielt haben, über so eine Saison ohne Pausen durchzuziehen, wird, denke ich, schwierig", sagte der Ex-Schalker unter der Woche in einer Pressekonferenz an der Säbener Strasse.

Goretzka hat damit absolut recht. Die enorme Intensität mit Ganzfeldpressing und aussergewöhnlichen Laufleistungen waren der Schlüssel für den Münchner Erfolg nach der Corona-Pause. Dies über eine ganze Saison in drei Wettbewerben durchzuhalten ist völlig utopisch. Flick ist deshalb gefordert, mit seiner Mannschaft einen adäquaten Plan B und C mit mehr Ballbesitz zu etablieren, ohne die Mannschaft ihrer Stärken zu berauben. Eine schwierige Aufgabe für Flick, insbesondere im Anbetracht der kurzen Vorbereitungszeit.

5. Lucas Hernández Rolle

Der 24-Jährige Rekordtransfer hat bisher noch nicht richtig Tritt gefasst in München. Das lag an einer Reihe von Verletzungen, doch auch wenn Hernández fit war und spielte, blieb meist zu wenig Positives hängen. Die Saison 2020/2021 könnte bereits darüber entscheiden, ob sich der Franzose in München durchsetzt oder sein Glück vielleicht schon bald woanders suchen muss.

Denn Hernández hat das Pech, dass auf seinen beiden denkbaren Positionen mit Alphonso Davies und David Alaba zwei Spieler gesetzt sind, die extrem schwer zu verdrängen sind. Hernández muss kämpfen und vor allem da sein, wenn sich die Chance bietet. Beim Sieg der französischen Nationalmannschaft in der Nations League gegen Kroatien spielte Hernandez neben Leipzigs Upamecano sehr ordentlich.

Flick ist gut beraten, ihn frühzeitig in die Rotation mit einzubeziehen. Was ihm bei seinen Auftritten spürbar fehlte, ist Spielrhythmus. Die Entwicklung eines Spielers, der 80 Millionen Euro Ablöse gekostet hat, muss immer eine Priorität haben. Ansonsten könnte sich der Transfer trotz der unbestrittenen Qualitäten des fussballerisch starken Verteidiger als teures Missverständnis entpuppen.

All das zeigt: Auch der FC Bayern geht mit ein paar offenen Fragen und kniffligen Aufgaben in die neue Saison. Das Triple 2020 ist sicher nicht vergessen, doch mit dem Bundesligaauftakt gegen Schalke startet endgültig eine neue Saison mit neuen Herausforderungen, die auch der Rekordmeister erst einmal bewältigen muss.

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