Vor dem Rückrundenstart beim Hamburger SV rätselt die Konkurrenz über die Form der Bayern - selbst Pep Guardiola kann den Leistungsstand seiner Mannschaft schwer einordnen. Der Trainer hat die Winterpause offenbar dazu genutzt, die letzte Stufe der Entwicklung seiner Mannschaft in Angriff zu nehmen.

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Es klingt ein wenig verrückt, aber es dürfte in der Bundesliga aktuell keine Mannschaft geben, die einem spielstarken Team wie dem FC Bayern mehr Probleme bereiten kann als der Hamburger SV.

Jener HSV, der seit zwölf Pflichtspielen auf einen Sieg gegen die Bayern wartet, der gegen die Münchener unter anderem 2:9, 0:8 und in der Hinrunde 0:5 untergegangen ist.

Aussenseiter im Eigenheim

Ein HSV, der erst zwei seiner acht Heimspiele in dieser Saison gewonnen und alle drei Testspiele in der Vorbereitung teilweise kläglich vergeigt hat.

Das mutet grotesk an, ein Blick in die Statistik lässt aber darauf schliessen, dass der Hamburger SV im Volkspark eine Spezies Gegner ganz besonders gerne hat:

Diejenigen, die das Spiel machen, die als Favorit in die Begegnung gehen und den HSV im eigenen Stadion zum krassen Aussenseiter werden lassen.

Von den letzten neun Partien zu Hause gegen die Grossen der Liga hat Hamburg lediglich zwei verloren, Siege gab es dabei gegen Dortmund, Schalke und Leverkusen.

Und beim letzten Gastspiel der Bayern erkämpfte sich der HSV ein 0:0.

Man darf davon ausgehen, dass sich an der in diesen Partien gewählten grundlegenden taktischen Ausrichtung auch zum Rückrundenstart gegen den FC Bayern nichts ändern wird.

Hamburg wird die Bayern in einem 4-5-1- gegen den Ball erwarten, vielleicht sogar mit einer Fünferkette in der letzten Abwehrlinie.

So wie beim Handball

Es ist jenes handballartige Spiel zu erwarten, dass man bei Bundesligaspielen der Bayern in der Hinrunde mindestens jeden zweiten Samstag erlebt.

Und das Hamburg-Spiel dürfte nur der Auftakt dessen sein, auf was sich die Bayern in der Mehrzahl der restlichen Rückrundenpartien einstellen können: Das Anrennen gegen eine Wand aus Beinen und Leibern.

18 Tage lang haben die Münchener deswegen geübt, auf ein oder vielleicht sogar zwei zusätzliche Testspiele dafür verzichtet.

Das eine Freundschaftsspiel in Karlsruhe ging 1:2 verloren und danach war die Aufregung gross, wie um Himmels Willen Pep Guardiola bitteschön nur einmal proben lassen könne.

Einen Hauch von Zweifel kann auch der Trainer nicht verbergen. Am Donnertag auf der Pressekonferenz vor dem Spiel sagte Guardiola, er wisse nicht, wie die Situation der Mannschaft sei.

"Wir werden sehen, ob es eine gute Entscheidung war oder nicht, nur ein Testspiel zu machen."

Die vielen Verletzten der Hinrunde hätten ihn zu dem Entschluss gedrängt, mehr zu trainieren und weniger spielen zu lassen.

Ziemlich sicher war das aber nicht der einzige Grund. Die Bayern haben die für ihre Verhältnisse geradezu luxuriös bemessene Zeit genutzt, um sich gezielt auf die Mauertaktiken ihrer Widersacher vorzubereiten. Noch besser als bisher.

Und bisher stehen 46 von 51 möglichen Punkten zu Buche und ein Torverhältnis von 46:8.

Neue Ideen im Training der Bayern

"Wir haben etwas Neues trainiert". Das deutet zumindest Robert Lewandowski an, wenngleich auch ein wenig kryptisch. "Ich kann nicht alle unsere neuen Ideen verraten. Aber es stimmt, dass wir etwas Neues trainiert haben", sagte der Pole.

Die Pep-Evolution der Mannschaft soll sich also der nächsten, womöglich finalen Entwicklungsstufe nähern. Nur was könnten die Bayern im Offensivspiel überhaupt noch verbessern?

