Die Suche nach einem Nachfolger für Carlo Ancelotti setzt den FC Bayern enorm unter Druck. Die Mannschaft braucht jemanden, der das schlummernde Potenzial endlich wieder herauskitzelt. Und das möglichst schnell. Dafür kann es eigentlich nur einen geben.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Mats Hummels hat einen bemerkenswerten Satz gesagt, nachdem die Bayern am Sonntag schon wieder eine 2:0-Führung aus der Hand gegeben hatten.

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"Das Gegentor hat uns komplett verunsichert." In diesem Moment wusste man plötzlich nicht mehr, ob Hummels jetzt bei einem handelsüblichen Bundesligisten angestellt ist - oder beim FC Bayern München, Serienmeister und eines Dauer-Halbfinalisten in der Champions-League.

Hummels Satz zeigt, dass im Moment wenig normal ist bei den Bayern. Und dass die Bayern ohne echtes Trainerteam und mit einer Interimslösung kaum werden weitermachen können.

Ziemlich sicher haben die Verantwortlichen in München darauf gehofft, in Berlin klar zu gewinnen, um dann ein paar handfeste Argumente für eine Weiterbeschäftigung von Interimslösung Willy Sagnol zu bekommen.

Die haben sie jetzt nicht, die Länderspielpause zieht den negativen Eindruck jetzt auch noch zusätzlich in die Länge.

Unschöne Details über Ancelotti-Zeit

Die Nachwehen der Entlassung von Carlo Ancelotti wirbeln zudem noch jede Menge unschöner Dinge über den zustand des Teams auf, die bereits in den letzten Monaten vermutet wurden und jetzt ihre Bestätigung finden.

Ancelotti habe den Kader unterfordert, heisst es zum Beispiel. Von einem Training wie in der D-Jugend ist die Rede und davon, dass in schöner Regelmässigkeit die Stars bei den Bossen Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeness auf der Matte standen, um sich über das Trainerteam auszuheulen.

Was derzeit etwas untergeht ist die Tatsache, dass es am Ende auch immer noch die Mannschaft ist, die es aus sportlicher Sicht richten muss. Und kein Trainer und schon gar kein Präsident.

Und die funktioniert nicht mehr. Sie ist ganz offensichtlich zerstritten - und hat den durch Jupp Heynckes und dann Pep Guardiola gelegten sportlichen Mega-Vorsprung auf den Rest der nationalen Konkurrenz in wenigen Monaten verspielt.

Was für einen Trainer braucht der FC Bayern?

Deswegen drängt es jetzt bei der Trainerfindung, die Bayern stehen enorm unter Druck. Dabei sollten sich die Münchner vielleicht erstmal darüber klar werden, welche Art von Trainer sie denn eigentlich wollen.

Ein Rückblick: Neben den ewigen Bayern-Lösungen Ottmar Hitzfeld und Jupp Heynckes versuchten es die Bayern in diesem Jahrtausend: Mit einem Schleifer Felix Magath, mit einem Projektleiter Jürgen Klinsmann, mit einem Fussballlehrer Louis van Gaal, mit einem Besessenen Pep Guardiola, mit einem Grandseigneur Carlo Ancelotti und einer Interimslösung Andries Jonker.

Es ist ein ewiges Hin und Her, das die Bayern bei der Suche nach ihren Trainern hinlegten, ein Schlingerkurs von einem Extrem in das andere.

Auf den Schleifer Magath folgte der Spielerversteher Hitzfeld, dann der Reformator Klinsmann, darauf wieder ein klassischer und pedantischer Übungsleiter wie Van Gaal, dann wieder ein Spielerversteher Heynckes, dann der pedantisch-kühle Guardiola und darauf wieder ein einfühlsamer Typ wie Ancelotti. Und jetzt?

Tuchel ist die naheliegende Lösung

Offenbar scheint es, als brauche die Mannschaft nun wieder einen Trainer, der ihr wieder eine feste Struktur gibt, einen, an dem sie sich orientieren kann. Und das schnell.

Denn unter Ancelotti war der Individualismus Trumpf, mannschaftstaktische Massnahmen genossen eher eine untergeordnete Priorität.

Ein Satz wie der von Hummels darf in "normalen" Zeiten auf 17 von 18 Bundesligisten zutreffen, auf die Bayern aber nicht.

Zu Guardiolas Zeiten wäre eine 2:0-Führung gegen Wolfsburg oder Berlin das Signal an den Gegner gewesen, dass das Spiel vorbei ist und es nur noch darum geht, wie hoch die Bayern gewinnen werden.

Das ist in dieser Saison anders. Aber da müssen die Bayern wieder hin, wenn sie nicht bis zum letzten Spieltag um die Meisterschaft kämpfen und in der Champions League bis ins Finale kommen wollen.

Der Klub braucht einen externen Impuls, das dürfte nach den jüngsten Besetzungen wichtiger Posten im Klub durch Angestellte mit "Stallgeruch" eigentlich eine klare Erkenntnis sein.

Deswegen ist Thomas Tuchel die naheliegende Lösung. Es gibt keinen anderen deutschsprachigen Trainer auf dem Markt, der einen ähnlich starken inhaltlichen Fokus legen kann.

Tuchel kennt die Liga, er ist verfügbar und kann aus dem immer noch überragenden Kader auch wieder jene Qualität zutage fördern, die zumindest für die Meisterschaft reichen sollte.

Alles nur Vorurteile?

Dabei begleiten Tuchel ein paar Vorurteile, besonders aus seiner jüngst in die Brüche gegangenen Beziehung mit Borussia Dortmund.

Der Trainer wird seitdem noch mehr als Technokrat in eine Ecke gestellt, als zynischer Theoretiker ohne zwischenmenschlichen Zugang zu seinen Spielern. Und auch die Tatsache, dass Tuchel vor seinem Dortmund-Engagement auch in Mainz im Unfrieden schied, soll diese These unterstreichen.

Dem widersprach zuletzt der ehemalige Mainzer Sportdirektor Christian Heidel zwar vehement, aber das Klischee ist in der Welt und wird immer wieder bemüht.

Vielleicht kann ein reflektierter Mensch wie Tuchel auch ein kritisches Fazit seiner letzten Jahre ziehen und zu dem Schluss kommen, dass er sich selbst auch ein wenig ändern muss. Gerade für einen Klub wie die Bayern.

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