Bisher war das in jedem Spiel so, dass die Bayern den Gegner bespielten. Der zieht die Pässe und Laufbewegungen der Münchener mit, fünfmal, zehnmal, wenn nötig 20-mal.

Immer umsonst, weil die Bayern den tiefen Risikopass dann doch nicht spielen und stattdessen nochmal einen anderen Raum anspielen.

Beim 21. Mal macht dann ein Verteidiger nicht sauber mit - und sofort stossen die Bayern in die entstandene Lücken. In der Folge entsteht Unordnung in der gefährlichen Zone und für die Bayern die Torchance aus dem freien Spiel heraus.

Diese Art der Zirkulation ist trotz des permanenten Ballbesitzes mühselig und kostet Zeit.

Und je mehr Pässe man spielen muss, desto grösser ist die Gefahr, selbst einen Fehlpass zu spielen oder ein Zuspiel unsauber zu verarbeiten. Warum also nicht noch schneller und geradliniger zum Tor spielen?

Rückkehr des Barca-Lupfers?

Der Barca-Lupfer ist bei den Bayern etwas aus der Mode gekommen.

Er wäre ein ebenso einfaches wie probates Mittel, um auf dem ungefährlichsten aller Wege im wahrsten Sinne des Wortes über einen kompletten Abwehrverbund hinweg zu spielen.

Der Raumgewinn mit diesem Stilmittel ist enorm, der gechippte Ball bietet zudem die Zeit, sich für ein mögliches Gegenpressing nach einem Ballverlust sofort perfekt zu positionieren.

Borussia Dortmund hat diese Variante in der Vorrunde fast schon inflationär oft benutzt, die Gegner wissen um die Gefahr - und können diese Bälle, so sie denn gut getimed sind und der Adressat im richtigen Moment einläuft, kaum verteidigen.

Und Guardiola hat diese Variante mit dem FC Barcelona aus der Mottenkiste gekramt und wieder salonfähig gemacht.

Die situative 2-3-5-Staffelung der Bayern mit den eingerückten Aussenverteidigern als zusätzliche Mittelfeldspieler könnte Manuel Neuer als noch weiter vorne platzierter Torhüter zusätzlich unterstützen.

Zu wenig Tore aus dem zentralen Mittelfeld

Und dann bliebe da noch so etwas wie ein echter Schwachpunkt, den es im Offensivspiel aus der Welt zu schaffen gilt:

Aus der Mittelfeldzentrale, wo sich die vielen Beine tummeln und der Gegner mit Pässen und Läufen zurechtgelegt wird, entsteht im Bayern-Spiel kaum nennenswerte Torgefahr.

Für die 46 Treffer zeichnen in erster Linie Lewandowski (15) und Thomas Müller (14) verantwortlich, dahinter folgen mit weitem Abstand die Flügelspieler Arjen Robben, Kingsley Coman (je drei) und Douglas Costa (zwei).

Eine komplette Armada an zentralen Mittelfeldspielern kommt aber zusammengerechnet gerade einmal auf läppische vier Törchen: Arturo Vidal (zwei), Philipp Lahm in seiner Funktion als Mittelfeldspieler (eins) und Sebastian Rode (eins) waren bisher erfolgreich.

Kein einziges Tor haben Rafinha, Joshua Kimmich, Thiago, Xabi Alonso, David Alaba oder Juan Bernat erzielt.

Das ist überschaubar wenig und im internationalen Vergleich nur schwer zu kompensieren - auch, weil die Bayern trotz ihrer Qualität im Angriff nicht über reine Tormaschinen wie Barcelona (Messi-Neymar-Suarz mit 44 Ligatoren) oder Real Madrid (Ronaldo-Benzema-Bale mit 45 Ligatoren) verfügen.

Gut möglich, dass Guardiola hier in den Trainingseinheiten angesetzt hat. Die Erprobung auf Wettkampfniveau erfolgt dann überspitzt formuliert im Ligaalltag, so viel Zutrauen in die eigene Stärke muss schon sein.

Denn nach zweieinhalb Jahren in München ist sich Guardiola einer Sache ganz besonders sicher: "Ich habe Vertrauen in meine Spieler."

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